Serie Düsseldorfer Geschichten Nett-Werk Düsseldorf — Das schwarze, digitale Brett

Düsseldorf · Die Facebook-Gruppe Nett-Werk ist nicht bloß das größte Schwarze Brett der Stadt. Sie ist auch ein Sammelbecken für obskure Fragen.

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Das Problem, das die junge Düsseldorferin an einem Dienstagabend im November beschäftigte, war kaum zu lösen. Beata K. hatte Lust, ein Glas Wein zu trinken. Eine Flasche war vorhanden, nur fand sie den Korkenzieher nicht. Weil sie keinen Schimmer hatte, wie sie dieses Problem lösen sollte, suchte sie im Internet nach Rat. Auf der Facebook-Seite Nett-Werk Düsseldorf schilderte sie ihr Problem und fragte nach einem Trick, eine Flasche Wein ohne Korkenzieher zu entkorken. Zu den Ratschlägen gehörten: Korken reindrücken, Schraube reindrehen und mit Zange rausholen, in einen Schuh stellen und den dann gegen die Wand klopfen, stattdessen Wasser trinken, einen Wein mit Drehverschluss kaufen, mit einem kleinen Messer rausholen, mit High Heels öffnen. Beata kam dann doch auf eine näherliegende Idee: den Nachbarn fragen.

Als der Mensch früher nicht weiter wusste, da fragte er Familie und Freunde - heute führt der erste Weg ins Internet. Zu welchen Auswüchsen das führt, lässt sich täglich im Nett-Werk Düsseldorf verfolgen. Die Facebook-Seite ist Teil eines deutschlandweiten Nett-Werk-Netzwerks, das seinen Ursprung in Köln hat. Die Gründer ließen sich den Namen schützen und riefen in zahlreichen deutschen Städten ein Nett-Werk ins Leben, das Düsseldorfer entstand vor knapp zwei Jahren und hat mehr als 32 000 Mitglieder. Die Idee dahinter: Die Seite soll eine lokale Community schaffen, über die sich die Bewohner der Stadt austauschen können, eine Mischung aus Schwarzem Brett, Trödelmarkt und Selbsthilfegruppe.

Es gibt viele Menschen, die diese Plattform einigermaßen sinnvoll nutzen, wenn sie sich dabei nur ansatzweise an die offizielle deutsche Rechtschreibung halten. Sie suchen: Aushilfen für den Weihnachtsmarkt, Hilfe beim Umzug, ein Restaurant, in dem man mit 16 Leute Gans essen kann, die Tageszeitung von letzter Woche Montag, einen Supermarkt, in dem man amerikanische Süßigkeiten und Chips kaufen kann, einen Nachmieter, eine neue Mitbewohnerin, Konzertkarten, eine Mitfahrgelegenheit, einen Job, Kochbücher, ein Restaurant in Benrath, ihr Handy. Sie bieten zum Verkauf an: eine Hantelbank, skinny Jeans, eine Kaffeemaschine, zwei Handyhüllen, eine Standheizung, eine Kamera, einen Kinderwagen. Geld haben wollen sie viel, Geld zahlen möglichst wenig. Zu den Klassikern gehören die Fragen "Welchen Tätowierer könnt Ihr empfehlen?" und "Habt Ihr gerade auch den Knall gehört?"

Das Gesuche und Gefinde gerät bisweilen auch kurios: Wenn jemand zwei Packungen Getränkepulver abgeben möchte, eine davon angebrochen. War nicht sein Fall. Wer will? Ein anderer möchte Staubsaugertüten abgeben, hätte dafür aber gerne eine Flasche Cola oder Joghurt-Bonbons. Die Suche nach einem Raumspray der Geruchsrichtung Milch und Honig führte zu großen Diskussionen, wo es das Ganze denn eventuell geben könnte. Bei Tedi? Bei DM? Real? Metro? Kurze Zeit später stellten dann alle nach und nach fest: Ne, gibt es dort nicht. Dort auch nicht. Dort auch nicht. "Hab bei Penny solche Sondereditionen gesehen ... allerdings war genau das nicht dabei."

Doch wo 30 000 Menschen aufeinandertreffen und erst recht im Internet, kommt es zu Problemen. Das Erste: Menschen vergreifen sich im Ton. Kürzlich suchte ein Düsseldorfer Hilfe beim Umzug. Geld konnte er nicht zahlen, aber er wollte für die Verpflegung sorgen. Das empörte den User Marc sehr. "Ich habe heute keine Lust zu arbeiten. Gehst Du für mich? Aber Geld kann ich Dir leider nicht geben." Damit brachte er andere Nutzer gegen sich auf. "Dumme Sprüche helfen hier auch nicht weiter", schrieb Mel, woraufhin Marc entgegnete: "Wasn daran dumm, Du Cholerikerin?" In diesem Tonfall verlief der Rest der Diskussion. Solche Wortgefechte führen dann zu Einträgen wie "Leute, es war doch mal so nett hier, warum streiten wir uns nun immer?"

Wenn es zu arg wird, greifen die drei Administratoren ein, die alle Nett-Werk-Seiten betreuen, und löschen Einträge. Das Regelwerk ist umfangreich: Untersagt ist zum Beispiel alles was mit Tiere verschenken und verkaufen zu tun hat, Spendenaufrufe, Pöbeln, Werbung, gewerbliche Angebote, Pelzmäntel. Manchen ist das zu streng. Sie haben bereits andere Nettwerke gegründet mit anderer Schreibweise, in Düsseldorf gibt es noch das Nettwerk Düsseldorf ohne Bindestrich.

Noch unterhaltsamer als hitzige bis beleidigende Diskussionen ist das zweite große Problem: Menschen suchen Lösungen für Herausforderungen, die sie ohne weiteres mit einer schnellen Google-Recherche selbst erledigen könnten, wenn sie denn wollten oder dazu in der Lage wären. Sie könnten auch einfach mal vor die Tür gehen. Das nette Café mit W-Lan findet man sicher auch ohne fremde Hilfe. Ebenso vegane Restaurants in der Nähe, eine günstige Reise nach Holland, eine Ferienwohnung in Düsseldorf, eine Werkstatt, die den Scheibenwischer repariert. Schon eine traurige Dimension hat dieser Eintrag: "Mein Freund und ich haben bald Jahrestag - was sollen wir machen?", fragte kürzlich Ela. Als jemand erwiderte, das sollte man doch selbst am besten wissen, erklärte sie: "Wenn man schon ein paar Jahrestage hinter sich hat, gehen einem schon mal die Ideen aus."

Und für andere Probleme ist der Ansprechpartner eindeutig ein anderer. Ob die Sparkasse alte Kontoauszüge herausgibt, weiß am ehesten die Sparkasse. Ob das Monatsticket billiger wird, wenn die Lokführer streiken, weiß der VRR. Ob die Bahn tatsächlich streikt, weiß ungefähr jede Nachrichtenseite.

Man möchte nicht selten einem User Recht geben, der einmal schrieb: "Bei manchen Menschen hier frage ich mich ernsthaft, wie die überhaupt vor dem Nettwerk überleben konnten."

(RP)
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