Dormagen Thesen zum Gesichtslesen stoßen auf Skepsis

Dormagen · Ein stolzes Jubiläum feierten jetzt die Bibliotheksabende, die jeweils am letzten Mittwoch des Monats im Kloster Knechtsteden stattfinden. Spiritanerpater Hermann Josef Reetz konnte rund 40 Besucher zum 125. Gespräch in der Klosterbibliothek begrüßen. Als Referent war Hendrik Habermann eingeladen, der Geschäftsführer der Dormagener "Agentur für gegenständliche Kommunikation", die hauptsächlich Werbemittel herstellt. Der smarte, redegewandte und auch medial gut aufgestellte Referent nannte sein Thema "Menschen erkennen - die Geschichte des Profiling". Das allerdings war deutlich zu hoch gegriffen, denn während "Profiling" ein die Persönlichkeit umfassendes Profil, in Verhaltens- oder auch Bewegungsmustern erstellt, bezog sich Habermann nahezu ausschließlich auf die Physiognomik: "Was können wir lernen, wenn wir in ein Gesicht schaun?"

Der studierte Diplom-Kaufmann holte dazu weit aus, skizzierte etwa die Entwicklungsbiologie eines Embryos, die allmählich die Strukturen Innen-, Mittel- und Außenschicht bildet. "Dieses Keimblatt ist das Wichtigste!" Zudem geht es um den Zusammenhang von äußerer Form und innerer Qualität. Sicherlich erhält die Information (Form) nur ihren Sinn durch unsere Interpretation (Qualität). "Die Rote Karte im Fußball ist nur eine physische Größe, erst unsere Interpretation macht sie zum Rauswurf."

Von der Form - und nun vom Gesicht - auf das Verhalten eines Menschen zu schließen, bleibt indes fragwürdig. Beim Krokodil ist das sicher anders. Und auch das Sprichwort "Das Gesicht spiegelt die Seele des Menschen wider" hat einen Kern Wahrheitsgehalt. Aber spätestens der historische Abriss Habermanns entlarvte den Anspruch als Pseudowissenschaft. Schon vor rund 7000 Jahren haben die Chinesen in der Kunst des Gesichtslesens (Siang Mien) nicht nur Krankheiten entdeckt, sondern auch das weitere Schicksal. Das hat aber wie die Handlesekunst letztendlich vor allem mit Wahrsagerei zu tun. Und auch die scheinbar logische Argumentation des Schweizers Johann Caspar Lavater (1741 bis 1801), ein Hauptvertreter der Physiognomik, lässt nicht stringent aus der physiologischen Mimik eines Menschen auf seine seelischen Eigenschaften schließen.

Welche Rolle diese Theorie als "wissenschaftliches" Alibi für Rassismus und Eugenik im Dritten Reich spielte, darauf ging der Referent kaum ein. Kritische Fragen aus dem Auditorium beantwortete er aber höchst bereitwillig.

(nima)
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