Dinslaken Volksliedern neues Leben geschenkt

Dinslaken · Das Edgar Knecht Quartett bereitete einer guten "Jazz in Dinslaken"-Saison ein umjubeltes Happy End.

 Mit "Ich hab die Nacht geträumet" begannen Edgar Knecht (Flügel), Rolf Denecke (Kontrabass), Stephan Ernig (Perkussion) und Tobias Schulte (Schlagzeug) einen traumhaften Jazz-Abend im Lohberger Ledigenheim.

Mit "Ich hab die Nacht geträumet" begannen Edgar Knecht (Flügel), Rolf Denecke (Kontrabass), Stephan Ernig (Perkussion) und Tobias Schulte (Schlagzeug) einen traumhaften Jazz-Abend im Lohberger Ledigenheim.

Foto: Heinz Kunkel

Es war einer dieser Abende, an dem alle glücklich sind. Die Menschen im Publikum, weil sie Musik erlebten, die Vertrautes anklingen ließ und doch ständig überraschte. Die Musiker, weil sie auf der Bühne spürten, was aus dem dunklen Saal vor ihnen zurück kam und darauf mit noch mehr Spielfreude reagierten. Und wieder die Zuschauer, die den Spaß des Edgar Knecht Quartetts mit wachsendem Vergnügen verfolgten, wie es ich von den lateinamerikanischen Rhythmen von Perkussionist Stephan Ernig und Schlagzeuger Tobias Schulte mitreißen ließ.

Und das alles mit Volksliedern. Denn diese sind die "Standards", denen der in Klassik und Jazz ausgebildete Pianist und Komponist Edgar Knecht neues, ungeahntes Leben schenkt: Mit Sturm und Drang für die Romantik. Es sind Neu- und Uminterpretationen, die in die Harmonien, selbst in die Tongeschlechter der Originale eingreifen und doch deren Geist immer durchdringen und bewahren.

Der König in Thule tanzt Samba. Das passiert, wenn jemand Gretchen zum ersten Mal begegnet, weil er als kleiner Knirps sich das traut, wofür Faust ein hohes Alter und den Leibhaftigen brauchte: die erste Grenzüberschreitung. Edgar Knecht erzählt, wie er sich als kleiner Junge heimlich, als alles schlief, zum Fernseher stahl. Da lief ausgerechnet Goethes Faust im Nachtprogramm. War es der Reiz der verbotenen Situation oder doch die Verfilmung? Knecht war fasziniert - und von Gretchens "Thule"-Ballade infiziert. Kontrabassist Rolf Denecke, dessen Jazz-Version des Brahmschen "Guten Abend, gut Nacht" als zweite Zugabe den Reigen der zahlreichen hellwachen Schlaflieder des Abends beschließen sollte, zupft das kurze "Thule"-Thema, Knecht nimmt es am Bechstein-Flügel auf.

Mit jeder Improvisation schäumt die Musik auf der Bühne mehr auf, bis sie vom Latin-Fieber gepackt überkocht. Was passiert da musikalisch in diesen kleinsten Umdeutungen, dem Zerlegen und Neuzusammensetzen der Motive, die die Hörer im ersten Moment so überraschend und im Nachhinein so folgerichtig zwischen romantischer Melancholie und südamerikanischer Lebensfreude hin und her werfen?

Das Schwesterlein tanzt, bis es kein Morgen mehr gibt, das "heiße Kathreinerle" sowieso. Aber Vorsicht. "Dance on deep waters" heißt die aktuelle CD des Quartetts, es sind die tiefen Wasser, die die Königskinder und die schöne Lilofee verschlingen, während die Musik um sie herum immer reißender wird. Und zum Schluss wird ein altes Lied noch dringend aktuell. "Es ist unser wohl wichtigstes deutsches Volkslied", sagt Knecht. Dann dringt durch das Perkussionsolo eine gewichtige Bassstimme: "Die Gedanken sind frei".

Es war das letzte Konzert der "Jazz in Dinslaken"-Reihe 2015/2016, ein schöneres "Happy End" hätte es kaum geben können. Das Dinslakener Publikum zögerte den Schluss hinaus. Es forderte und erhielt gleich zwei Zugaben.

Am 2. September, dem Vorabend von" Jazz an der Burg", geht es wieder in den Kneipen der Dinslakener Altstadt zum Jazz-opping. Einen Abend später, am Samstag, 3. September, treten Mo' Blow im Burginnenhof auf.

(RP)
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