Eine ganze Welt im Maßstab 1:22,5 Von Nievenheim aus starten Loks in die USA

Eine ganze Welt im Maßstab 1:22,5 · Der Mönch in seiner Kutte steht direkt neben der strickenden Frau und dem Bahnbeamten mit der Kelle in der Hand: Im Geschäft von Sven Linden an der Salvatorstraße findet sich eine ganz eigene Welt - und alles im Maßstab 1:22,5. Fast alles zumindest - Ladentheke, Regale und natürlich der Besitzer haben Originalgröße. Sven Linden mit einem Lokmodell der Rhätischen Bahn. Sogar die Fahrgeräusche des Vorbildes werden digital erzeugt. NGZ-Fotos (2): H. Jazyk

Der Mönch in seiner Kutte steht direkt neben der strickenden Frau und dem Bahnbeamten mit der Kelle in der Hand: Im Geschäft von Sven Linden an der Salvatorstraße findet sich eine ganz eigene Welt - und alles im Maßstab 1:22,5. Fast alles zumindest - Ladentheke, Regale und natürlich der Besitzer haben Originalgröße. Sven Linden mit einem Lokmodell der Rhätischen Bahn. Sogar die Fahrgeräusche des Vorbildes werden digital erzeugt. NGZ-Fotos (2): H. Jazyk

Der Großteil des Interieurs beschränkt sich aber auf Platz sparendere Größe - ganze Lokomotiven und Züge finden in dem kleinen Ladenlokal der "LGB-Station" Platz. Gleich neben der Pfarrkirche St. Pankratius ist ein Mekka für Modelleisenbahner aus ganz Deutschland, von hier aus treten Lokomotiven, Waggons und Gleise - sämtlich mit der so genannten Spur G - ihre Reise bis in die Vereinigten Staaten an. Langsam fährt der Strombügel der roten Elektrolokomotive der Rhätischen Bahn, eine Schweizer Schmalspurbahn, hoch an die Oberleitung. Der Führerstand ist beleuchtet, der Lokomotivführer bereits eingestiegen, die Fahrt kann losgehen.

"Das ist eine Neuheit, diese Ge 4/4 II hat sogar digitale Soundelektronik, die die Geräusche der Lok wiedergibt", erklärt Sven Linden, "Chef" über einen riesigen Lokomotivfuhrpark, der als Champex-Linden Modellspielwaren firmiert. Die Eisenbahn ist allgegenwärtig: Im Innenhof hinter dem Geschäft steht ein Hauptsignal der "großen" Bahn - und der Lagerraum ist sogar stilecht als Güterschuppen mit Laderampe gestaltet. Ge 4/4 II - nur Eisenbahnfans und Modellsammler kennen sich in der Welt der Buchstaben- und Zahlenkombinationen für die einzelnen Lokomotivtypen aus. Nur sie wissen auch, dass etwa das Rhätische Krokodil keine gefährliche Panzerechse, sondern wiederum ein anderer Lokomotivtyp ist.

Von hier aus gehen Modellbahnlokomotiven in alle Welt: Der Lagerschuppen der "LGB-Station" ist stilecht als Güterschuppen mit Bahnsignal davor gestaltet.

Das Vorbild Eisenbahn holen sich Tausende von Freaks im Kleinformat in ihre Wohnzimmer, in den Keller - oder in den Garten. Die LGB-Bahn - der Name steht für Lehmann-Groß- oder Garten-Bahn - ist nämlich wetterfest und kann ihre Runden auch um den Gartenteich oder unter der Kinderschaukel her drehen. Wobei "klein" nur bedingt stimmt. Aus Modellbahner-Augen betrachtet, gehört die Spur G eher zu den Riesen: Die Ge 4/4 II ist immerhin mehr als einen halben Meter lang und bringt vier Kilogramm auf die Waage, Reisezüge können es auf eine Länge von vier bis fünf Metern bringen - ein raumgreifendes Hobby, eben ideal für den Garten. "Ich habe mich ganz auf diese Spur und auf den Maßstab 1:22,5 spezialisiert, erzählt Sven Linden aus Gnadental.

Längst nicht nur Schienenfahrzeuge parken in Kartons verpackt in den Regalen, in der Welt 1:22,5 braucht es an nichts zu fehlen: Bauernhäuser und Bahnhöfe, Lampen und realistisch aussehende Bäume, Schafherde mit Hirte. Sogar Kaninchen können die Modellbahn-Szenerie beleben - geliefert im Sechserpack, drei weiß, drei braun. Geschäfte, die die Spurweite im Sortiment haben, gibt es zahlreich, doch Läden, die sich ganz auf diese Spur spezialisieren, in Deutschland nur einige wenige. "Zu mir kommen Modellbahner aus ganz Deutschland. Ich beliefere aber auch Kunden in vielen Ländern Europas - Schweiz, Österreich, Benelux, Italien, Großbritannien oder Spanien."

Kunden hat Linden auch in den USA, "einen sogar in Singapur. In ihren Ländern finden sie oft keinen Händler, der alle Artikel in kurzer Zeit liefern kann." Lange Lieferzeiten gaben letztlich auch für Sven Linden den Anstoß, sein Hobby zum Beruf zu machen. "Mit zweieinhalb Jahren habe ich von meinem Großvater meine erste Bahn bekommen - eine kleine Dampflok, zwei Wagen, das übliche Gleisoval". Daraus wurde mit jedem Weihnachtsfest mehr - und schließlich nutzte Linden die entdeckte Marktlücke, um sich mit Hilfe der Eltern selbständig zu machen - direkt nach der Höheren Handelsschule mit 18 Jahren. 1999 zog der Jungunternehmer, heute 26 Jahre alt, von Gnadental in größere Räume nach Nievenheim. Die kleine Seitenstraße direkt neben der Kirche finden Modelleisenbahner von weither. Dort wird gefachsimpelt, beratschlagt - eine Stunde ist da schnell um.

Eher aus dem engeren Umkreis stammt Egon Grün aus Stommeln. "Ich fahre LGB", sagt er, und erklärt: "Wir spielen ja nicht, wir machen Fahrbetrieb." Ganz so ernst wird das Hobby aber nicht immer gesehen: "Die Bahn im Garten wird auch schon mal dazu benutzt, um Holzkohle zum Grill zu befördern oder die Getränke zum Gartentisch", weiß Sven Linden. "Viele betreiben das Hobby, um sich einfach zu entspannen." Die meisten Kunden seien zwischen 35 und 80 Jahre alt. Der Spaß hat aber oft auch Methode: Da werden Schmalspur-Alpenbahnen mit Brücken und Tunneln im Garten nachgebaut. Andere leben eine eher romantische Ader aus mit kleinen Loks, Personenwagen oder Straßenbahnen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende - als die Lokomotiven noch dampften und die automobile Konkurrenz in den Kinderschuhen steckte.

Wiederum andere spezialisieren sich auf Vorbilder, wie sie im Wilden Westen die amerikanischen Weiten eroberten. "Das Besondere ist, dass die Spur sehr handlich ist, dass man viel selbst bauen kann, kreativ werden kann." Egon Grün ist gerade dabei, einen Bahnhof der Rhätischen Bahn (RhB) mit Bahnhof und Lokschuppen zu bauen, besorgt sich das Ziegeldach aus Plastik. Eine Reise zum großen Bahn-Vorbild ist auch schon geplant. Und selbst einen Traktor der RhB, eine Rangierlok, hat er schon mit Messingteilen selbst nachgebaut.

Ob Eigenbau oder Kauf - preiswert ist das Hobby nicht unbedingt. Die Ge 4/4 II verlässt mit einigen Wagen das Schaufenster für einen vierstelligen Betrag. "Der Preis bei Lokomotiven reicht bis 6.500 Mark, es gibt aber auch schon welche für 350 Mark." Schließlich spielen nicht nur alte Hasen mit der großen kleinen Bahn, das Format eignet sich ja gerade für Kinderhände. Linden: "Viele hatten in ihrer Kindheit eine solche Bahn, haben sie dann aber weggelegt. Und wenn sie Familie haben, gut verdienen, dann kommen sie auf die Idee: 'Das möchte ich wieder machen". Doch alles ist in der Welt 1:22,5 leider nicht machbar: Selbständig kann der Führer der Ge 4/4 II nicht vom einen in den anderen Führerstand der Lok wechseln: "Aber vielleicht gibt es das in zehn Jahren auch", so Sven Linden. Carsten Sommerfeld

(NGZ)
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