Voerde Steag - es soll keine Kündigungen geben

Voerde · Mit dem Aus für den Kraftwerksstandort Voerde gehen rund 300 Arbeitsplätze verloren. Der notwendige Stellenabbau soll sozialverträglich erfolgen. Die Verhandlungen über Einzelinteressenausgleich beginnen umgehend.

Verstehen kann Tobias Gockel diese Entscheidung nicht. Die gleichnamige Tischlerei von der Rahmstraße erledigt seit Bestehen des Kraftwerks Voerde Aufträge für die Steag. Nun kam die Nachricht vom kompletten Aus für den Standort Voerde. In der Belegschaft wurde darüber schon gesprochen, berichtet der 30-Jährige. "Wie kann es sein, dass dieses saubere Kraftwerk abgeschaltet wird und andere dreckige Anlagen bleiben am Netz", so Gockel.

Die Tischlerei ist einer von mehreren Betrieben, die im Kraftwerk Voerde aktiv waren. Der Großvater habe den Aufbau des Kraftwerkes an der Frankfurter Straße begleitet, danach war der Vater von Tobias Gockel der Geschäftspartner der Steag. Die Gockel-Mitarbeiter richteten Leitstände ein, fertigten Kisten an, mit denen Turbinen verschickt wurden. Balken und Keile bestellte die Steag ebenfalls bei Gockel. Das Unternehmen ist aber nicht nur in Möllen für die Steag aktiv, sondern auch für die Standorte in Walsum und Essen. Die Stilllegung des Kraftwerks Voerde solle für die Tischlerei keine personellen Auswirkungen haben. "Wir probieren es so auszugleichen", sagt Tobias Gockel. Zwei, drei Mann seiner Belegschaft seien mit Steag-Aufträgen beschäftigt. Zu bestimmten Zeiten konnte es auch die gesamte Belegschaft, sieben Mann, sein.

Für die Beschäftigten der Steag wird an einer Lösung gearbeitet. Der Stellenabbau soll, so die Ankündigung des Konzernbetriebsratsvorsitzenden Ralf Melis, "sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen" erfolgen. Auf Basis des Konzernsozialplans und Rahmeninteressenausgleichs, den Konzernbetriebsrat, Steag-Geschäftsführung und Gewerkschaft (IG BCE) gemeinsam erarbeitet haben, würden Vertreter des Unternehmens und der Arbeitnehmer "umgehend mit den Verhandlungen" über den Einzelinteressenausgleich beginnen, erläuterte Steag-Pressesprecher Dr. Jürgen Fröhlich mit Bezug auf alle betroffenen Standorte.

Der Konzern hatte am Mittwoch bei der Bundesnetzagentur angemeldet, in Voerde die Blöcke 1 und 2 des Kraftwerkes West im Laufe des nächsten Jahres stilllegen zu wollen - die Mitarbeiter dort wurden über den Schritt am Mittwochmorgen von Alfred Geißler, Mitglied der Steag-Geschäftsführung, während einer Betriebsversammlung informiert.

Dass die Bundesnetzagentur dem Antrag der Steag für Voerde zustimmen wird, gilt als gesichert, nachdem die Regulierungsbehörde im September bereits im Fall der beiden größeren Blöcke A und B des Kraftwerkes West, die in Händen von RWE liegen und von der Steag betrieben und gewartet werden, keine Systemrelevanz für die Stromversorgung festgestellt hatte. Deren Stilllegung zum 31. März 2017 hatte RWE im Sommer dieses Jahres bei der Bundesnetzagentur angemeldet. Für die Belegschaft sei die Option, dass das Kraftwerk West eine Möglichkeit zum Weiterbetrieb bekommt, der letzte Strohhalm gewesen, erklärt Heinz Jonda, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender am Standort Voerde.

Unverständnis löst das nun eingeleitete Aus des Steag-Kraftwerksstandortes in Voerde bei Georg Schneider aus. Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Betrieb, der mit modernster Technik ausgestattet sei, stillgelegt werden soll. Schneider vermisst, dass Konzern, Betriebsrat, Gewerkschaft sowie Politik um den Erhalt des Kraftwerkes und damit für diese Energieform kämpfen, und erinnert etwa an das Ringen um die Aluminium-Hütte, das schließlich mit der Übernahme durch den Essener Konzern Trimet ein positives Ende nahm. Stattdessen werde geschaut, wie alles sozialverträglich abgewickelt werden könne. Angesichts der aktuellen Energiepolitik hegt der Christdemokrat Zweifel an der Sicherheit der Stromversorgung hierzulande. "Was machen wir in Spitzenzeiten, wenn es weder Wind noch Sonne gibt?"

Mit großer Sorge schaut er auf die Folgen, die das Aus für Zuliefererbetriebe und Stadt hat. Dies treibt auch seinen Kollegen von der SPD, Uwe Goemann, um: Anders als bei einem Großunternehmen wie der Steag sei es bei kleineren Firmen nicht möglich, Mitarbeiter anderweitig einzusetzen. Einen Vorteil hat da zumindest der, der darauf "aufgepasst" hat, sich nicht nur von der Steag abhängig zu machen. Goemann beschäftigt zudem die Frage nach der Zukunft des Geländes: Politik und Stadt wollen auf keinen Fall, dass nach der Stilllegung des Kraftwerkes dort eine riesige Bauruine bleibt. Wenn es nicht mehr genutzt wird, will die Stadt, dass das Kraftwerk - und dies möglichst schnell - verschwindet, stellte Planungsdezernent Wilfried Limke gestern fest. Bisher habe die Stadt keine klare Sicht darauf, was Steag, RWE, Land und das zuständige Ministerium wollen. "Wir haben den natürlich Anspruch, relativ schnell Klarheit über eine Weiterverwendungsmöglichkeit der Fläche zu bekommen." Und dies wiederum müsse über die Bauleitplanung gesichert werden, erklärt Limke. Im Rathaus sieht man die Notwendigkeit, die Optionen zunächst über eine Machbarkeitsstudie zu untersuchen. Mit dem Land sei man dazu bereits im Gespräch.

(P.K./mt)
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