Düsseldorfer Geschichten Bodenkampf - ein Tag mit dem Staubsaugervertreter

Düsseldorf · Wo andere bloß Schmutz sehen, sieht Peter Schrörs ein Geschäft. Ein Tag mit dem Staubsaugervertreter von Vorwerk.

 Der Motor oszilliert, Peter Schrörs wischt und saugt. Seit 1983 arbeitet der 53-Jährige für Vorwerk.

Der Motor oszilliert, Peter Schrörs wischt und saugt. Seit 1983 arbeitet der 53-Jährige für Vorwerk.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Noch bevor Peter Schrörs an diesem Novembertag zu einer Notlüge greift, und noch bevor er den Laminatboden eines Amateurboxers wischt und Erikas Schlafzimmer betritt, muss er in diese Parklücke. Die Parklücke ist das Stück zwischen Hauswand und Mauer, und ob das überhaupt eine Parklücke ist, weiß höchstens der Architekt.

Aber Schrörs muss da jetzt rein, er ist Staubsaugervertreter für Vorwerk und hat um 12 Uhr einen Termin mit Frau Kleinbreuer, Planetenstraße 52. Er fährt vor, zurück, vor, zurück, der Abstandsmelder seines Wagens piepst, dann ist Schrörs drin. Er steigt aus, holt zwei Taschen aus dem Kofferraum und geht zum Hauseingang.

Der Name "Kleinbreuer" steht auf keinem Klingelschild. Er spricht eine Frau an. "Meinten Sie vielleicht die Platanenstraße? Das wird häufiger verwechselt." Er schaut noch mal in seinem Handy nach. Ach so, Planetenstraße 56. Er klingelt zwei Häuser weiter. Er wartet. Und wartet.

Der Donnerstag hat bereits mit Warten begonnen. Schrörs sitzt kaum in seinem silbernen VW Passat, mit dem er knapp 40 000 Kilometer im Jahr fährt, da steht er im Stau. Südring aus Richtung Neuss, Fahrtziel Hubbelrath. 37 Kilometer zeigt das Navigationsgerät an. Schrörs trägt Brille, Beinahe-Glatze, schwarzen Anzug, weißes Hemd und einen mächtigen Bauch. Um 10.30 Uhr hat er den Termin, ihm bleibt noch eine halbe Stunde.

 Wenn Peter Schrörs heutzutage an der Tür klingelt, muss er nicht fürchten, abgewiesen zu werden. Er hat einen Termin vereinbart.

Wenn Peter Schrörs heutzutage an der Tür klingelt, muss er nicht fürchten, abgewiesen zu werden. Er hat einen Termin vereinbart.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Aber Schrörs ist niemand, der im Auto anfängt zu fluchen. Dafür ist er schon zu lange im Geschäft. 1983 hat der gelernte Metzger aus Grevenbroich als selbstständiger Staubsaugervertreter bei Vorwerk angefangen. Wegen der Verdienstmöglichkeiten Er sagt über sich: "Ich wusste nicht, dass ich ein Naturtalent war." Nun ist der Ehemann, Vater und Großvater 53 und kann Staubsauger und Zubehör so schnell zusammen- und auseinanderbauen wie ein Elitesoldat sein Maschinengewehr. Er ist Teamleiter der Vorwerk-Staubsaugervertreter im Bezirk Wuppertal, zu dem auch der Düsseldorfer Süden gehört. "Ich bin schon vorne", sagt er.

Es ist zehn vor elf, als er im gefliesten Flur von Heide Erler steht. Die 74-Jährige braucht einen neuen Filter für ihren Handstaubsauger, das berühmteste Gerät von Vorwerk, das wie alle anderen Staubsauger auf den Namen Kobold hört. Erlers Exemplar ist 20 Jahre alt. Schrörs geht in die Knie, saugt den Aufsatz sauber, tauscht den Filter aus. "Sie brauchen Knieschoner, oder?", fragt Erler. Sie bietet ihm ein Wasser an. "Sie sind wie eine Mutter zu mir." Noch lieber trinkt er Kaffee. An manchen Tagen 15 Tassen.

Schrörs arbeitet auf Provision. Das heißt: Um zu verdienen, muss er verkaufen. Und weil ein Filter so teuer nicht ist, leitet er nun vom Servicetermin zur Vorführung über. "Ich hatte ja versprochen, bei Ihnen zu putzen", sagt er zu Frau Erler. Dann steckt er einen Aufsatz an ihren Sauger, den Hartbodenreiniger, den Schrörs "Swinging Mopp" nennt. Er wirft das Gerät an und schiebt es über die Fliesen. "Damit sauge und wische ich gleichzeitig."

Er spricht von "hocheffizienter Reinigung", "nebelfeucht", "23 Schwingungen pro Sekunde durch den oszillierenden Motor". "Wollen Sie mal?" Erler will. Als das Gerät wieder abgeschaltet ist, fragt sie nach dem Preis. "379 Euro." "Das ist mir zu teuer." "Sie sparen Zeit. Überzeugt sind Sie aber, oder?" "Ja." Kaufen will sie ihn trotzdem nicht. Noch nicht, denkt Schrörs. Denn auch wenn nach seinen Angaben nur jede vierte Vorführung zu einer direkten Bestellung führt - irgendwann kaufe der Kunde dann doch. Zeitversetzt.

Bevor der Termin beendet ist, kniet sich Schrörs hörbar atmend an die Kommode, um ein paar Dinge in ein Serviceheft einzutragen. Die Stirn glänzt. Vorsichtshalber klebt er seine Nummer auch noch auf den Staubsauger. "Waren Sie mit meiner Beratung zufrieden? Darf ich Sie wieder anrufen?" Erler bejaht zweimal. Zum Schluss fragt er sie, ob sie jemanden kennt, der als Staubsaugervertreter anfangen möchte. In Düsseldorf hat er noch Bedarf. Frau Erler kennt aber niemanden. Sie verabschieden sich. Bevor Schrörs wieder in den Wagen steigt, raucht er eine Zigarette. Das macht er nach jedem Termin. Vier hat er heute noch.

Früher war der Beruf für Schrörs beschwerlicher. Bis 2010 zogen die Vertreter von Vorwerk noch auf gut Glück von Haustür zu Haustür. Dann stellte das Unternehmen aus Wuppertal um. Weil Frauen auch immer häufiger arbeiteten, war tagsüber niemand zuhause, um den Vertretern zu öffnen. Und wenn, dann waren es häufig Arbeitslose und Studenten, nicht unbedingt die Zielgruppe für eine Firma, deren Staubsauger 700 Euro und mehr kosten.

Seitdem machen die Vertreter Termine, bevor sie rausfahren. Weil die Geräte so teuer sind und im Einzelhandel keine Chance gegen die billigere Konkurrenz hätten, verkauft Vorwerk die meisten Geräte weiterhin über ihre Vertreter, auch wenn mittlerweile der Online-Versand und ein paar Geschäfte dazugekommen sind. Der Preis muss eben erklärt werden.

33 Prozent des Umsatzes von Vorwerk machten die Staubsauger 2013 aus, so viel wie keine andere Produktgruppe. Auch etwas anderes hat sich nicht geändert: "Man muss zwei Dinge mitbringen: Eine niedrige Hemmschwelle und ein Auto", sagt Schrörs. Versicherungen verkaufen wäre nichts für ihn. Er hat mal einen Versicherungsvertreter an zwei Abenden begleitet.

Am Ende sagte er dem: "Du verkaufst eine Illusion, ich verkaufe ein Produkt." Gerade allerdings nicht. Frau Kleinbreuer öffnet nicht. Sie geht auch nicht ans Telefon. Schrörs bleibt nichts anderes übrig, als seine Taschen wieder ins Auto zu packen, wieder gewagt auszuparken und Mittagspause zu machen in seiner Basisstation, eine Gaststätte in Neuss. Dort sitzt er häufig unter der Woche. Nur freitags steht er im Supermarkt und sammelt Adressen. Am Wochenende gibt er sich frei. Dreimal pro Jahr macht er zwei Wochen Urlaub.

Es ist 15.30 Uhr, als Schrörs wieder an einer Tür klingelt. Wäschlacker Weg, Lierenfeld, ein Mietshaus. Ralf Krompaß braucht einen Filter und eine Rundbürste. Der 47-Jährige ist Amateurboxer, im Wohnzimmer hängt ein Poster von Ali, der gerade einen Gegner zu Boden gestreckt hat. Schrörs kniet sich hin und reinigt den Handstaubsauger, baut die bestellten Teile ein und leitet dann ins Verkaufsgespräch über. Er wolle ihm mal kurz das Wohnzimmer wischen und saugen. Dafür läuft er zum Auto zurück und holt den Aufsatz, den er auch schon Frau Erler vorgeführt hat. Die Stirn glänzt.

Schrörs wischsaugt übers Laminat, erzählt wieder von den Schwingungen und dem oszillierenden Motor, lässt Krompaß auch mal, und stellt das Gerät dann wieder ab. Er sagt: "Sehen Sie mal, wie dreckig das Tuch ist." Das er zum Vergleich neben ein unbenutztes hält. "Das ist ein echt geiles Teil", sagt der Kunde. Die 379 Euro sind aber doch ein wenig viel. Da müsse er auf die Steuerrückzahlung warten. "Kann ich eine Visitenkarte haben?" "Sie kriegen gleich alles von mir."

Beim nächsten Termin hat Schrörs Hoffnung auf mehr Geld. Als er die Wohnung von Erika Wohlgemuth an der Kettwiger Straße betrifft, schlägt ihm Zigarettengeruch entgegen. Die 73-Jährige sitzt im Wohnzimmer und raucht. In der Ecke liegt träge eine Katze, die gesamte Wohnung ist mit Teppich ausgelegt. Tochter Silvia Galicki ist ebenfalls da, sie hat den Termin gemacht. Frau Wohlgemuth braucht einen neuen Staubsauger, der alte von Vorwerk tut es nicht mehr.

Schrörs weiß: Der Staubsauger gehört zu den wenigen Haushaltsgeräten, die sofort nachgekauft werden, wenn sie nicht mehr funktionieren. Er baut den Handstaubsauger auf, diesmal kniet er weich, und wendet sich an die Tochter: "Sie haben einen Führerschein. Dann dürfen Sie eine Probefahrt machen." Mit diesen Worten drückt er ihr den Staubsauger in die Hand. Statt eines Beutels hat er ein grünes Tuch eingebaut, das den Staub einfängt. Als sie ihre Probefahrt gemacht hat, holt er das Tuch wieder heraus. Es ist voller Katzenhaare, die auf dem grünen Tuch besonders gut zu sehen sind. Frau Wohlgemuth ist überzeugt. Damit wäre der Termin eigentlich beendet, aber Schrörs nutzt die Gelegenheit. Er steckt den Aufsatz für den Polsterreiniger an und saugt den Sessel.

Dann holt er das vollgestaubte grüne Tuch aus dem Gerät und legt es aufs Polster. "Setzen Sie sich mal", sagt er zur Tochter. Natürlich nicht. Pointe angekommen. Weiter im Programm. Der Aufsatz für die Matratze. Dafür verschwindet er mit ihrer Tochter im Schlafzimmer. "Ich wollte nur einen Staubsauger", sagt Frau Wohlgemuth, als die beiden den Raum verlassen haben. Kurz darauf legt er ihr erneut das grüne Tuch vor. Das ist Haut, sagt er, Haut bestehe aus Proteinen und das ziehe Milben an. Eine Schlange häute sich zweimal im Jahr, der Mensch einmal im Monat.

Am Ende zahlt sie statt der 649 für den Sauger 941 Euro für den Sauger, Aufsätze und einen Akkustaubsauger für die Küchenkrümel. Ein Angebot, weil bald Weihnachten ist. "Und Sie kaufen mich ja mit." Als Fremder kommen und als Freund gehen, das ist sein Motto. Die Tochter bekommt einen Kugelschreiber mit seiner Telefonnummer, weil sie den Termin vermittelt hat. Und sie bekommt Prospekte für den Swinging Mopp und einen Saugroboter.

Diesen Saugroboter, ein flaches Ding, das von ganz alleine saugt, hat Familie Keskin aus Hassels bereits getestet. Es ist der letzte Termin für diesen Tag. 18.30 Uhr. Schrörs will das Gerät abholen und fragen, ob sie zufrieden sind. Die Wohnung der Familie ist vornehm eingerichtet, Benan Keskin sitzt auf der Couch im Wohnzimmer, ihr Ehemann Osman im Sessel. Schrörs setzt sich an einen Tisch. Frau Keskin kommt gleich zur Sache.

Der Saugroboter habe die Erwartungen nicht erfüllt, weil er an vielen Stellen im Wohnzimmer überhaupt nicht vorbeigekommen ist. "Das Gerät muss noch wachsen", sagt sie. Nun hat Schrörs ein Problem. Wenn die Familie im Hinterkopf abspeichert, dass Saugroboter von Vorwerk nichts taugen, dann werden sie das weitererzählen. Dann richtet sich die Idee von Vorwerk gegen ihren Schöpfer. Denn eigentlich sollen die Kunden weitererzählen, wie toll die Staubsauger sind. Schrörs bringt sie auf die Idee, es könne daran gelegen haben, dass sie sich beim Saugen im Zimmer befunden haben.

Das irritiere das Gerät, weil es ständig den Raum abscanne. Er könne ihnen den Roboter noch bis Montag überlassen, weil der Kunde, der das Gerät am nächsten Tag bekommen sollte, abgesagt habe. Die Familie ist einverstanden.

Schrörs steigt zufrieden in sein Auto. Nun muss er nur noch einen Ersatzroboter besorgen für den Kunden am nächsten Tag.

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