Düsseldorf Der Kö-Bogen-Beobachter

Düsseldorf · Seit die Baugrube auf dem Jan-Wellem-Platz ausgehoben wurde, verfolgt Gert May die Bauarbeiten. Ob falsch eingesetzte Balken oder die Ankunft der ersten Fassadenteile - ihm entgeht nichts. Auch Daniel Libeskind hat er schon getroffen.

Gert May ist der Kö-Bogen-Beobachter
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Gert May ist der Kö-Bogen-Beobachter

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Plötzlich war er wieder da, der Kennerblick aus seinem früheren Beruf: Elektro- und Fermeldetechniker hatte Gert May Ende der 1950er Jahre gelernt. Und als im Spätsommer 2011 in der riesigen Baugrube zwischen Hofgarten und Schadowplatz die Bauarbeiter gerade die Deckenbalken im ersten Tiefgaragen-Geschoss montierten, war es nur ein Halbsatz von May, im Vorbeigehen zugeraunt, der die Verantwortlichen des Kö-Bogens in Nervosität versetzte: Der Balken da hinten, der vierte von rechts, der sei falsch herum eingebaut.

Einem Laien wäre das nicht aufgefallen. Dutzende Balken, einer wie der andere. Doch da war die Öffnung, durch die später Elektro- und andere Versorgungskabel gezogen werden sollten. Und tatsächlich: Beim vierten von rechts, ganz hinten, befand sich diese Öffnung auf der falschen Seite. Der Fehler war in diesem Stadium des Baus schnell behoben. Aber es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn dies erst gegen Ende der Bauarbeiten aufgefallen wäre.

Dank für den Hinweis? Wollte May gar nicht. Ihn interessiert nur das Entstehen dieses Bauwerks im Herzen Düsseldorfs. Jeden Tag beobachtet er, was auf der derzeit prominentesten Baustelle der Landeshauptstadt passiert. Gleich nach dem Frühstück macht sich Gert May von seiner Kaiserswerther Wohnung auf den Weg Richtung Innenstadt.

Sein Termin heißt Kö-Bogen, erster Bauabschnitt. Den hat der 69-Jährige inzwischen mit 10 000 Fotos dokumentiert. Mindestens sechs Stunden lang dreht er täglich seine Runden um den Bauzaun, macht Fotos vom Parkhaus im Kaufhof an der Kö aus, das einen guten Ausblick auf das Objekt gewährt. Ob Schnee oder Regen - der Beobachter des Kö-Bogens ist stets dabei. "Auch manchen Sonnenbrand habe ich mir schon geholt." Wie es zu dieser außergewöhnlichen Leidenschaft kam? May hatte sich schon immer für die Entwicklung seiner Heimatstadt interessiert. Für die Veränderungen. "Denn alles andere ist rückwärtsgewandt." Er ist in der Altstadt groß geworden, ist noch mit der Straßenbahn durch sein Viertel gefahren. Er hat erlebt, wie die Hochstraße Tausendfüßler und die Berliner Allee gebaut wurden, wie inmitten dieser Verkehrsachsen die "Tuchtinsel" (Schuhhaus Böhmer) stehen blieb, weil die Eigentümer des Gebäudekomplexes sich geweigert hatten, zu verkaufen.

Er hat erlebt, wie der Jan-Wellem-Platz zum Hauptverkehrsknotenpunkt auch für Fernlinien nach Krefeld, Duisburg und Moers wurde - und wie der Platz nach und nach seine Bedeutung verlor. Der Bau der Wehrhahn-Linie hat May interessiert. Bis die Deckel drauf kamen und die Bauarbeiten unterirdisch fortgesetzt wurden.

Den Kö-Bogen hat er im Blick, seit er zum ersten Mal den Entwurf des Star-Architekten Daniel Libeskind sah: "Da hat es klick gemacht." Die Baustelle kennt May längst nicht nur von Außenperspektive. "Ich war im Tunnel drin, das ist gigantisch! Weiß gestrichen. Wahnsinn! Wahnsinn!" Seine Augen glänzen, als er davon erzählt. In all den Stunden, Tagen, Monaten und Jahren hat der Kö-Bogen-Spotter auch Kontakte zu den Kö-Bogen-Erbauern geknüpft: Erst grüßte man sich, dann gab's den ersten Small Talk über den Bauzaun hinweg.

Wenn es heiß war im Sommer, brachte May schon mal einen Kasten Wasser vorbei. Beim nächsten Treffen hat man sich angelacht und zur Begrüßung abgeklatscht. Inzwischen gehört der gelernte Elektrotechniker, der vier Jahrzehnte Taxis fuhr, fast schon zum Team der Bauarbeiter. "Wenn ich etwas nicht verstehe, mache ich mir zu Hause eine Zeichnung und durchdenke es noch mal."

Und wenn die Ingenieure ihm nachweislich eine falsche Antwort gegeben haben, konfrontiert er sie mir der Wahrheit. Immer freundlich und mit Respekt vor der Profession, aber streitbar in der Sache - das ist Mays Motto. Erst wenn die Bauarbeiter Hammer oder Kelle aus der Hand legen, macht sich auch Gert May auf den Weg nach Hause.

Dort steht ebenfalls der Kö-Bogen, und zwar gleich mehrfach: Der Sockel des Wohnzimmertischs ist in der Form der Libeskind-Häuser gegossen - aus Feinbeton von der Baustelle. Auch Bewährungseisen und Verschalungsmaterial, die nicht mehr gebraucht wurden, hat er verwendet.

Im Nebenraum entsteht ein besonderes Kö-Bogen-Modell: Verrostete Nägel, selbstverständlich von der Baustelle und dort nicht mehr gebraucht, formen die Libeskind-Bauten. Es gibt einen U-Bahn-Halt "Kö Bogen" und an der Landskrone eine Anlegestelle für Bötchen. Am Tunnelmund hängt ein Lkw, der zu hoch für die Einfahrt ist.

Mays ganzer Stolz ist jedoch ein Foto. Es zeigt ihn beim Richtfest im Gespräch mit Daniel Libeskind. Isabell Heier vom Projektentwickler "Die Developer" hatte ihn dazu eingeladen. "Allein beim Richtfest sein zu dürfen, war für mich der Hit", sagt May. Heier spielte "gute Fee" und brachte ihn für einige Minuten mit dem Architekten zusammen. Er sei ein großer Fan, der Kö-Bogen sei sein Baby, sagte May aufgeregt auf Englisch. "Nein, es ist mein Baby!", konterte Libeskind augenzwinkernd. Am Ende einigte man sich darauf, dass einer für das linke, der andere für das rechte Gebäude die Verantwortung bekommt.

(dr)
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