Interview: Jochen Wirtz "Buddhismus vermittelt Gelassenheit"

Düsseldorf · Der Büroleiter des Oberbürgermeisters ist Buddhist. Ein Gespräch über Meditation, das Leben im Kloster - und den Stress des Politikbetriebs.

 Jochen Wirtz auf dem Marktplatz vor dem Rathaus

Jochen Wirtz auf dem Marktplatz vor dem Rathaus

Foto: Andreas Bretz

Als Jochen Wirtz noch Azubi bei der Stadt war, träumte er davon, einmal in das große Büro im ersten Stock des Rathauses einzuziehen. Schon vor Jahrzehnten saß dort der Büroleiter des Oberbürgermeisters, und wenn Wirtz etwas bei ihm abgeben musste, zitterten seine Finger vor Aufregung. Man hatte ihm gesagt, das sei ein mächtiger Mann. Nun sitzt Wirtz, 56 Jahre, in diesem Büro und hat selbst Macht. Er leitet das Büro von Oberbürgermeister Thomas Geisel und ist einer der wichtigsten Strippenzieher im Rathaus.

Seine Leidenschaft sind Asien und der Buddhismus. Das sieht man sofort, wenn man in das Büro kommt. Ein Gemälde aus Sri Lanka zeigt einen Mönch in orangefarbener Kutte, auf dem Schrank steht ein Buddha aus Nepal. Ein Kalender versammelt Fotos, die Wirtz auf den Straßen von Indien aufgenommen hat. Zur Begrüßung gibt er nicht die Hand - sein Kater Digger hat ihm in der Nacht tiefe Kratzer zugefügt.

Der politische Betrieb gilt als stressig. Hilft es, Buddhist zu sein?

Jochen Wirtz Mir auf jeden Fall. In der Politik läuft ja manches sehr hitzig ab. Ich will mich da selbst nicht ausnehmen, denn ich bin eigentlich ein aufbrausender Mensch. Ich versuche, gelassen zu bleiben - nur im Auto gelingt das nicht immer.

Was haben Sie durch den Buddhismus gelernt?

Wirtz Der Buddhismus vermittelt Gelassenheit und lehrt Extreme zu vermeiden. Man lernt auch, sich auf eine Sache zu konzentrieren und die Dinge erst einmal wahrzunehmen, also nicht sofort zu bewerten. Eine Idee muss nicht schlecht sein, nur weil sie von den "Falschen" stammt. Ich mache manchmal noch den Fehler, die Dinge zu schnell in eine Schublade zu stecken. Aber ich bin bereit, das abends noch mal zu überdenken und zu überlegen, ob ich das nicht anders bewerten sollte.

Klappt das auch in Ihrer neuen Aufgabe?

Wirtz Es ist schwierig, immer das Gesamtbild zu erfassen, gerade in diesem Job. Als Leiter des OB-Büros kommen auf mich viele ungewohnte Fragen zu. Das braucht noch etwas Eingewöhnungszeit - auch mit Thomas Geisel in seiner neuen Rolle als Oberbürgermeister. Aber ich denke, das funktioniert schon recht gut.

Sie sind in Düsseldorf aufgewachsen. Wie wird man da Buddhist?

Wirtz Das war ein langer Weg. Ich habe Anfang der 80er Jahre mit Kampfsport angefangen und kam dadurch erstmals in Kontakt mit Meditation und Chan-Buddhismus. Zugleich bin ich immer wieder nach Asien gereist, zuerst nach Singapur, Malaysia und Thailand. Um mich auch in weniger touristischen Gegenden verständigen zu können, habe ich ein halbes Jahr Thailändisch gelernt. Dann bin ich auf einer Reise in einem buddhistischen Waldkloster gelandet.

Wie kam das?

Wirtz Ich war als Backpacker im Nordosten Thailands unterwegs und wollte weiter nach Laos. Das ging damals nur, indem man sich auf halblegalem Weg ein Visum beschafft. Ich habe bei einem Visa-Händler meinen Pass abgegeben und steckte dadurch erst mal in der thailändischen Stadt Nong Khai fest. Der Aufenthalt sollte eigentlich drei Tage dauern, dann wurden es zwei Wochen. Ich bin in Nong Khai mit einem Abt ins Gespräch gekommen, und er hat mich ins Kloster eingeladen. Das war eine intensive Erfahrung.

Was hat Sie fasziniert?

Wirtz Ich bin vorher noch nie in einem Kloster gewesen und konnte nun wirklich am Leben dort teilhaben. Das war eine andere, faszinierende Welt. Es war zwar nicht schön, dass man dort schon um 4 Uhr morgens geweckt wurde. Dann gab es eine Morgenandacht mit Wechselgesang. Ich habe kein Wort verstanden, weil sie auf Pali abgehalten wurde (eine buddhistische Sakralsprache, Anm. d. Red.), trotzdem hat mich das sehr berührt.

Haben Sie auch mitgearbeitet?

Wirtz Ich bin am Tag rausgegangen mit den Bettelmönchen oder habe beim Reinigen des Klosters geholfen. Andere Mönche haben Feldarbeit gemacht, aber ich hätte wahrscheinlich alles zertrampelt. Die größte Herausforderung für mich war, dass es nach dem Mittagessen keine weiteren Mahlzeiten gab. Im Kloster gab es auch zum Frühstück auch nur Suppe mit Reis und Fisch. Dabei bin ich eigentlich eher der Marmeladenbrottyp.

Was reizte Sie am Buddhismus?

Wirtz Der Buddhismus ist ja weniger Religion als Philosophie. Ich war neugierig auf die Lehre, weil mir der Grundsatz gefiel, dass man selbst für sich verantwortlich ist. Also bin ich dabeigeblieben. Seitdem meditiere ich fast jeden Tag. Das muss nicht immer eine Stunde sein, manchmal reicht auch Yoga. Man muss für Meditation nicht unbedingt still sitzen, sondern das kann auch in Bewegung sein, wie zum Beispiel beim Tai-Chi. Der Buddhismus hat mir geholfen, viel achtsamer zu werden.

Mit dem Christentum konnten Sie nichts anfangen?

Wirtz Nein, ich bin zwar konfirmiert, aber schon als Jugendlicher aus der Kirche ausgetreten. Ich habe den Unterricht nie als beeindruckend empfunden, und in meinem Elternhaus spielte Religion auch keine große Rolle.

Würden Sie auch Thomas Geisel raten, Buddhist zu werden?

Wirtz Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Buddhismus missioniert nicht. Thomas Geisel ist überzeugter Christ.

Reisen Sie immer noch nach Asien?

Wirtz Ja. Ich versuche, mir meinen Jahresurlaub möglichst am Stück zu nehmen und dann für ein paar Wochen richtig abzuschalten. Inzwischen fasziniert mich vor allem Indien, das ist ja auch die Wiege des Buddhismus. Ich würde auch gern mal in die USA, aber in Asien hat man den Vorteil, dass man wirklich in einem anderen Kulturkreis ist und man abschalten kann. Das gilt besonders für Indien, wo westliche Kultur kaum eine Rolle spielt.

Unternehmen Sie die Reisen eigentlich allein?

Wirtz Manchmal. Ich muss sagen, dass ich gern allein unterwegs bin. Als Mann kann man schon mal mehr riskieren und außerhalb der bekannten Pfade reisen. Das sind oft interessante Erfahrungen. Wie zum Beispiel, als ich den Tempel Angkor Wat in Kambodscha besucht habe, als es noch in Teilen des Landes die Roten Khmer gab und man als Besucher bewaffnete Wächter engagieren musste. Zuletzt habe ich bei einer Nachttour zum Großmarkt von Kalkutta tolle Fotos schießen können.

In welches Land wollen Sie als nächstes reisen?

Wirtz Wieder nach Indien. In diesem Jahr konnte ich ja leider nicht so lange weg, weil die Wahl anstand. Als nächstes fahre ich nach Gujarat, also die Region, aus der der indische Premier Narendra Modi stammt.

Können Sie denn auch als Leiter des Büros des Oberbürgermeisters so lange verschwinden?

Wirtz Das muss einmal im Jahr sein. Der Urlaub ist auch schon genehmigt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE ARNE LIEB.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort