Düsseldorf Das Vermächtnis des Apothekers

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Professor Frank Leimkugel verwaltet die Sammlung des Apothekers Helmut Vester. Der hortete alles, was die Geschichte der Pharmazie dokumentiert - 15.000 Einzelobjekte aus fünf Jahrhunderten.

 Ein Buch des italienischen Arztes Petri Andreas Matthioli

Ein Buch des italienischen Arztes Petri Andreas Matthioli

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Gegen jedes Zipperlein ist ein Kraut gewachsen. Wo ließe sich diese alte Weisheit besser überprüfen als in der Bibliothek der Uni? Denn sie ist die Hüterin eines Schatzes: Kostbare, handkolorierte Kräuter- und Arzneibücher, Apothekerrezepte, Alchemie-Literatur - 15 000 Einzelobjekte aus fünf Jahrhunderten, die die Geschichte der Pharmazie dokumentieren. Zusammengetragen wurde die in Europa wohl einzigartige Sammlung von dem Düsseldorfer Apotheker Helmut Vester. Nun steht ein großer Teil zum Stöbern und Lesen jedem zur Verfügung, denn selbst das Mittelalter ist in den digitalen Zeiten angekommen.

Er muss ein besessener Sammler gewesen sein. Schon als Student und später dann, als er von seinem Vater die Löwen-Apotheke am Schwanenmarkt übernommen hatte, kaufte Helmut Vester, was einst zur Herstellung von Arzneien erforderlich war: Mörser, Waagen, alte Pflanzen- und Arzneibücher, Gläser mit getrockneten Pflanzen und Tieren. Ein Fundus von Wissen.

 Frank Leimkugel gewährt einen Einblick in die Sammlung alter Alchimiebücher, die der Uni gehört.

Frank Leimkugel gewährt einen Einblick in die Sammlung alter Alchimiebücher, die der Uni gehört.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

"Darüber hinaus trug er auch alle Informationen über den Apothekerberuf zusammen", berichtet Frank Leimkugel, Professor für Pharmaziegeschichte an der Uni. So hatte Vester für seine einzigartige Zettelsammlung Fragebögen an 8000 Apotheker verschickt, immerhin jeder zweite antwortete - und lieferte so Alltags-Informationen über die deutschen Apotheken, die Vester mithilfe von Zeitungsannoncen - selbst um die Hochzeiten seiner Kollegen - ergänzte. Außerdem hortete er alle pharmazeutischen Fachzeitschriften nahezu lückenlos seit 1780, über 20 000 Fotos, Filmmaterial, eine Münzsammlung, Holz- und Kupferstiche.

Doch wohin mit all diesen Schätzen? Wie Leimkugel berichtet, füllte die Sammlung "in Regalen systematisch geordnet, katalogisiert und archiviert" erst zwei komplette Stockwerke im Privathaus des Apothekers, später wurde ein Teil in Schloss Kalkum untergebracht. Auch finanziell geriet Vester offenbar immer wieder an seine Grenzen. "Er war in ständiger Geldnot, betrieb zeitweise ein eigenes Antiquariat, wo er dann einige seiner Bücher wieder verkaufte", so Leimkugel, "vermutlich um andere zu kaufen". Er ist Vester und seiner ausgeprägten Geschäftstüchtigkeit selbst begegnet, als er in den 1980-er Jahren für seine Doktorarbeit recherchierte - die gesuchten Informationen wurden Leimkugel gewährt, aber erst, nachdem er 800 Mark bezahlt hatte. In einem Interview mit der Rheinischen Post bekannte Vester 1970: "Ich habe es gerade immer so geschafft."

 Eine Seite aus einem Buch von Johann Gottlieb Mann

Eine Seite aus einem Buch von Johann Gottlieb Mann

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Sein Wunsch, das Archiv und die Sammlung an einem Ort zu präsentieren, ist nicht in Erfüllung gegangen. Als Helmut Vester 2002 mit 89 Jahren starb, war ein Teil seines Schatzes, darunter auch der legendäre Zettelkasten mit Informationen über die Apotheken Deutschlands, längst in einem Basler Museum untergebracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch die Düsseldorfer Universität bereits einen großen Teil der wertvollen Bücher erstanden. Darunter eines des ältesten, "Das Destilierbuch" von 1521 mit meisterlichen Kupferstichen, das die Kunst der Alchemisten schildert. Prachtvolle Lederbände wie "Deutschlands gefährlichste Giftpflanzen", auf dessen Seiten ein knallrot kolorierter Fliegenpilz leuchtet und das die "wichtigsten Hülfsmittel bei Vergiftungen" gleich mitliefert. Oder das umfassende Kräuterbuch des "hochgelehrten und weltberühmten Herrn Dr. Petri Andreae Matthioli", einem italienischen Arzt des 16. Jahrhunderts. Dieser frühe Mediziner hatte ein immenses Wissen über die Kraft der Natur angesammelt. Er propagierte, dass die Blätter und Samen von Klee in Wein getrunken, "nicht nur gegen das Seitenweh wirkt, sondern den Weibern ihre natürliche Zeit bringt." Und dass Lungenkraut, gedörrt und zu Pulver gestoßen "die schwürige Lunge treffentlich heilet." Aber ein Buch musste nicht mal alt und kostbar sein, um Vesters Interesse zu wecken. So kaufte er auch indische und japanische Arzneibücher aus dem 20. Jahrhundert. Dass er sie überhaupt nicht lesen konnte, schien sein Sammlerglück nicht zu schmälern.

(RP)
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