725 Jahre Düsseldorf Campino machte Düsseldorfer Punk berühmt

Düsseldorf · Als Sänger der Toten Hosen hat Andreas Frege gut 30 Millionen Tonträger verkauft und es zum Ehrenbürger von Buenos Aires gebracht.

 Campino hat es immer wieder in seine Heimat Düsseldorf zurückgezogen.

Campino hat es immer wieder in seine Heimat Düsseldorf zurückgezogen.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Aufgewachsen ist Campino, was ja kaum noch einer weiß, in Mettmann. Es hat aber kaum jemand so viel dafür getan wie er, um als Düsseldorfer in die jüngere Geschichte einzugehen. Sein aktueller Status: zweitberühmtester Heimatdichter der Stadt.

Als Campino die Band Die Toten Hosen gründete, ging für den 19-Jährigen gerade das richtige Leben los, mit eigener Wohnung in Bilk. Er sagt: "Ich kann mich an viele Nächte erinnern, in denen ich im Morgengrauen zu Fuß nach Hause zurückgegangen bin. Wenn die Obsthändler am Kirchplatz schon ihre Kisten ausgeladen hatten, habe ich mir immer etwas Obst mitgenommen."

Der heutigen Kunstmanagerin Carmen Knoebel gehörte damals der Ratinger Hof in der Altstadt, die Herzkammer der deutschen Punk-Bewegung. Sie sagt: "Campino fiel schon damals besonders auf. Der war eigentlich von Anfang an eine Persönlichkeit. Und der war eigentlich auch von Anfang an ein Frontmann. Der war frech, aber auch charmant. Eigentlich war er sogar gut erzogen."

Heute ist Campino, der bürgerlich Andreas Frege heißt, der Sänger der erfolgreichsten deutschsprachigen Rockband Deutschlands. Die aktuelle Tournee werden mehr als eine Million Menschen sehen. Sie treten bei "Wetten, dass . . ." auf, spielen auf dem ehemaligem Flughafen Tempelhof und füllen ganz alleine große Fußballstadien. Sie haben in mehr als 30 Jahren fast 30 Millionen Platten verkauft und zigtausende DVDs und T-Shirts.

Die Band hat er eigentlich gegründet, um aus der Heimatstadt herauszukommen, zunächst nach Hamburg, Bremen und Berlin, später in die ganze Welt. Schon Ende der 80er Jahre entwarf das Goethe-Institut Istanbul eine Unterrichtshilfe für den Deutschunterricht auf der Grundlage seiner Texte.

Doch es hat ihn immer wieder zurückgezogen in die Heimat. Campino zog Mitte der 80er Jahre von Bilk weiter nach Flingern. Der Stadtteil war noch kein Szeneviertel mit studentischem Touch, sondern eine klassische Arbeitergegend. Zusammen mit Experimental-Filmer Trini Trimpop und WDR-Lokalreporter Peter Rueben lebte er an der Rosmarinstraße. Die Gegend zwischen der Gauß- und Bruchstraße war ihre Ecke.

Wenn Düsseldorf zu klein wurde für ihre Interessen, machten sie es einfach etwas größer. Hosen-Manager Jochen Hülder betrieb in den vergangenen Jahrzehnten den Malkasten-Club, die Großdisco 3001 oder die Harpune. Campino wohnt bis heute in Flingern, direkt neben dem Proberaum.

Der Düsseldorfer Dieter Eikelpoth fotografierte seine Wohnung zuletzt für das Musikmagazin "Rolling Stone". Was man zu sehen bekam, war eine typische Junggesellenküche, in der Fotos von Che Guevara, Jesus und Angela Merkel hingen. Die damalige Jugendministerin hatte Campino 1994 für das Magazin "Spiegel" interviewt. Eine seiner Fragen lautet: "Frau Merkel, erklären Sie mal: Was ist eigentlich eine 'Haschischspritze'?"

Campino selbst wurde einmal gefragt, wo er am liebsten leben möchte. Er sagte: "Es gibt so viele Orte auf der Welt, in denen es Spaß machen würde zu leben, dass ich mich wirklich nicht festlegen kann. Deshalb kann ich auch gleich in Düsseldorf bleiben. Wenn ich etwas anderes von der Welt sehen möchte, fahre ich einfach hin."

Seine Band existiert heute immer noch, weil sie noch nicht alle Länder bereist haben und die Musiker bis heute Freunde sind. Die Einnahmen werden unter den Gründungsmitgliedern brüderlich geteilt. Es ist also nicht so wie bei anderen Bands, dass sich der Texter etwas mehr abzweigt. Campino ist allerdings maßgeblich, was die Kommunikation der Band nach außen angeht.

Und auch innerhalb des Gebildes gibt er den Ton an. In der ARD-Dokumentation "Nichts als die Wahrheit" sagte Jochen Hülder, so etwas wie das fünfte Bandmitglied, den wunderbaren Satz: " Wenn die Band die Vereinten Nationen sind, ist Campino sicher nicht Bulgarien."

Die Band musste in den Nuller Jahren aushalten, dass Campino seine Talente doch noch einmal ausprobieren wollte. Er unterbrach ihren ewigen Zyklus aus Songs schreiben, Platte veröffentlichen und auf Tour gehen. 2006 spielte er im Berliner Admiralspalast in der "Dreigroschenoper" den Mackie Messer neben Theatergrößen wie Katrin Sass, Maria Happel oder Gottfried John.

Die Inszenierung wurde in der Zuschauergunst das erfolgreichste Stück der Saison. 2008 schrieb ihm Wim Wenders den Spielfilm "Palermo Shooting" auf den Leib, in dem er eine Art Alter Ego von Andreas Gursky verkörperte. Die Premiere fand bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes statt. In der ersten Szene springt er von einem Startblock in einem Düsseldorfer Freibad. Seitdem kriegt er immer wieder Drehbücher geschickt.

Campino selbst hat in seinem Leben die Texte zu mehr als 300 Liedern geschrieben. Bei "Tage wie diese" erlebte der geborene Entertainer noch einmal, was mit einem Stück geschehen kann, wenn man es aus der Hand gibt. Schlagersänger wie Helene Fischer oder Adoro missbrauchten den Nummer-eins-Hit für ihre Zwecke. Es versöhnte ihn sichtlich, dass der Titel im Sommer zur Aufstiegs-Hymne der Fortuna wurde.

Der Text enthielt schließlich auch einen Düsseldorfer Querverweis. "Durch das Gedränge der Menschenmenge/bahnen wir uns den altbekannten Weg/entlang der Gassen, zu den Rheinterrassen/über die Brücken, bis hin zu der Musik", singt er in seinem populärsten Stück.

In den 80er Jahren hatte Campino den Hofgarten mit einer Erwähnung geadelt. Der Text war allerdings nicht ganz jugendfrei, wie so manches in diesen Tagen. 2004 versteckte er auf der Single "Walkampf" eine Momentaufnahme über sich und seinen Stadtteil.

Er textete: "Schauen Sie mich ruhig an/ich bin die No. 1 von Flingern/Blaue Augen, wilder Gang/so war ich schon immer. Es ist 'ne ganz spezielle Aura, die mich umgibt/Es ist mehr als nur Sex-Appeal/aus meinem Blick spricht Lebenserfahrung/und eine tiefe Melancholie. So was kriegt man schon mit der Muttermilch/wenn man in diesem Stadtteil lebt." Der Text wirkte umso authentischer und aufrichtiger, da seine Schwester Beate Frege bei dem Stück einmalig als Gastsängerin mitwirkte.

Wenn man auf das Gesamtwerk schaut, fällt auf, dass Campino nach Ende der 90er Jahre, in denen er zur bundesweiten Celebrity aufstieg, mehr biografische Bezüge zuließ. Wenn er einer aufkommenden Schreibblockade entgehen wollte, zog er sich ins Benediktinerkloster Königsmünster im Sauerland zurück. So schrieb er das ergreifende "Nur zu Besuch" über den Tod seiner Mutter, in "Freunde" beschrieb er das besondere Innenverhältnis der Band, und bei "Draußen vor der Tür" versöhnte er sich öffentlich mit seinem verstorbenen Vater. Der Titel ist dem Kriegsheimkehr-Drama von Wolfgang Borchert entliehen.

Zu seinem Düsseldorfer Freundeskreis gehören der Uerige-Baas Michael Schnitzler und Spitzenkoch Paul Meister aus Roberts Bistro sowie Fußball- und Eishockeyspieler. Wenn Wim Wenders den Helmut-Käutner-Preis der Stadt verliehen bekommt, hält Campino die Laudatio im Rathaus. Wenn er für den Kultursender "Arte" das Format "Durch die Nacht mit" bestreitet, trifft er sich mit Klaus Maria Brandauer am Flinger Broich.

Und wenn das ZDF-Sportstudio Fortuna-Kapitän Andreas Lambertz zu Gast hat, dann kommt der eingespielte O-Ton vom ehemaligen Trikotsponsor. Er ist längst der größte lebende Botschafter seiner Stadt, sogar in Osteuropa und Südamerika, wo die Fans in F95-Trikots zu den Konzerten kommen. Als die Toten Hosen 1996 beim Rosenmontagszug mitzogen, galten sie vielen Traditionalisten als größtmögliche Bedrohung. Inzwischen können sich in Düsseldorf alle auf die Band und ihren Wortführer einigen, obwohl die politische Botschaft nach wie vor eindeutig ist.

In den vergangenen beiden Jahren kam Wagenbauer Jacques Tilly nicht mehr ohne Campino aus und baute eigene Mottowagen mit einer blonden Pappfigur. 24 Männer der Karnevalsgesellschaft Radschläger kostümierten sich auf ihrem Wagen — als Campino. Der alte Punk hat die Heimatvereine Fortuna und die DEG vor dem Untergang gerettet. Bei beiden Klubs prangte der bekannte Totenkopf auf dem Trikot. Würde er in Düsseldorf zur Oberbürgermeisterwahl antreten, hätte er wohl gute Chancen gewählt zu werden.

Doch dafür hat er vorerst keine Zeit. Der Ehrenbürger von Buenos Aires pendelt regelmäßig nach Berlin, wo sein neunjähriger Sohn lebt. Wenn man sich die Orte der Düsseldorfer Konzerte der Hosen anschaut, ist das ein Kaleidoskop seiner Stadt. Sie haben schon überall gespielt, wo man auftreten kann — unter der Oberkasseler Rheinbrücke, in der Freizeitstätte Garath, auf der Kiefernstraße, im alten Knast "Ulmer Höh", in der Tonhalle und natürlich zigfach im Tor 3, in der Philipshalle, im ISS Dome und der Arena.

(RP)
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