Hans Scholten "Raphaelshaus spielt in der Champions-League"

Dormagen · Nach 30 Jahren nimmt der Direktor des Jugendhilfezentrums morgen Abschied von seinem "Dorf". Die Pädagogik-Fachkräfte sind gefragt.

 Hans Scholten und seine Frau Marie-Theres waren am Sonntag mit ihren drei Hunden bei der Segnung des "Steins der Barmherzigkeit" mit dabei.

Hans Scholten und seine Frau Marie-Theres waren am Sonntag mit ihren drei Hunden bei der Segnung des "Steins der Barmherzigkeit" mit dabei.

Foto: cw-

Dormagen Morgen wird Hans Scholten als Direktor des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus verabschiedet. Dann tritt der 67-Jährige in den wohl verdienten Ruhestand - nach 30 Jahren als Leiter dieser Einrichtung, die er im Herzen der Dormagener Gesellschaft verankert hat.

Herr Scholten, was empfinden Sie bei Ihrem Abschied vom Raphaelshaus nach so langer Zeit?

 Tierpädagogik schließt ungewöhnliche Begegnungen ein.

Tierpädagogik schließt ungewöhnliche Begegnungen ein.

Foto: Jaz/Ati

Hans Scholten Ich befinde mich gerade auf einer emotionalen Achterbahn. Ich freue mich auf andere Tätigkeiten und Aufgaben, aber das Abschiedsnehmen von lieb gewonnenen Menschen in und außerhalb der Einrichtung ist sehr bewegend. Ich bin glücklich, dass sich beim Raphaelshaus-Sommerfest in der vorigen Woche so viele Kinder und Fachkräfte herzlich und kreativ von mir verabschiedet haben, und ich freue mich darauf, mich morgen von vielen Weggefährten und Freunden verabschieden zu können.

Wie fällt Ihr Fazit nach 30 Jahren in verantwortungsvoller Position aus?

 Hans Scholten, der sich mit Don Quichotte vergleicht, mit Freund Sancho.

Hans Scholten, der sich mit Don Quichotte vergleicht, mit Freund Sancho.

Foto: Tinter Anja

Scholten Ich fühle vor allem eine große Dankbarkeit. Dass ich meine Berufung als Beruf leben durfte, ist ein großes Glück. Dafür würde ich mich immer wieder entscheiden, wenn ich erneut die Wahl hätte. Das Team ist gut aufgestellt. Ein weiteres Glück ist, bei der großen Zahl an Mädchen und Jungen in meiner Dienstzeit, dass es nicht einen schweren Unfall bei den vielen Touren mit Bus, Rad und zu Fuß gab. Da hat sicher der Engel Raphael seine schützende Hand über uns gehalten. "Gott heilt" ist mehr als die Übersetzung von Raphaels Namen: Es weist darauf hin, dass wir unsere Arbeit immer auch unter einen höheren Schutz stellen sollten. Ein weiteres Glück ist der Standort Dormagen: Die Umgebung hat unsere schwierige pädagogische Arbeit mit oft traumatisierten Kindern mit sehr wohlwollenden Augen betrachtet.

Wie äußert sich das?

 Besuch des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe bei Hans Scholten (l.) und Marco Gillrath (r.).

Besuch des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe bei Hans Scholten (l.) und Marco Gillrath (r.).

Foto: Raphaelshaus

Scholten Wir sind mit vielen Freunden der Einrichtung gesegnet - aus nahezu allen Bereichen der Gesellschaft: Politik, Fachwelt, Kirche, Kultur und Schützen unterstützen uns mit Anerkennung. So können wir vor einem freundschaftlichen Hintergrundrauschen in Ruhe arbeiten. Unsere Freunde schenken dann auch den Schulterschluss mit uns, wenn es mal stürmisch wird.

Stürme haben Sie zuletzt mit dem abgebrochenen Modellprojekt junger Strafgefangener erlebt. Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?

Scholten Es war ein Versuch, unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, fehlgeleitete und problematische Jugendliche zu begleiten, um ihnen zu helfen und sie zu integrieren. Erfolgreiche Kinder- und Jugendarbeit setzt auch auf neue und risikobehaftete Wege, da kann es Rückschläge geben. Junge Menschen mit verborgenen Lebensbiografien sind nicht vollends kalkulierbar, dagegen setzen wir hohe Professionalität und Intuition unserer Fachkräfte. Beim Modellversuch kamen individuelles Versagen eines Pädagogen und das Zerriebenwerden zwischen politischen und medialen Kräften zusammen. Diese Krise hätte ich nicht gebraucht, möchte sie aber auch nicht missen, da diese Bewährungsprobe unsere Binnenloyalität und externe Freundschaften gestärkt hat. Wir haben standgehalten und unseren Auftrag, der letztlich von den zehn Geboten und unseren Gesetzen kommt, erfüllt: Wir kümmern uns um den Nächsten.

Das gilt auch für Flüchtlinge?

Scholten Selbstverständlich. Es ist berührend zu sehen, wie junge Flüchtlinge bei der Begegnung mit dem Flüchtlingsboot des Kölner Erzbischofs ihr Trauma der eigenen Flucht aufarbeiten. Auch das war ein Wagnis, ein neuer Weg. Mein tiefstes Anliegen ist die Integration: Wir können über Religionen diskutieren, jeder darf seinem Glauben friedlich folgen. Aber das deutsche Grundgesetz ist nicht verhandelbar.

Wie ist das Raphaelshaus nach der Ära Scholten aufgestellt?

Scholten Mein Nachfolger Marco Gillrath ist gut vorbereitet und wird die Einrichtung, die auch wirtschaftlich solide dasteht, mit Herz und professionell führen. Ich bin sehr froh, so gute Fachkräfte zu haben. Das zeigt sich auch daran, dass unsere Pädagogen in Fachgremien gefragt sind. Begonnen habe ich mit 86 Mitarbeitern, jetzt sind es 250 Arbeitsplätze. Die Pädagogik des Raphaelshauses spielt in der Champions-League in Deutschland.

Bleiben Sie in Dormagen?

Scholten Ja, mein Lebensmittelpunkt bleibt Dormagen als meine Heimatstadt, nicht nur weil meine Frau Marie-Theres noch einige Zeit weiter als Tierpädagogin im Raphaelshaus arbeiten wird. Auch meine Töchter leben im Rhein-Kreis - und viele Freunde. Beruflich werde ich jetzt Platz für meinen Nachfolger machen, stehe aber bereit, wenn er meine Hilfe anfragt. Auch mit der tiergestützten Pädagogik werde ich mich weiter beschäftigen.

Auch mit Ihrem Esel Sancho?

Scholten Esel werden lebenslange Freunde - und schaffen einen direkteren Zugang zum Gegenüber, als es Menschen könnten. Tiere sind Botschafter der Schöpfung Gottes, die wir besser schützen müssen. Dazu müssen wir alle unseren Beitrag leisten. Das zähle ich zu den Enttäuschungen: Dass wir, meine Generation, es nicht geschafft haben, die Natur ressourcenschonend zu bewahren. Der Rückgang der Singvögel, Schmetterlinge und Bienen ist auch im Raphaelshaus zu bemerken. Für die Natur kämpfe ich weiter - auch dazu passt das Bild von Don Quichotte als Träumer und Idealist.

(NGZ)
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