Feiern in Düsseldorf Der Karneval, die Frauen und MeToo

Düsseldorf · Düsseldorfer(innen) lieben die jecke Zeit, das Bützen, das Flirten. Gleichzeitig kämpfen Frauen in der MeToo-Debatte gegen Belästigung. Wer das für einen Widerspruch hält, hat ein falsches Bild - auch vom Karneval. Eine Betrachtung.

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Foto: Jana Bauch

Nach dem Bekanntwerden unzähliger Fälle von sexueller Gewalt und Belästigung ist die MeToo-Debatte in vollem Gang. Die (nicht nur) sexuelle Selbstbestimmung der Frauen ist in den Fokus gerückt - und wird zu Karneval nicht daraus verschwinden. Kein anderes Fest ist so sexuell aufgeladen, das Flirten gehört zum jecken Treiben wie das Altbier und die Musik, Grenzen scheinen zu verschwimmen. Was bedeutet MeToo in diesem Zusammenhang? Wer muss, darf und soll sich wie verhalten? Und: Müssen speziell Männer verunsichert sein angesichts der vermeintlich neuen Grenzen im Umgang miteinander?

Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Denn die Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks haben sich durch die Debatte nicht radikal verändert, sie werden nur genauer angeschaut - und zu Karneval, das ist vielleicht die Schwierigkeit, sind sie womöglich aufgeweicht. Menschen wollen sich amüsieren, feiern, mal jemand anders sein und sich vielleicht anders verhalten. Für verbale Annäherungen und umso mehr das Anfassen gelten dennoch Regeln, die sich mit etwas Fingerspitzengefühl und Sensibilität leicht erfassen lassen.

Das Wehklagen einiger Männer, man dürfe einer Frau bald wohl kein Kompliment mehr machen, läuft schnell ins Leere, wenn man es mit Beispielen zu belegen sucht. Können Sie einer Frau noch sagen, dass ihr Froschkostüm nett aussieht? (Stellen Sie vorher sicher, dass es nicht etwa eine Heuschrecke oder ein Oger sein soll.) Oder dass ihr das Froschgrün gut steht? Und dann: Finden Sie es in Ordnung, einer Frau zu sagen, dass sie ihr Prinzessinnen-Kleid schön ausfüllt?

Sehen Sie? Meist ist es ganz einfach. Im Karneval ebenso wie im Leben vor dem Elften Elften und nach Aschermittwoch gilt. Situation einschätzen, Signale deuten, charmant, aber rücksichtsvoll verhalten, im Zweifelsfall - fragen. Nein als Nein verstehen. Und wenn Erwin bei einer Polonaise der Heidi tatsächlich von hinten an die Schultern fasst, wird er meistens damit durchkommen, es ist ja eine Polonaise, da rechnet man damit. Wenn Erwin sich kurzerhand fürs Festhalten an anderer Körperstelle entscheidet, sieht die Sache - vielleicht - anders aus.

"Eine Frau hat natürlich das Recht, zu feiern und zu flirten - und sie setzt Signale, um zu zeigen, wo ihre Grenzen sind", sagt auch die Gleichstellungsbeauftragte der Düsseldorfer Stadtverwaltung, Elisabeth Wilfart. "Eine positive Auswirkung der MeToo-Debatte ist es doch, dass jetzt mehr Sensibilität dafür herrscht, auf diese Grenzen auch zu achten und sie einzuhalten." Wenn ein Mann sich bei einem jecken Flirt zwischendurch frage, ob er an dieser Grenze nun schon angekommen sei, dann wäre schon ein wichtiges Ziel erreicht, fügt sie hinzu: "Und es ist doch nicht schlimm, dass diese Frage nun im Raum steht. Da braucht es nur ein bisschen mehr Kommunikation." Und, sagt die Frauenbeauftragte: "Das heißt ja Gott sei Dank nicht, dass nun die Prüderie in den Karneval Einzug hält und dass der Spaß vorbei ist." Denn die Freiheit und Ausgelassenheit die im Karneval herrschen, seien wichtig, um bei dieser Gelegenheit mal in eine andere Rolle zu schlüpfen. Übrigens - selbstverständlich gilt all das für beide Geschlechter. Auch Männer können sich belästigt fühlen, wenn ausgelassene Frauen beim Bützchen-Verteilen allzu rücksichtlos vorgehen und Signale übersehen. Im großen Kontext der MeToo-Debatte, in dem gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse eine wesentliche Rolle spielen, sind Frauen sicher häufiger die Opfer. Grenzen erkennen und respektieren müssen dennoch auch sie.

Auch die Kostüme sind in diesem Zusammenhang Gesprächsthema. Selbst wenn jemand zu Karneval als Streichholz ginge (Sie wissen schon: Einfach nix anziehen, roten Kopf kriegt man von alleine), hätte niemand das Recht, deshalb einfach mal hinzulangen. Tausende sexy Krankenschwestern, flotte Bienen und Polizistinnen in kurzen Röcken (und mit Handschellen, klar!) bevölkern zum Karneval die Straßen und Kneipen, und die haben sich ihre Kostüme selbst ausgesucht und fühlen sich wohl damit. Eben dieser Spaß am Rollenwechsel macht den Karneval so besonders. Auch hier, betont Wilfart, gilt selbstverständlich wie in jedem Kontext gleiches Recht für alle. "Wenn einer als Popeye geht und seine Muskeln zeigt, geht man als Frau ja auch nicht einfach ungefragt hin und fasst sie mal an."

Björn Lindert, Geschäftsführer des Kostümhandels Deiters, betont, dass es auch nach Silvester 2016 oder anlässlich der MeToo-Debatte keinen spürbaren Trend weg von solchen Kostümen gegeben habe. Weil es einerseits genug Alternativen gebe: "Wir haben ja auch viele plüschige Tierkostüme, die auch noch schön warmhalten, und auch viele lange Kleider. Andererseits sehe er aber keinen Grund, als Frau zu verzichten, wenn man das nicht will: "Es ist hoffentlich selbstverständlich, dass eine Frau kein Freiwild ist, nur weil sie ein sexy Kostüm trägt." Flirten, Belästigung und die Grenzen dazwischen sind aber nur der offensichtlichste Aspekt einer vielschichtigeren Angelegenheit. Sexismus ist nicht dasselbe wie sexuelle Belästigung, kann aber ein Nährboden für sie sein. Und so ist gerade diese freie, offene und - Gott sei Dank - ausgelassene Zeit auch geeignet, auf des Rheinländers liebstes Freudenfest zumindest einen reflektierten Blick zu werfen.

Übrigens vielleicht ja auch mal auf die Tatsache, dass Frauen zu Altweiber feiern, dass sie einen Tag lang die Macht im Rathaus übernehmen dürfen. Für viele ist das vor allem eine spaßige Angelegenheit, die mit Musik, guter Laune und gleichen Kostümen für die Freundinnen-Clique verbunden ist. Die aber eben auf Zeiten zurückgeht, in denen die Vorstellung des echten Rathausschlüssels in den Händen einer Frau tatsächlich, ja: jeck zu sein schien. Die Zeiten liegen hinter uns. Das bedeutet ja nicht, dass Altweiber morgen in Altmenschen umbenannt und eine liebgewonnene Tradition umgeschrieben oder gar verteufelt werden sollte. Aber wir sollten uns anschauen und verstehen, dass manches, das uns im Karneval wichtig oder selbstverständlich ist, auf einem alten Gesellschaftsbild beruht. Das schärft den Blick für Rollenbilder.

In einem englischen Museum ist jüngst ein Gemälde des Malers John William Waterhouse abgehängt worden, das einen griechischen Kämpfer zeigt, umgeben von sieben nackten Frauen. Das Museum hat das Werk entfernt, um eine Debatte über Sexismus in der Kunst zu beginnen. Kritiker schimpfen angesichts der aus ihrer Sicht dramatischen Zensur; einige argumentieren, das Überkommene am Frauenbild des Gemäldes sei schließlich ohnehin für jeden Betrachter offensichtlich. Aber jetzt wird über das Thema immerhin geredet. Und wieder hinhängen wollten sie es, soweit wir wissen, ohnehin.

(RP)
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