Kolumne Auf Ein Wort Der Blick für den Nächsten

Düsseldorf · Warum feiern wir eigentlich immer noch Advent? Unser Erlöser Jesus Christus ist doch schon vor 2000 Jahren gekommen. Worauf warten wir eigentlich noch? Gerade im Advent wird das Wesen des Christseins in der Spannung zwischen "schon" und "noch nicht" besonders deutlich. Wir leben in einer erlösten Welt und merken doch, wie viel noch fehlt. Alle Träume von einer besseren Welt, jeglicher Idealismus deuten auf jene unstillbare Sehnsucht des Menschen hin, dass noch etwas aussteht, noch etwas kommen wird.

 Autor Michael Hänsch ist Theologe und Geschäftsführer der katholischen Kirche in Düsseldorf.

Autor Michael Hänsch ist Theologe und Geschäftsführer der katholischen Kirche in Düsseldorf.

Foto: BS

Gott ist in Jesus von Nazareth Mensch geworden - vor über 2000 Jahren. Man könnte die beneiden, die ihn sehen, hören und umarmen durften. Aber heute? Jesus selbst sagt uns: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Nur in Erinnerung? Nur in Symbolen? Nein, Jesus macht es ganz konkret: "Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf." Und: "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

In den Tagen vor Weihnachten gilt es zu suchen, in welcher Gestalt Jesus uns heute begegnen will. Vielleicht in einem Kind mit seinen vielen Wünschen und Bedürfnissen. Eltern durchstreifen Kaufhäuser, um Geschenke für ihre Kinder zu kaufen. Die Werbung will ihnen sagen, was Kinder heute brauchen.

Der Blick auf das Kind im Advent lässt uns aber erkennen, was Kinder wirklich brauchen: Zeit, Geborgenheit, Verständnis, Geduld, Verzeihung und Liebe. Für Christen steht in jedem Kind Jesus von Nazareth selber da. Jesus identifiziert sich mit Kranken, Gefangenen, Obdachlosen, mit Fremden in vielfacher Form. Der Advent lädt ein, Jesus im Heute zu suchen. Im Kranken, der so einsam geworden ist; im Obdachlosen, der völlig ungeborgen sein Leben fristet; im Fremden, dem Ablehnung, Abgrenzung und Ausweisung drohen. Das alte Bild der Herbergssuche kann ganz aktuelle Züge bekommen. In keiner Zeit des Jahres wird der Blick für den Nächsten mehr gestärkt als im Advent.

Immer neu beten wir "Dein Reich komme". Der Erlöser ist schon da und doch scheint die Welt zu wenig erlöst. Im ersten Kommen Jesu, das wir an Weihnachten feiern, ist das Reich Gottes in unserer Welt angebrochen. Seine Vollendung steht aber noch aus. In jedem Advent sollte es sich weiter ausbreiten. Das geschieht, wo Liebe den Hass überwindet, Vergebung statt Vergeltung geübt wird, wo allen Gerechtigkeit widerfährt und man über banale Neuigkeiten hinweg eine frohe Botschaft verkündet, die das Leben erfüllt und auf ein Letztes hin verweist.

(RP)
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