Düsseldorf Der Entehrte von Flingern

Düsseldorf · Die Hans-Günther-Sohl Straße wird umbenannt. Dies hat der Stadtrat beschlossen. Die Debatte darüber war lang und emotional. Und sie zeigte, wie wichtig die Bewältigung der Vergangenheit auch heute noch ist.

Wenn politische Gremien tagen, ist es gut, emotionale Themen am Ende der Tagesordnung zu behandeln. So geraten die Debatten nicht außer Kontrolle, weil die meisten Teilnehmer den Wunsch verspüren, endlich zum Ende zu kommen, anstatt lange Reden über ihre oder die Befindlichkeit ihrer Partei zu halten, die wiederum Widersprüche aus dem anderen Lager nach sich ziehen und so weiter. Als am Donnerstagabend im Düsseldorfer Stadtrat die Debatte über die Hans-Günther-Sohl-Straße in Flingern begann, war die Sitzung bereits elf Stunden alt. Und dennoch wurde die Diskussion um diesen Tagesordnungspunkt lang und emotional geführt. Der Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte, Bastian Fleermann, freute sich über eine interessante und würdige Auseinandersetzung. "Es ging sachlich und größtenteils fair zu", kommentiert er.

FDP-Fraktionschefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann empfand die Diskussion als gutes Zeichen im Namen der Opfer und auch als sinnvoll, um der jungen Generation zu zeigen, dass man sich für eine verantwortungsvolle Gesellschaft engagiere. Besonders die CDU aber tat sich schwer. Fraktionschef Rüdiger Gutt gab die Abstimmung frei.

Dabei ist die Person Hans-Günther Sohl auch unter Historikern umstritten. Fleermanns Haltung ist da eindeutig. Im Gutachten der Mahn- und Gedenkstätte über den Vorstand der Vereinigte Stahlwerke AG wird dessen "besondere Rolle und seine grundsätzliche Nähe zum NS-Regime" hervorgehoben. Sohl trat bereits 1933 in die NSDAP ein, und auch wenn das oft so dargestellt werde, niemand musste dort eintreten, schon gar nicht so früh. Die Tochter von Hans-Günther Sohl hatte in der vergangenen Woche unserer Redaktion gesagt, ihr Vater sei kein Nazi gewesen. Eine Sicht, die Fleermann nicht teilt: "Nur etwa sechs Prozent der erwachsenen Düsseldorfer waren Parteigenossen. Die Mitgliedschaft war bis 1945 grundsätzlich freiwillig. Bei Leuten, die im Frühling 1933 beigetreten sind, kann man nicht sagen ,Die waren gar keine Nazis' - was sollen sie denn sonst gewesen sein?" Ebenso seien diese Menschen nicht unpolitisch gewesen. "Wer in eine politische Partei eintritt, ist nicht unpolitisch", sagt Fleermann. Sohl, der im Vorstand für die Rohstoffbeschaffung zuständig war, habe "eine besondere Rolle beim Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bei den Vereinigten Stahlwerken" gespielt, so das Resümee der Mahn- und Gedenkstätte. Dies zumindest ist eine Sicht, die nicht nur Sohls Tochter nicht teilt, sondern auch der Historiker Manfred Rasch, Leiter des ThyssenKrupp-Konzernarchivs. Mit Zwangsarbeitern habe Sohl gar nichts zu tun gehabt. Er sei als gelernter Bergassessor für die technischen Belange zuständig gewesen. Sicher habe Sohl von den Zwangsarbeitern gewusst, dies sei aber eine Notwendigkeit in der Kriegszeit gewesen, sagt Rasch und fügt hinzu: "Sohl hatte genug zu tun, um den Betrieb aufrecht zu erhalten."

Für die Mahn- und Gedenkstätte ist seine Berufung zu einem der rund 400 "Wehrwirtschaftsführern" im Jahr 1943, also einer exponierten und durch das Regime besonders herausgestellten Positionen der Rüstungsindustrie, ebenso ein Zeichen für seine Nähe zum Nationalsozialismus. Eine Bewertung, der Rasch widerspricht. Der Titel sei nicht von der Partei, sondern vom Oberkommando der Wehrmacht an viele führenden Personen der Wirtschaft vergeben worden. Zu den Wehrwirtschaftsführern gehörte etwa auch Ernst Poensgen, Mäzen und Förderer des Düsseldorfer Sports, Erbauer des Eisstadions an der Brehmstraße, dessen Name eine Allee in Grafenberg trägt.

Für Fleermann ist vor allem aber die Lage der Straße schwierig. "Ausgerechnet auf dem Gelände eines ehemaligen KZ-Außenlagers, in dem Menschen ausgenutzt wurden und gestorben sind, das ist moralisch höchst problematisch", sagt er.

Fleermann spricht damit das ehemalige KZ-Außenlager "Berta" an, ein Ableger des KZ Buchenwald, das sich in unmittelbarer Nähe zur Hans-Günther-Sohl-Straße befand. Damals wurden hier Leichtmetallteile für die Produktion der V2-Raketen hergestellt. Die Häftlinge schliefen in Stockbetten in einer Industriehalle, Strohdecken gab es für wenige, statt Schuhen trugen sie Zementsäcke an den Füßen. Ein SS-Oberscharführer hatte die Devise herausgegeben, "dass kein Häftling das Lager lebend verlassen würde". Und daran musste sich auch die reguläre Belegschaft halten. So war es etwa bei Strafe verboten, den halbverhungerten Gefangenen Essen zu geben. "Hinzu kommen mindestens acht mittlere und größere Zwangsarbeiterlager, die in einem Umkreis von maximal 100 Metern lagen und in denen ebenfalls rüstungsrelevante Produktion stattfand", heißt es in Fleermanns Gutachten. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Ehrung Sohls gerade an dieser Stelle befremdlich, "sehr unglücklich und unpassend" ist. Zumal weder ein Straßenname oder ein Mahnmal an die Häftlinge erinnert, die im Lager "Berta" oder in benachbarten Lagern arbeiteten und starben.

CDU-Ratsfrau Annelies Böcker wies in der Stadtratssitzung darauf hin, dass ja nicht nur die NS-Zeit für die Bewertung einer Lebensleistung zähle. Nach Böckers Ansicht stehen der Rolle von Sohl in der NS-Zeit große Verdienste nach dem Krieg gegenüber.

Für Fleermann aber ist sein Verhalten nach der NS-Zeit nicht gerade ein Ruhmesblatt. Seine Verdienste als Chef von Thyssen, dem damals fünftgrößtem Stahlkonzern der Welt, als BDI-Chef und Verfechter der Montanunion stünden zeitlebens sein Schweigen zu Zwangsarbeitern, zu seiner Rolle in der Hitler-Zeit entgegen. Auch in seiner Biografie umschifft er die Jahre 33 bis 45 geflissentlich. "Es gibt absolut gar nichts von ihm zu dem Thema", sagt Fleermann, weder aus der Zeit noch danach. Während Berthold Beitz als Wirtschaftsführer etwa Juden vor der Vernichtung rettete, während andere ihre Position ausnutzten, um etwa Rationen der Zwangsarbeiter heraufzusetzen oder wenigstens über ihre Rolle und die ihres Unternehmens reflektierten, habe Sohl nichts getan. Hans-Günther Sohl sei von historischen Fakten belastet, die bei der Benennung der Straße zu seinen Ehren im Jahr 1991 noch nicht bekannt waren, sagte SPD-Ratsherr Oliver Schreiber am Donnerstag, deshalb müsse die Straße umbenannt werden. Eine Ansicht, der die Mehrheit des Rates schließlich folgte. Die Straße soll nach der jüdischen Schauspielerin Luise Rainer benannt werden.

(RP)
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