Altersarmut in Düsseldorf "Viele sitzen mit dicker Jacke in der unbeheizten Wohnung"

Düsseldorf · 20 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland gelten als arm. Im Stadtteil Oberbilk befindet sich die wichtigste Anlaufstelle der Caritas in Düsseldorf für Betroffene. Leiterin Melanie Stumpf berichtet von ihren Erfahrungen.

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Foto: dpa, Yuri Arcurs, Pascoe

Frau Stumpf, immer mehr ältere Menschen sind von Armut bedroht. Gilt das auch für Düsseldorf?

Melanie Stumpf Auf jeden Fall. Gerade hier in Oberbilk sind die meisten Klienten Ältere, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.

Wieso gerade in Oberbilk?

Stumpf Zum einen kennen sich die Betroffenen oft und reden miteinander darüber, wo man am besten Hilfe bekommt. Zum anderen haben wir hier im Viertel viel Zulauf von Menschen aus anderen Vierteln. Weil Armut in Oberbilk ohnehin ein Thema ist, fällt es vielen leichter, das Zentrum plus hier zu nutzen als in besser situierten Vierteln.

Ab wann spricht man in Deutschland denn von Armut?

Stumpf Laut Definition fängt Armut da an, wo jemand mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. Für Alleinstehende liegt die Armutsgrenze da etwa bei 917 Euro im Monat. In Deutschland betrifft das derzeit etwas mehr als 15 Prozent der Bevölkerung.

Mit welchen Problemen kommen die Senioren zu Ihnen?

Stumpf Viele haben Probleme, ihre Ansprüche geltend zu machen. Zwar bekommen Senioren mit kleiner Rente einen Antrag auf Grundsicherung gleich mit dem Rentenbescheid zugeschickt, aber viele wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Das beginnt damit, dass sie die Schrift nicht lesen können, weil sie zu klein ist. Dass sie die kleinen Felder nicht mehr richtig ausfüllen können oder keinen Drucker haben und in ein Kopiergeschäft müssen. Das alleine überfordert viele – ganz abgesehen davon, dass sie die richtigen Angaben machen müssen.

Und was passiert dann?

Stumpf Viele geben einfach auf und verzichten lieber auf die Unterstützung für Medikamentenzuzahlungen oder für die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Folge ist dann, dass sie Mietschulden aufbauen. Viele fürchten sich auch vor der Abrechnung von Heizung und Strom. Und manchmal geht es soweit, dass sie Anfang des Monats schon sagen, sie ernähren sich die nächsten Wochen nur noch von trockenen Nudeln.

Wie viel Geld hat ein Rentner mit Grundsicherung monatlich zur Verfügung?

Stumpf Wenn das Einkommen eines Rentners durchschnittlich unter 823 Euro im Monat liegt, dann hat er Anspruch auf Grundsicherung oder andere Sozialleistungen wie Wohngeld. Der aktuelle Regelsatz für die Grundsicherung liegt hier bei rund 400 Euro für Alleinstehende. Jetzt müssen Sie von dem Gesamtbetrag den Eigenanteil zur Miete abziehen, die Krankenkasse, Kosten für Medikamente, das Telefon, den Fernseher und die Wohnnebenkosten.

Da bleibt nicht viel übrig.

Stumpf Und dann darf auch nichts kaputt gehen. Wenn beispielsweise die Waschmaschine nach 20 Jahren den Geist aufgibt, zahlt das keiner. Viele waschen ihre Wäsche dann jahrelang im Waschbecken. Mit den entsprechenden Folgen. Denn die nasse Kleidung müffelt schnell ,und es kann sich leicht Schimmel in der Wohnung bilden. Viele sitzen auch mit dicker Jacke in der unbeheizten Wohnung.

Wer ist denn hauptsächlich von Altersarmut betroffen?

Stumpf Zu uns kommen vor allem ältere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Können Sie das erklären?

Stumpf Viele Frauen stammen aus der Nachkriegszeit. Als sie jung waren, haben Frauen noch nicht gearbeitet, sondern sich um die Kinder gekümmert und den Haushalt geschmissen. Entsprechend haben viele von ihnen nie einen Job gehabt oder sich höchstens mit kleinen Nebenjobs ein bisschen was dazuverdient. Wenn dann der Ehepartner noch gestorben ist oder einfach nur eine kleine Rente bezieht, wird es für sie schon sehr eng. Es kommen auch Alleinerziehende aus dieser Zeit, die sich all die Jahre nur gerade so über Wasser halten konnten. Ähnliches gilt übrigens für viele männliche Senioren, die nach dem Krieg keine richtige Schulausbildung machen konnten. Auch sie haben nur eine kleine Rente.

Und die Menschen mit Migrationshintergrund?

Stumpf Sie haben meistens dramatische Geschichten hinter sich. Viele Frauen, die zu uns kommen, sind vor vielen Jahren zum Beispiel aus dem Kosovo geflohen. Sie haben versucht, zwischendurch mit kleinen Jobs in Hotels oder der Industrie etwas zu verdienen, wurden manchmal Opfer von Gewalt oder sexuellen Übergriffen und sind irgendwann in Deutschland angekommen. Ohne richtige Ausbildung, ohne soziales Netz und oft dann aufgrund ihrer Geschichte schon früh arbeitsunfähig. Entsprechend haben sie quasi keine Absicherung im Alter.

Wie helfen Sie den Betroffenen?

Stumpf Viele kommen zu uns schon in einem desolaten Zustand, mit Plastiktüten voller Briefe und Bescheide in den Händen. Sie wurden bei den Ämtern schon mehrfach abgewiesen und haben das Gefühl, einfach nichts wert zu sein. Deshalb beginnt unsere Aufgabe damit, ihnen zu zeigen, dass es vielen so geht wie ihnen und dass diese Situation ihren menschlichen Wert nicht schmälert.

Wie machen Sie das?

Stumpf Indem wir zuhören, wie sie in die Situation gekommen sind und wie viel Kummer oft dahinter steht. Das allein ist den Menschen oft schon eine große Hilfe. Außerdem helfen wir ihnen beim Ausfüllen der Anträge, bei den Behördengängen und beim Schriftwechsel mit den Ämtern. Vor allem aber bieten wir allen – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation – die Möglichkeit, soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen und an Veranstaltungen und Festen teil zu nehmen, die ihnen ein wenig gesellschaftliche Teilnahme ermöglichen. So hoffen wir, die Folgen von Armut, die häufig Isolation und Einsamkeit sind, ein wenig abzufangen und das Leben im Alter so lebenswert wie möglich zu machen.

Mit Melanie Stumpf sprach Susanne Hamann.

Unterstützung bei Armut im Alter finden Betroffene im "Zentrum plus" der Caritas in Oberbilk. Adresse: Kölner Str. 265, 40227 Düsseldorf

(ham)
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