Düsseldorf Al Jarreau seufzt und schreit in der Tonhalle

Düsseldorf · Das Publikum in der Tonhalle konnte jetzt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr ein absolut herausragendes Konzert zwischen Soul, Pop und Jazz erleben: Nach Randy Crawford, die mit feiner Bandbesetzung und einer unglaublich reinen, mädchenhaften Stimme zu Freudentränen rührte, schaute jetzt der 75-jährige Al Jarreau vorbei. Kaum lugte die für ihn typische Baskenmütze hinter dem Vorhang hervor, brandete Jubel auf. Gut 1500 Fans im ausverkauften Rund spendeten Standing Ovations als Vorschusslorbeeren.

Als hätten sie geahnt, dass der Jazz-Vokalist mit einem echten Klassiker einsteigt: "Your Song", dieses wunderbar romantisch-naive Liebeslied auf der Metaebene, das nur bei zwei Menschen auf dieser Welt unter die Haut geht: bei Elton John nämlich, der es zusammen mit Bernie Taupin geschrieben hat und jedes Mal wieder 23 ist, wenn er es singt. Und bei Al Jarreau, der es bei jeder Performance in seine Bestandteile zerlegt und wieder neu zusammenfügt.

Jarreau musiziert seit dem Debütalbum "Glow" von 1976 in seiner eigenen Kategorie. Er setzt seine Stimme nicht in erster Linie ein, um Text zu transportieren. Sie ist sein Jazz-Instrument, Produzent von kaum zu beschreibenden Tönen und Geräuschen, sie ist eine Klangfarbe im Bandgefüge. Worte sind für ihn nur Material. Manchmal dehnt er die Silben in die Unendlichkeit, dann enden sie im entzückten Schrei, und seine Hand zieht das Mikrophon blitzschnell in Richtung Bühnenboden. Manchmal stottert er die Buchstaben, bleibt an einem Konsonanten hängen und ergötzt sich am Laut. Er unterbricht den Textfluss durch Zungenschnalzen, Seufzen, Gurgeln. Kurzum: Wer Texte hören will, wie sie sind, ist bei Al Jarreau falsch.

Natürlich ist Jarreau vom Alter gezeichnet: Er geht gestützt auf die Bühne, hangelt sich von Barhocker zu Barhocker. Er erreicht die höchsten Lagen nicht mehr so leicht. Doch innerhalb seiner Möglichkeiten blüht er auf der Bühne auf.

Mit Songs seines aktuellen Albums "My Old Friend" ehrt er den verstorbenen Freund und musikalischen Gefährten frühester Tage George Duke. Mit ihm zusammen entwickelte er die ungemein popaffine Fusion aus Funk, Soul und Jazz, die auch den Abend in Düsseldorf bestimmt - wobei es immer wieder starke Ausschläge in Richtung Kuschelpop gibt.

Songs wie "The First Time Ever I Saw Your Face" singt Al Jarreau so sehnsuchtsvoll, dass er alle Herzen zum Schmelzen bringt. Und "Mornin'" von 1983 ist so ungemein geschmeidig, wie nur von Keyboards getragener Pop sein kann. Überhaupt bauen die Keyboarder Larry Williams und Joe Turano, der auch wunderbar Saxophon spielt, hier ordentlich mit am Klangfundament und tragen manchmal etwas zu dick auf.

Ohne diesen Kleister wäre Al Jarreaus Stimme sicher noch stärker in den Vordergrund getreten. Doch so oder so: Von "Take Five" bis "Day-O" war das ein starker Auftritt.

(RP)
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