Düsseldorf Das älteste und das jüngste Ratsmitglied

Düsseldorf · Die eine ist 75 Jahre alt, die andere 27. Die eine hat ein CDU-Parteibuch, die andere das der Grünen. Ein Gespräch mit Annelies Böcker und Paula Elsholz über den Frauenanteil im Rathaus, Opposition und Bündnis-Optionen.

 Annelies Böcker und Paula Elsholz im Gespräch.

Annelies Böcker und Paula Elsholz im Gespräch.

Foto: Schaller,Bernd

Frau Böcker, Sie sind mit 75 Jahren das älteste Ratsmitglied und seit 1975 dabei. Hätten Sie gedacht, dass es eine so lange Ratskarriere wird?

Böcker Bestimmt nicht. Ich war zwar schon immer ein politischer Kopf, stamme auch aus einer Familie, in der viel über Politik diskutiert wurde, aber niemand war Mitglied einer Partei. Als ich in den Rat einzog, war das noch außergewöhnlich für eine Frau.

Der größte Unterschied zu heute?

Böcker Heute würde wohl niemand mehr einer Frau raten, dass sie nach Hause gehen und sich um die Kinder kümmern soll.

Elsholz Ich schließe nicht aus, dass es noch heute solche Stimmen gibt.

Frau Elsholz, Sie sind mit 27 Jahren das jüngste Ratsmitglied. Was bringt eine junge Frau dazu, sich ehrenamtlich im Stadtrat zu engagieren?

Elsholz Gerade in der Kommunalpolitik kann man viel bewegen, in der eigenen Stadt, im eigenen Viertel. Wenn weit und breit kein Spielplatz ist, wenn die Schule nicht saniert wird oder wenn Frauen benachteiligt werden.

Was wollen Sie verändern?

Elsholz Ich denke, dass ich aus meiner Altersgruppe heraus Impulse setzen kann. Zum Beispiel in der Kind- und Jugendpolitik sehe ich noch Potenzial. Gleichstellung ist mir wichtig, denn es gibt nach wie vor Diskriminierung von Frauen.

Gibt es ein konkretes Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Elsholz Ich wünsche mir, dass Düseldorf zur Vorbildstadt bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen wird. Es sind ja Menschen, die nicht freiwillig zu uns kommen, sondern in höchster Not.

Frau Böcker, welchen Ratschlag geben Sie Ihrer neuen Ratskollegin?

Böcker Ich erteile ungern Ratschläge, weil jede Person und jede Zeit anders ist. Aber man sollte die eigene Meinung nicht aufgeben und mit den Bürgern im Gespräch bleiben.

Neuer SPD-OB, neue Mehrheit - im Stadtrat ist alles anders. Wie haben Sie die letzte Ratssitzung erlebt?

Böcker Es ist vor allem der Wille da, irgendwie zusammenzuarbeiten. Der neue OB Thomas Geisel macht nicht den Eindruck, als ob er ein Spalter wäre.

Elsholz Es war toll, dass Themen wie Flüchtlinge oder das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP diskutiert wurden. Der OB hat eine offene Art. Ich hoffe, dass er sich das bewahrt. Es wird spannend, wie die Zusammenarbeit zwischen ihm und der SPD-Fraktion wird. Negativ finde ich die letzte Reihe, wo mit Ausnahme des Piraten die rechtsgerichteten Kleinparteien sitzen. Ich wünsche mir eine gemeinsame Abwehr gegen Rechtspopulisten.

Böcker Die AfD zähle ich nicht dazu. Hier in Düsseldorf sind das ganz normale bürgerliche Ratsmitglieder, die in Wirtschaftsdingen offenbar gut Bescheid wissen.

Elsholz Für die Grünen ist jeder Kontakt zur AfD ausgeschlossen. Ich fände schade, wenn es bei der CDU eine Öffnung gäbe.

Böcker Es ist nicht gut, gewählte Parteien so abzulehnen. CDU und SPD haben es in den 1980er Jahren bei den Grünen auch so gemacht. Man durfte damals mit den Grünen nicht reden. Dabei hatten die gute Ideen. Mit dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses etwa habe ich hervorragend zusammengearbeitet. Mir wurde gesagt, ich könne doch gleich zu den Grünen gehen.

Es war nicht das erste Mal, Frau Böcker, dass Sie gegen den Strom in den eigenen Reihen schwammen und Druck bekamen ...

Böcker Ich habe mir nie das Wort verbieten lassen. Ich bin von den Bürgern gewählt und niemand anderem verpflichtet. Das halte ich bis heute so, etwa bei der Linie 708.

Sie stimmten als einziges Mitglied der CDU-Fraktion gegen den Bau der Bilker Arcaden. War der Druck hoch?

Böcker Immens. Erst da habe ich eigentlich verstanden, dass Menschen, die vielleicht nicht so widerstandsfähig sind wie ich, das nicht aushalten. Bei solchen Großprojekten geht es um viele Millionen Euro, da sind so viele Interessen im Spiel. Es gab mehrere Anträge, mich aus der Fraktion zu werfen.

Wäre das bei den Grünen denkbar?

Elsholz Nein. Wenn Sie starke Argumente haben, dass Sie einen Weg nicht mitgehen können und die anderen nicht überzeugen können, müssen Sie bei uns nicht gegen Ihre Meinung stimmen.

Frau Böcker, Sie waren 15 Jahre min der Regierung. Wie hart ist jetzt die Oppositionsbank?

Böcker Ich bin geprägt von der Opposition, das ist für mich nicht ungewohnt. Und ich weiß deshalb, was noch auf uns zukommen wird.

Was denn?

Böcker In der Opposition arbeitet man viel für den Papierkorb. Wer macht das schon gerne? Man kann Dinge nur eingeschränkt durchsetzen, muss dafür den Konsens finden mit der Mehrheit. Das ist nicht einfach, weil das eigene Profil nach außen eine große Rolle spielt.

Elsholz Ich habe das vermeintliche Produzieren für den Mülleimer ein Jahr lang mitbekommen und auch die Resistenz der damaligen Ratsmehrheit, was gute, inhaltliche Vorstöße anging. Das ist bitter und frustrierend. Ich wäre deshalb die Letzte, die einen guten Antrag ablehnt, bloß weil er von der "falschen Seite" kommt.

Was für ein Gefühl ist es, bald mitregieren zu können?

Elsholz Es wird schön sein, unsere guten Ideen umzusetzen.

Aber die Grünen sind nicht allein, sondern in einer Ampel ...

Elsholz Genau da kommen wir zu den Kompromissen. Aber im vorläufigen Ergebnis der Ampel-Verhandlungen erkenne ich uns klar wieder. Da ist viel grüner Anstrich drin.

Frau Böcker, Sie haben Englisch in Oxford und Französisch in Paris studiert, zwei Kinder, im Unternehmen Ihrer Eltern gearbeitet und sich politisch engagiert. Wie ging das alles?

Böcker Es war nicht einfach, weil es damals nicht so ein Betreuungsangebot wie heute gab. Meine Kinder hatten immer Priorität, deswegen musste das, was ich machte, kompatibel sein. Das politische Ehrenamt war nur möglich, weil mein Mann und meine Familie das akzeptiert und unterstützt haben.

Frau Elsholz, Sie sind in Polen geboren, kamen mit zwei Jahren nach Deutschland. Wie hat Sie das politisch geprägt?

Elsholz Sehr. Ich habe miterlebt, wie entscheidend es ist, die Sprache des Landes zu beherrschen, in dem man lebt. Andernfalls wird man schulisch und beruflich oft benachteiligt. Diese Erfahrungen habe ich familiär sammeln müssen und sie spiegeln sich in meinen politischen Themen wider: Gleichstellung, Sprachförderung, Integration.

Was halten Sie von dem Frauenanteil im Rathaus? Im Stadtrat 33 Prozent, bei den Grünen 45 Prozent, bei der CDU sogar nur 19 ...

Elsholz Ich bin sehr unzufrieden. Ich vertrete da auch eine radikale Position und fordere eine feste Quote von 50 Prozent.

Auch bei der Besetzung von Ämtern?

Elsholz Ja, und zwar bis in die obersten Ebenen.

Gehen Sie Sie da mit, Frau Böcker?

Böcker Ich bin nicht für eine starre Quote, habe mich aber immer dafür eingesetzt, dass möglichst viele Frauen in verantwortungsvolle Positionen kommen. Frau von Ahlefeld von den Grünen hatte den größten Anteil, dass sich etwas änderte. Sie gab den Anstoß für einen Frauenausschuss. Es fehlte dazu eine Stimme. Ich habe meine gegeben.

Enttäuscht, dass Schwarz-Grün doch nicht geklappt hat?

Elsholz Uns sind die Inhalte wichtig, aber wir hätten sicher auch in der Konstellation gut zusammengearbeitet. Ich habe ein solches Bündnis in der Bezirksvertretung 8 erlebt, es war menschlich top, inhaltlich super. Doch mit einem SPD-OB wäre es mit dieser knappen Mehrheit schwierig geworden. Der Wählerwillen zählt.

Böcker Gewünscht habe ich mir die Fortsetzung von Schwarz-Gelb. Da es dafür nicht gereicht hat, wäre Schwarz-Grün für mich als Experiment durchaus denkbar gewesen. Eine große Koalition aus CDU und SPD ist eine Option nur für den Notfall. Den haben wir nicht. Sie stärkt immer die radikalen Ränder.

DENISA RICHTERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(dr)
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