Dormagen „Das reale Leben ist keine Kuschel-Party"

Dormagen · Auf Klartext zum Thema Erziehung und Kinder Grenzen setzen können sich die Besucher heute (19) in der Aula des BvA-Gymnasiums einstellen, wenn Albert Wunsch zum Thema "Spaßgesellschaft und Leistungsanforderungen" spricht.

 Ein Verfechter einer konsequenter Erziehung mit Regeln und Grenzen: Albert Wunsch, der heute im Bettina-von-Arnim-Gymnasium spricht.

Ein Verfechter einer konsequenter Erziehung mit Regeln und Grenzen: Albert Wunsch, der heute im Bettina-von-Arnim-Gymnasium spricht.

Foto: Hammer, Linda

Herr Dr. Wunsch, welche Kernbotschaft werden Sie heute Abend den Gästen Ihres Vortrags in der BvA-Aula mit auf den Heimweg geben?

Wunsch Meine Botschaft: Das reale Leben hat wenig Übereinstimmung mit einer Kuschel-Party oder einem Spaßbad-Besuch. Am ehesten ist es mit einem herausfordernder Parcours mit vielen Unabwägbarkeiten, Höhen und Tiefen zu vergleichen. Fehlt eine angemessene Vorbereitung, sind Misslingen und Versagen programmiert.

Sie plädieren für eine konsequente Erziehung, in der Eltern nicht in die von Ihnen formulierte "Verwöhnfalle" treten und auch Grenzen setzen. Unterstellen wir einmal, dass das Publikum vorwiegend aus Eltern bestehen wird, deren Kinder diese Schule oder andere weiter führend Schulen besuchen, also mindestens zehn Jahre und älter sind — kommen Ihre Hinweise und Tipps für sie nicht zu spät?

Wunsch Besser spät als nie! Natürlich wäre es besser, Kindern von klein auf auf ein Leben in Selbstständigkeit und Eigenverantwortung vorzubereiten. Wenn also Eltern nicht zügig inkonsequentes Verhalten und überproportionales Umsorgen reduzieren, wird der Nachwuchs wohl kaum aus dem "Hotel Eltern" herauswollen.Um diesen Prozess "Raus aus dem Elternhaus in die Eigenständigkeit" zu fördern, brachte in Italien die zuständige Ministerin als "Outsourcing-Strategie" eine Prämie ins Gespräch, um den — oft auch klammernden - Eltern einen Anreiz zum Schritt des Nachwuchses in die Eigenständigkeit zu bieten. Aber angesichts der Schuldenkrise fand diese Idee keine Befürworter.

Definieren Sie doch bitte einmal "Verwöhnfalle".

Wunsch "Falle" deshalb, weil meist erst im Nachhinein deutlich wird, wo ein klares Nein oder Stopp fehlte, nicht eingehaltene Vereinbarungen 'um des lieben Friedens willen' keine Konsequenzen nach sich zogen, ein zu schnelles 'dann machen ich das halt für Dich' die Eigenverantwortung reduzierte. Da im Leben mit unterschiedlichsten Konflikten und Herausforderungen zu rechnen ist, müsste allen "Ich-meine-es-ja-nur-gut-Eltern" deutlich werden, dass ein Leben im Schongang keine geeignete Lebensvorbereitung ist. Das scheinen die Eltern seit über zehn Jahren gut zu begreifen, sonst wäre nicht nach 13 Auflagen im vergangenen Jahr eine restlos überarbeitete und wesentlich ergänzte Neuauflage der Verwöhnungsfalle erschienen.

Ist es wirklich so schlimm? Viele Eltern sind doch alleine schon finanziell gar nicht in der Lage, ihren Kindern jeden Wunsch zu erfüllen.

Wunsch Es geht bei der Verwöhnung nicht nur um finanzielle Dinge. Auch emotional-sozial findet Verwöhnung statt. Sie kostet zwar kein Geld, hat aber einen hohen Preis. Jede zu leicht gemacht Zielerreichung, jede fehlende Begrenzung im sozialen Miteinander, jede ausbleibende Herausforderung verhindert das Training auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Anstelle einer Ermutigung, sich den erwartbaren Höhen und Tiefen des Lebens in Beruf, Partnerschaft, Familie und Freizeit stellen zu wollen, findet so eine substanzielle Entmutigung statt. Umfangreicher ist eine Vereitelung von Erfolg und Zufriedenheit fast nicht möglich.

Ab welchem Alter ihrer Kinder tappen Eltern in diese "Falle"?

Wunsch Da die Disposition zur Verwöhnung in den Eltern und anderen Erziehungskräften liegt, gibt es keine Altersbezogenheit. Da werden Kleinkinder zu viel herumgetragen, Kinder bis vors Schultor gefahren, Jugendlichen nicht zur Mitwirkung im Haushalt einbezogen usw. Vom Start her brauchen Kinder klare Vorgaben und wiederkehrende Abläufe in einem sicheren Bezug zu den Eltern. Später sind die Kinder immer mehr in Entscheidungsfindungsprozesse einzubeziehen, bei klaren Zielvorgaben. Also wird nicht gefragt, ob der Fünfjährige mit zu Oma und Opa möchte, sondern welchen Tag wir nehmen. Und die Reaktion auf miserable Faulheits-Noten wäre nicht, elterlich finanzierte Nachhilfe, sondern: Willst du bis zum Abschluss der Klasse 10 ein akzeptables Zeugnis erreichen oder eine Lehrstelle suchen? Wenn wir bis in vier Wochen keine ersten Ergebnisse zur Notenverbesserung sehen, werden wir für Dich entscheiden.

Skizzieren Sie doch einmal mit wenigen Sätzen das ideale Verhältnis zwischen Eltern und Kindern?

Wunsch Wenn Eltern begreifen und Umsetzen würden, mit jedem Kindergeburtstag gleichzeitig ein Achtzehntel der immer mehr abzubauenden "sozialen Nabelschnur" zu kappen, würde der 18. Geburtstag nicht nur die juristische Volljährigkeit, sondern in großen Umfang auch eine sozio-emotionale Selbständigkeit mit sich bringen. Damit wäre verbunden, dass Kinder immer umfangreicher in Entscheidungsfindungs- bzw. Konfliktentschärfungs-Prozesse einzubeziehen wären.

Warum fällt es Eltern so schwer, konsequent zu sein?

Wunsch In die Falle geraten besonders Menschen mit einen großen Harmoniestreben und einer zu geringen Ich-Stärke. Auch permanente berufliche oder familiäre Überbelastungen fördern den Kurs, anstelle zeitlicher Zuwendung Verwöhnung einzubringen. Weiterhin geraten getrennt lebende Eltern häufig in die Verwöhn-Falle, besonders in hochstrittigen Beziehungen, weil das Kind durch Inkonsequenz und falsche Großzügigkeit auf die eigene Seite gezogen werden soll.

Was können Eltern und Schule dazu beitragen, damit die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen für ihr Leben in Beruf, Partnerschaft, Familie und Freizeit gut gerüstet sind?

Wunsch Ein Ziel des Abends ist die Verdeutlichung der Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern zu intensivieren. Das Kollegium des BvA-Gymnasiums hat sich am vergangenen Montag innerhalb des Pädagogischen Tages klar für diese Ziel ausgesprochen und konkrete Ideen für gemeinsame Vorhaben benannt. Je umfangreicher es gelingt, hier neue Potenziale zu nutzen, je stärker werden die Schüler für ihr Leben in Beruf, Partnerschaft, Familie und Freizeit gut gerüstet sein.

Sie sprechen von der allgegenwärtigen Spaß- und Konsumgesellschaft, welche stark durch die Zielsetzung "Erfolg und Genuss ohne Anstrengung" geprägt ist. Darin können Kinder scheitern. Wie ist das zu verhindern?

Wunsch Wenn sie von Kindesbeinen an lernend erfahren, dass Anstrengung in der Regel die Voraussetzung von Erfolg ist und dass sich in einer Spaß- und Konsumgesellschaft nur diejenigen etwas leisten können, die vorher auch eine entsprechende Leistung erbracht haben. Dann wird deutlich, dass die einem verwöhnten Hirn entsprungene Maxime "Arbeit und Fleiß um keinen Preis" nicht trägt und die alte Lebensweisheit "Ohne Fleiß kein Preis" aktueller denn je ist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort