Düsseldorf Augenrollen im Liebesmärchen

Düsseldorf · Das berühmte Disney-Musical "Die Schöne und das Biest" mit der Musik von Alan Menken wird derzeit in der Rheinoper gezeigt.

Da kommt Liebe auf: Belle (Kitti Jenes) wird vom Biest (Sándor Barkóczi) beim Lesen in die Bibliothek begleitet.

Da kommt Liebe auf: Belle (Kitti Jenes) wird vom Biest (Sándor Barkóczi) beim Lesen in die Bibliothek begleitet.

Foto: BB/Stefan Malzkorn

Gegen Zecken und die Auswirkungen ihrer Stiche kann man sich impfen lassen, gegen Ohrwürmer allerdings nicht.

Dabei ist deren Technik der Zudringlichkeit ähnlich. Ohrwürmer verschaffen sich unbemerkt Zutritt, sie betäuben das Opfer, sie überlisten die Immunabwehr des Zuhörers, sie sorgen dafür, dass das Ohr offen bleibt, sie saugen sich fest - kurz, Ohrwürmer sind Zecken, wie sie im Buch stehen, und sondern gleichfalls gefährliche Keime ab.

Kaum ein Hörer, der jetzt die Premiere von Walt Disneys legendärem Musical "Die Schöne und das Biest" im Opernhaus nicht mit dem schmusigen Liedchen auf den Lippen verließ, das dem Stück den Namen gibt. Schon in der Ouvertüre hatte es uns der Komponist Alan Menken eingeträufelt, Kurzmotive davon drangen danach immer wieder an unser Ohr, es wurde systematisch eingelullt, jedwede intellektuelle Abwehr ausgeschaltet - bis irgendwann, als die liebreizende und gertenschlanke Dame Belle und der verwunschene Unhold namens Biest einander zu lieben begannen, die Melodie in ihrer ganzen Schönheit und Unverfälschtheit von der Bühne suppte. Dieser Song ist so sirupsüß, dass er klebt, doch ist er verdammt gut gemacht, er hat was von einer Schnulze, die das Zeug zum Welthit besitzt. Er ist der einzige im ganzen Stück.

Das Sommer-Gastspiel in der Düsseldorfer Rheinoper ist diesmal eine Produktion von BB-Promotion und stammt vom Budapester Operetten- und Musicaltheater. Das hört man. Die Darsteller sprechen im Haus an der Heinrich-Heine-Allee sehr bemüht und recht verständlich Deutsch, trotzdem hat phonetisch das Ganzä bei solchärrr Härrkunfft etwas Unvärrwäcksälbarres aus Budapäscht. Solche Mängel werden mehr als ausgeglichen durch eine beispielhafte Freude am Spiel. Gewiss sind diese ganzen Grimassen der Dorfbevölkerung hochgradig albern, wenn sie auf erstaunt oder beglückt machen, sie rollen so wild und ungeordnet mit den Augen, als ob der Nervus oculomotorius einen abgekriegt hat. Aber wenn die Leute dann wie waschechte Zirkusturner akrobatische Flic-Flacs und virtuose Purzelbäume schlagen, wenn sie schmerzfrei von Brücken fallen und dabei noch rhythmisch präzise singen, will man nicht meckern.

Doch mehr geht es um das Gefühl, und das Gefühl ist nichts ohne die Deko. Der Wald muss tausend Katzenaugen haben, das Dorf muss vor Holzbrettern knarren, im Schloss ist alles duster und verdammt gotisch, der Bodennebel kriecht umher, als ob die Hölle Mundgeruch hat, und die Schlossdiener sind natürlich eingefrorene Menschen, die aussehen wie Kommoden, Uhren, Tassen und Kerzenleuchter. Dieses zentrale Element der Disney-Idee ist bislang in allen Produktionen des Stücks nahezu 1:1 nachgearbeitet worden, man will das genau so geboten bekommen, weil man es genau so schon überall gesehen hat. Der normale Musical-Besucher ist in dieser Hinsicht nicht sehr experimentierwillig, aber das ist okay. Damit die Verwandlungen schnell gehen, werden die Hintergrundlaken immer sehr fix in den Schnürboden hinaufgezogen, das funktioniert so reibungslos, dass es fast unheimlich ist (Bühnenbild: István Rosza). Wir vermuten, dass das Budapester Operetten- und Musicaltheater diese Produktion schon etwa 3000 Mal anderswo gezeigt hat (so lange ist sie im Repertoire), und das fluppt alles eben wie blind.

Auch die Stimmen! Sándor Barkóczi ist ein stramm tenorales Biest, der Mann hat eine schöne Höhe, aber auch Durchschlagskraft, jedes Schloss erzittert unter seinem Timbre, und wenn er sich am Ende in einen wahrhaftigen Menschen verwandelt (wir sahen im Saal etliche Taschentücher unfreiwillige Feuchtigkeit aufnehmen), kann man diesen Tenor einem echten Künstler zuordnen. Kitti Jenes ist eine quicklebendige Belle, allerdings ähnelt ihre Stimme jenen Künstlerinnen, die Minnie Mouse oder Daisy Duck synchronisieren müssen. Auch im Chor gibt es Solisten, die von der Technik gnadenlos auf piepsig getrimmt werden - und da die Lautsprecherboxen am Bühnenrand stehen, hält man sich vor dieser Hochfrequenz bisweilen die Ohren zu. Die Botschaft aus dem Graben ist dagegen ausgewogen: Der Dirigent Krisztián Balassa steht am Pult, und das Orchester gehorcht bravourös.

Der Beifall ist schon zwischendurch sehr freundlich, am Schluss brandet er gewaltig. Im Schloss ist es ja auch so herrlich kühl!

(RP)
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