Voerde Von Soldaten und Märchenbrunnen

Voerde · Das Archiv des Fördervereins Bürgerhaus Friedrichsfeld hat eine Broschüre über das Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg herausgegeben. Karl Göllmann schildert darin die Auswirkungen des Krieges auf den Heimatort.

Fast genau 100 Jahre ist es her, dass Deutschland in den Ersten Weltkrieg eintrat und Bündnisse aus dem zuerst lokalen Konflikt einen europaweiten Flächenbrand machten. In den Kämpfen auf den Schlachtfeldern des Kontinents kamen Millionen ums Leben. Viele Soldaten gerieten allerdings auch in Kriegsgefangenschaft und verbrachten teilweise Jahre ihres Lebens in Lagern. Eine der größten Einrichtungen dieser Art innerhalb der deutschen Grenzen befand sich zu dieser Zeit in Friedrichsfeld. Für rund 10 000 Gefangene war der Lagerkommandant General Leo Cederholm zuständig. Etwa 6500 von ihnen waren in Außenlagern im Arbeitseinsatz oder bei landwirtschaftlichen Betrieben in der Region beschäftigt - der Rest im Friedrichsfelder Lager untergebracht.

Und mit diesen beschäftigt sich Karl Göllmann in dem Buch "Friedrichsfeld im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 - Das Kriegsgefangenenlager". Mit reichlich Bildmaterial aus dem Archiv des Fördervereins, dem Stadtarchiv Voerde und von privaten Leihgebern bietet der Band besondere Einblicke in das Lagerleben vor gut einem Jahrhundert. Dabei gibt es auch einige Besonderheiten zu entdecken.

Auf einem Plan des Lagers, den die französischen Kriegsgefangenen nach dem Krieg als Erinnerung in ihre Heimat mitnahmen, finden sich Bezeichnungen von Orten im Lager, die die Gefangenen sich selbst ausgedacht haben. Das dort etwa die Straße zum Lazarett als "Boulevard du Choléra" auftaucht, zeugt davon, dass die Soldaten auch in der Kriegsgefangenschaft ihren Humor nicht verloren. Gleiches könnte man vom Fluchttunnel unter einem der Zäune des Lagers hindurch sagen, der auf dem Souvenir-Plan als "Petit Métro" auftaucht.

Und auch mit der Lagerleitung scheint man sich gut verstanden zu haben. So schenkte das Initiativ-Comité der Gefangenen General Leo Cederholm zu dessen Geburtstag 1916 einen Märchenbrunnen: Die Nachbildung eines Kunstwerkes, das im Düsseldorfer Hofgarten zu sehen ist. Damit verliehen die Gefangenen ihrem Lager etwas internationales Flair, Duplikate des Brunnens sind auch in Zürich, Dijon und Denver zu sehen.

Natürlich brachten die Kriegsgefangenen aus Frankreich, Russland, Serbien, Belgien und England selbst schon einiges an Internationalität nach Friedrichsfeld. Bilder und Texte des Buches zeichnen hier das Bild eines Lebens, wie man es von einem Lager mit Kriegsgefangenen nicht unbedingt erwarten würde. Nachdem sich das "Comité d'Initiative et de Bienfaisance" ("Initiative der Kriegsgefangenen") schon im Winter 1914/1915 gegründet hatte, starteten die festgesetzten Soldaten eine Vielzahl von Aktivitäten. Eine Lithographie-Werkstatt lieferte alles, was mit der Druckkunst zusammenhing. Die Gefangenen organisierten ein Orchester mit Konzerten und auch Theateraufführungen waren im Lager häufiger zu sehen.

Andere Schwarz-Weiß-Aufnahmen geben Einblicke in die besonderen Einrichtungen im Gefangenenlager. Ein offener Ausschank für Wein und andere Getränke mit angeschlossener "Weinlaube" für die Gefangenen ist dort zu sehen.

Ebenso ein weihnachtlich geschmückter Kirchraum oder die Küche des Lagers, in der in großen Bottichen Eintopf zubereitet wurde. Doch auch ein Blick auf den Friedhof, auf dem 248 französische Soldaten, die in der Gefangenschaft starben, beerdigt wurden, spart das Buch des Fördervereins Bürgerhaus Friedrichsfeld nicht aus.

Bei so vielen Eindrücken ist es kein Wunder, dass diese Ansammlung von Menschen aus ganz Europa auch zu einer kleinen Attraktion wurde. "In den ersten Wochen wurde das Gefangenenlager von vielen Tausenden besucht. Die (Eisenbahn)Züge konnten - namentlich des Abends - die Massen nicht fassen, die herbeiströmten, um das bunte Bild hier zu betrachten", berichtet die Schulchronik der katholischen Volksschule Friedrichsfeld.

Für historisch interessierte Leser lohnt sich ein Blick in die 130-seitige Broschüre auf jeden Fall. Die zahlreichen Bilder mit den kurzen, erläuternden Texten bieten einen schnellen und interessanten Überblick über die Geschichte der Soldaten im Gefangenenlager im Ersten Weltkrieg.

(fla)
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