Kolumne Heimatreporter Auf der Suche nach den Bewohnern des Hafens

Düsseldorf · Im Düsseldorfer Hafenviertel wohnen so wenige Menschen wie in keinem anderen Viertel der Stadt. Ein Besuch.

 Passanten trifft man bei einem Spaziergang im Hafen eher selten. Will man ins Gespräch kommen, muss man klingeln.

Passanten trifft man bei einem Spaziergang im Hafen eher selten. Will man ins Gespräch kommen, muss man klingeln.

Foto: Anne Orthen

Ich rede jetzt nicht vom Medienhafen mit seiner Spitzenarchitektur, den Superlofts und den vielen kreativen Dienstleistern, die sich dort niedergelassen haben, sondern vom benachbarten, echten, ursprünglichen Rheinhafen, dem drittgrößten Binnenhafen Deutschlands. Laut Wikipedia leben dort gerade mal 83 Menschen. Das sind umgerechnet etwa 20 pro Quadratkilometer - der Hafen umfasst vier Quadratkilometer -, was ungefähr der Einwohnerdichte in der Savanne von Tansania entspricht.

An einem Tag, an dem der Himmel die Farbe von Recyclingklopapier hatte und fiesen Nieselregeln zur Erde schickte, parkte ich meinen Wagen gegenüber vom Kraftwerk Lausward und machte mich auf die Suche nach den 83 Menschen. Ich dachte, mit etwas Glück kann ich sie alle kennenlernen. Ich wollte wissen: Was reitet einen Menschen, in einem Viertel zu wohnen, das nun wirklich nicht zum Flanieren animiert, es sei denn, man steht - so wie ich - auf Gegenden, die das Gegenteil von herausgeputzt sind? Und wo die Lkw rein- und rausdonnern, als wäre in dem Viertel ständig Jahrestreffen der Lasterfahrer? Und wo es nicht unüblich ist, dass eine Straße keinen Gehweg hat? Und wo der nächste Rewe oder Aldi Lichtjahre entfernt ist? Dass es im Hafen seit 1990 einen Golfclub gibt, wo man nicht mal Mitglied sein muss, ist ja ganz nett. Aber was nützt mir ein Golfclub im Winter, wenn es nieselt? Und wenn ich überhaupt kein Golf spielen kann?

Neuerdings reden viele Menschen von der wachsenden Bedeutung der Kreativindustrie. Das ist sicher berechtigt. Ich finde aber, darüber gerät etwas in Vergessenheit, dass es auch noch eine echte Industrie gibt, sozusagen die Industrie-Industrie, wie man sie im Düsseldorfer Rheinhafen findet. In den Bauten, die die Hafenstraßen säumen, wird noch knallhart malocht. Design ist zweitrangig. Die Architektur zum Beispiel an der Hamburger Straße muss rein funktional betrachtet werden. Die Häuser wurden ganz sicher von keinem Stararchitekten gebaut (wenn überhaupt ein Architekt beteiligt war). Es gibt Wellblech, Beton und eine Menge Leerstand samt zerbrochenen Fenstern. In vielen Ecken türmt sich Müll und Schrott, und auf den Hinweis-Schildern an den Gebäuden finden sich immer wieder Begriffe wie aus einer längst vergangenen Zeit, etwa "Bundesmonopolverwaltung".

Hier wohnen? Die Vorstellung schien mir zunehmend abwegig. Die wenigen Wohnhäuser, die ich beim Hineinfahren in das Viertel gesehen hatte, wirkten verlassen, dreckig, verwahrlost. Und die Straße, an der sich der Golfclub befindet, sah auch nicht nach Wohnen aus. Dort erstreckt sich eine mindestens 100 Meter lange und vielleicht 15 oder gar 20 Meter hohe nackte Betonmauer, hinter der es kracht und quietscht. Grund dafür ist ein Metallrecyclingunternehmen, das dort seinen Sitz hat. Die Berge an Metallschrott, die hinter der Mauer aufragten, waren beeindruckend. Noch beeindruckender jedoch fand ich, dass gegenüber der Mauer tatsächlich ein Wohnhaus stand. Ein gepflegtes Wohnhaus für mehrere Parteien. Mit schönem Jägerzaun drumherum und dekorativem Nippes am Eingang.

Ich drückte einen Klingelknopf, die Tür ging auf. Aus der Wohnungstür im Erdgeschoss lugte eine Frau, Monica Sylvester, die, wie sie mir erzählte, im Jahr 2000 mit ihrem Mann eingezogen war. Ich fragte, ob es stimme, dass im Hafengebiet 83 Menschen wohnen würden. Sie rechnete laut nach, was so klang: Die Soundsos sind vor Jahren verstorben, seitdem steht das Haus leer. An der Soundsostraße wohnt auch keiner mehr. Kurzum: Sie kam auf etwa zwölf Parteien, die noch im Hafen wohnen. (Wikipedia: Bitte Eintrag aktualisieren.) Die Betonmauer? Da gucke sie nicht mehr hin. Der Lärm der Schrottpresse? Der hänge, sagte sie, vom Kranführer ab. Sei es zu schlimm, beschwere sie sich, und dann sei für zwei Monate Ruhe. Überhaupt, die Sache mit der Ruhe: Ab 4 Uhr nachmittags, wenn die Hafenarbeit getan ist, sei es himmlisch still, sagte Monica Sylvester und schwärmte vom großen Garten hinterm Haus, der an einen Fußweg grenzt, welcher am Rhein entlangführt. Sie lobte die Freiheit und wusste im Grunde nur Gutes über die Wohngegend zu berichten. "Fragen Sie auch mal die Richters über uns, die wohnen hier seit 1970", sagte sie.

Eveline Richter machte die Tür ebenfalls sofort auf. Und schwärmte im selben Stil wie ihre Nachbarin. Im Juni 1970 seien sie und ihr Mann eingezogen. Beide Töchter seien in dem Haus groß geworden, hätten eine tolle Jugend gehabt. "Sie hatten alles", sagte Eveline Richter. Die großen Feste im Garten - man könne so laut sein wie man wolle. Nicht zu vergessen: keine Parkplatzprobleme! Nur der Recyclingbetrieb und die Erschütterungen, die er verursache, machten ihr Sorge. Die Kaimauer sei dafür nicht gebaut, befürchtet sie. "Schreiben Sie", sagte sie lachend, "dass wir normalerweise gerne hier wohnen."

Große Freiheit Düsseldorfer Hafen! Als ich das Haus verließ, hatte es zu nieseln aufgehört. Ich spazierte ein wenig am Rhein entlang, über den Damm, und staunte nicht schlecht über die schönen Sandbuchten sowie darüber, dass es nur ein guter Kilometer Fußweg bis zum Medienhafen ist. Das ist keine Distanz - aber was für eine Diskrepanz zwischen der Hafenindustrie und dem ganzen Medienschickimicki. Das Leben im Düsseldorfer Rheinhafen kann also entgegen den Erwartungen wirklich angenehm sein, dachte ich, wobei es ohne Schrottpresse sicherlich noch angenehmer wäre. Ob die anderen zehn Parteien das ähnlich sehen? Ich habe sie noch nicht getroffen, bleibe aber gerne dran.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort