Dinslaken Private Karte zeigt die Zerstörung des Krieges

Dinslaken · Heute jährt sich der verheerende Bombenangriff auf Dinslaken zum 70. Mal: Am 23. März 1945 erlebte die Stadt einen Angriff der Alliierten, der sie in Schutt und Asche legte. Christel Hillringhaus war damals elf Jahre alt und erinnert sich.

 Wilhelm Krebber mit der von seiner Mutter erstellten Karte

Wilhelm Krebber mit der von seiner Mutter erstellten Karte

Foto: Büttner

Als die alliierten Bomberverbände vor 70 Jahren über Dinslaken hinwegflogen und die Stadt zerstörten, befand sich der damals fünfjährige Wilhelm Krebber in Sicherheit. Er fand zuvor bei Bekannten in Mülheim Zuflucht und konnte aus der Entfernung, weil das Haus auf einem Berg stand, das Inferno in seiner Heimat verfolgen. "Die Bilder des Feuerscheins habe ich immer noch im Kopf. Obwohl ich als kleiner Junge nicht realisieren konnte, was dort geschah, haben sie sich eingebrannt", erzählt der heute 74-Jährige.

Nachdem sich die Lage am Himmel über Dinslaken beruhigt hatte, kehrte Wilhelm Krebber nach Hause zurück. Er selbst war zwar nicht in der Lage, die Ereignisse des Krieges einzuordnen, doch seiner Mutter Charlotte war die Situation durchaus bewusst, als sie in das zerstörte Elternhaus an der Rotbachstraße in Eppinghoven kamen. "Allein durch die Luftdruckwelle hatte unser Haus keine Fenster, Türen oder Dachpfannen mehr", sagt Wilhelm Krebber, weshalb die Mutter nach der Rückkehr eine handschriftliche Landkarte auf einem DIN A4-großen Stück Papier anfertigte, auf der sie die Ausmaße der Zerstörung des 23. März 1945 dokumentierte: "Sie ging durch die Umgebung und schaute, was noch alles übrig geblieben war. Das zeichnete sie für sich auf, um, bevor die Erinnerungen später einmal schwächer werden, nichts zu vergessen. Sie hoffte, dass solche Zeiten nie wieder kommen würden."

Die roten Kreise auf der Karte symbolisierten Luftminen, die blauen stellten Bombeneinschläge dar. Durchkreuzte Häuser waren Bombentreffer, dazu markierte sie ein abgeschossenes Flugzeug, eine Flakstellung und einen Blindgänger. An den kann sich auch der 74-Jährige noch erinnern: "Als Kinder haben wir auf dem Blindgänger noch gesessen und Pferdchen gespielt." Wilhelm Krebber wusste von der Existenz der Karte und sprach im Laufe der Jahre auch mit seiner Mutter darüber.

Nachdem Charlotte Krebber, sie wurde 1906 geboren, vor 20 Jahren gestorben war, behielt er die Aufzeichnung. Sehr zur Freude von Dr. Peter Theißen, denn der Direktor des Museums Voswinckelshof sucht für seine Ausstellung Stücke von der Zerstörung Dinslakens oder aus dem Zweiten Weltkrieg. "Ich wurde darauf aus der Zeitung aufmerksam und fand die Karte in drei Teilen in unserer Familienkiste wieder. Nach einer bloßen Anfrage per E-Mail, ob das Museum sie gebrauchen könnte, kam postwendend die Antwort und jetzt überlasse ich die Karte dem Museum", berichtet Wilhelm Krebber von dem Austausch. Dr. Peter Theißen ließ die Aufzeichnung nun in den vergangenen Wochen restaurieren und ist über das Geschenk sehr glücklich.

"Wir sind furchtbar dankbar, dass die Dinslakener an das Museum denken und einen solchen Schatz der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Die Karte ist schon fast eine Sensation, weil es so etwas nur ganz selten gibt - eigentlich gar nicht", sagt er."

Der 23. März 1945 war ein sonniger Freitag und Christel Hillringhaus hat es bis heute nicht vergessen, dass sie Kniestrümpfe tragen durfte. "Das bedeutete damals schon etwas", erzählt die heute 81-Jährige. Als in Dinslaken vor 70 Jahren der Tag noch freundlich begann, ahnte niemand, dass es der schwärzeste Tag in der Geschichte der Stadt werden würde. "Ich glaube, es war gegen 9 Uhr, 9.20 Uhr. Es gab wieder einmal Alarm, und dann ging alles ganz schnell", erinnert sich Christel Hillringhaus an den Morgen der Bombardierung Dinslakens.

Als Kind hatte sich Christel Hillringhaus an den Bombenalarm und an die Flucht in einen Bunker an der heutigen Karl-Heinz-Klingen-Straße während des Zweiten Weltkriegs schon gewöhnt. Doch den 23. März 1945, den sie als Elfjährige erlebte, wird sie nicht vergessen: "Das war ganz fürchterlich und massiv", sagt die 81-Jährige, die sich bei Alarm aus ihrer Familie immer als erste auf den Weg von Hiesfeld zum Bunker machte und dort auf ihre Eltern wartete. Ihr Vater war Bäcker und versorgte die Menschen mit Nahrungsmitteln, weshalb er erst immer im letzten Augenblick nachkam.

"Im Bunker waren wir einige Kinder und ein paar Erwachsene", erinnert sich Christel Hillringhaus an die Stunden, in denen sie um ihr Leben fürchtete. Durchgehend, bis ungefähr 13.30 Uhr, sollen die Alliierten im Verbund die Bomben abgeworfen haben: "Wenn der erste Verbund weg war, kam auch schon der nächste angeflogen. Danach gab es eine kurze Pause und es lag eine ganz komische Ruhe in der Stadt."

Fast alles in der Dinslakener Innenstadt sei zerstört gewesen. Christel Hillringhaus kann sich aber noch erinnern, dass die Gaststätte Maaß verschont geblieben war. Die Straßenbahnschienen, die damals durch die Neustraße verliefen, seien aber aus dem Boden hinaus hochgebogen gewesen. "Da haben wir solche Angst bekommen, dass wir gleich wieder zurück sind. Nach der kurzen Pause kamen ja noch die Brandbomben, die der Stadt den letzten Rest gaben", erzählt die Seniorin.

Bei dem Angriff wurden mehrere hundert Männer, Frauen und Kinder zerfetzt und unter Trümmern begraben. "Es war ein furchtbares Geschehen, ohne Beispiel in der Geschichte dieser Stadt", schrieb Willi Dittgen in seinem Buch "Der Übergang", in dem er über das Ende des Zweiten Weltkriegs in Dinslaken und Umgebung berichtete. Rund 130 000 Granaten verteilten die Alliierten auf das Ostufer des Rheins und das nähere Hinterland, 547 Stück in der Minute, um ohne große Gegenwehr in den möglichen Widerstandszentren Wesel, Rees, Emmerich und eben Dinslaken den Rhein überqueren zu können.

"Mit einem derartigen Angriff hatte keiner in der Stadt gerechnet. Aber viele waren schon vorher geflüchtet, als es immer kritischer wurde. Mein Vater meinte auch noch vorher, dass meine Mutter und ich eigentlich auch flüchten müssten, doch das kam für uns gar nicht in Frage. Er hätte ja bleiben müssen, um weiter die Leute zu versorgen. Das war eine verantwortungsvolle Aufgabe, weshalb er auch nicht eingezogen wurde", berichtet Christel Hillringhaus.

Als in Dinslaken das Chaos herrschte, und es keinen Überblick mehr gab, so glaubt die 81-Jährige, hätten 90 Prozent der Bevölkerung nichts zu essen gehabt. Ihre Familie war davon nicht betroffen, denn in der Bäckerei ging es, auch nachdem die Amerikaner gekommen waren, weiter: "Die Amerikaner haben dann bei uns immer selbst gebacken und wir sahen erst einmal, was es alles so gibt. Sie waren höchstens drei bis vier Tage immer da und als sie dann weg waren, wussten wir, dass wir ihre Sachen, wie Mehl, auch benutzen dürfen. Wir hatten im Gegensatz zu vielen anderen das Glück, nicht hungern zu müssen."

Den 23. März 1945 und den Krieg überlebten aber nicht nur Christel Hillringhaus und ihre Eltern. Auch ihr älterer Bruder, der eingezogen wurde, kehrte nach Kriegsende zurück.

(gaa)
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