Düsseldorfer Geschichten Der Malerfürst und der Gießer

Düsseldorf · Markus Lüpertz arbeitet seit 30 Jahren mit Kunstgießer Karl-Heinz Schmäke zusammen. Ein Besuch in der Werkstatt.

 Markus Lüpertz bei der Arbeit im Atelier - mit vollem Körpereinsatz.

Markus Lüpertz bei der Arbeit im Atelier - mit vollem Körpereinsatz.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Fünf Säcke Gips hat Markus Lüpertz heute schon verbraucht. Und Sascha und Fritz, seine Assistenten, müssen sich sputen, denn der Künstler fühlt sich inspiriert - und hat noch viel vor. Fritz rührt den Gips an, Sascha tunkt die Holzwolle ein. Lüpertz schmiert und wirft die Stücke auf die Skulptur. Das geht so schnell wie ein Ballwechsel beim Tennis, bald ist schon wieder eine Schale leer. Lüpertz klettert auf die Leiter und wirft Gips, kommt herunter, hockt sich auf einen Schemel, dann liegt er plötzlich auf dem Boden, völlig verschmiert. Ein Bildhauer mit vollem Körpereinsatz.

Karl-Heinz Schmäke steht in der Tür und schaut mit verschränkten Armen zu. Er sieht skeptisch aus. Eigentlich war Lüpertz schon viel weiter mit seiner Skulptur des Himmelgotts Uranus gewesen, dann ist sie gestern umgestürzt. Der Künstler musste von vorn beginnen. Damit das nicht erneut passiert, ist das Gerüst nun an der Decke befestigt. Schmäke hat dennoch Bedenken: Lüpertz hat zunächst den massigen Torso modelliert, jetzt erst kümmert er sich um die dünnen Beinchen. "Aber der lässt sich ja nichts sagen."

 Gießer Karl-Heinz Schmäke vor einem Teil einer Aluminium-Skulptur von Eva Hild, die in Malmö stehen wird.

Gießer Karl-Heinz Schmäke vor einem Teil einer Aluminium-Skulptur von Eva Hild, die in Malmö stehen wird.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Schmäke, 70, ist einer der bekanntesten Kunstgießer in Deutschland, zu den Kunden seines Betriebs in Oberbilk gehören Tony Cragg, Per Kirkeby oder A.R. Penck. Zu Markus Lüpertz, 73, hat er ein besonderes Verhältnis: Seit 30 Jahren gießt er Skulpturen für den ehemaligen Rektor der Kunstakademie. Schmäke war dort von 1999 bis 2012 Professor. Lüpertz ist zudem der einzige Künstler, der in Schmäkes Betrieb auch ein Atelier hat. Der Gießer stellt es ihm kostenlos zur Verfügung - ein großer Name ist gute Werbung. Wenn Lüpertz in Düsseldorf ist und zeichnen will, bleibt er in seiner Wohnung im Ratinger Tor. Aber wenn er eine Skulptur schaffen will, tauscht der "Malerfürst" Anzug und Weste gegen seinen Kittel ein. "Und versaut mir die Werkstatt", sagt der Gießer, der sehr nüchtern über Kunst reden kann.

Bildende Künstler und Gießer haben ein besonderes Verhältnis, das gilt auch für Lüpertz und Schmäke. Für die Künstler ist es aus der Not geboren. Wer seinen Entwurf in Bronze oder Aluminium umgesetzt haben will, ist auf Unterstützung angewiesen. "Künstler sind hilflos", sagt Schmäke. Auch die virtuosesten Gebilde, die sich über die Schwerkraft hinwegzusetzen scheinen, taugen am Ende nichts, wenn sie umfallen, weil der Schwerpunkt falsch berechnet wurde.

 Ziselier David Baron arbeitet an einer Tony-Cragg-Skulptur.

Ziselier David Baron arbeitet an einer Tony-Cragg-Skulptur.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Kunstgießer muss umgekehrt verstehen können, welche Idee hinter einem Werk steckt. Auch in der Gießerei von Schmäke hängen eine Fortuna-Fahne und ein Kalender mit Pin-up-Girls, aber es ist eben ein Handwerksbetrieb mit besonderen Kunden. Lüpertz spricht von einer "Symbiose" zwischen Künstler und Gießer, denn nur wenn beide gut arbeiten, entsteht Kunst. "Der Gießer muss die Handschrift des Künstlers kennen", sagt er. Der Gießer sagt dem Künstler auch, was möglich ist - und was nicht. "Gießer unterdrücken die Künstler", sagt Lüpertz. Auch der kann sehr nüchtern über Kunst reden.

Schmäke weiß natürlich, worauf es Markus Lüpertz ankommt. In der Werkstatt stehen bereits gegossene Bronzeskulpturen, deren rauer Oberfläche man ansieht, wie impulsiv Lüpertz arbeitet. Schmäke hat für ihn auch den 23 Tonnen schweren Herkules gegossen, der auf dem THS-Turm in Gelsenkirchen thront. Bis aus dem neuen Entwurf aus Styropor und Gips eine Bronzestatue wird, ist noch viel zu tun. Die Gießerei erstellt eine Negativform aus Silikon, nach dem Guss folgen die Arbeiten an den Details. Den Aufwand für den "Uranus" schätzt Schmäke auf 1000 Arbeitsstunden. Dabei übernimmt Lüpertz die Bemalung sogar selbst. Bevor die Gießerei loslegt, muss jeder Künstler die Finanzierung geklärt haben - bildende Künstler haben es eben schwer.

Schmäke kennt auch die Handschrift vieler anderer Bildhauer, die in Düsseldorf wirken - und hat etliche bekannte Werke im öffentlichen Raum gegossen. Für Bert Gerresheim fertigte er 1988 das Stadterhebungsmonument. Es wurde in 550 Teilen gegossen. Schmäke erinnert sich an Arbeit unter Zeitdruck, weil das Werk zum Stadtjubiläum fertig werden sollte - und Gerresheim immer noch weitere Details einbauen wollte. Für Günther Uecker hat er kürzlich den goldenen Nagel gegossen, der vor dem Kö-Bogen steht.

Für einen besonderen Auftrag rief ihn der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin an: Zwei Mal hatten Spaßvögel am Rosenmontag das Kreuz auf dem Kurhut der Jan-Wellem-Statue geklaut. Das wollte Erwin nicht noch einmal erleben. "Jetzt hält sie", sagt Schmäke.

Während Lüpertz im Atelier am "Uranus" feilt, arbeiten die rund 30 Mitarbeiter an anderen Aufträgen. Man findet dort Berufe, auf die man sonst selten trifft: Ziselier, Wachsgießer oder Sandformer. Man sieht auch, dass es in einer Kunstgießerei keine Aufträge von der Stange gibt. In den Hallen liegen große Aluminium-Stücke, Teile einer Skulptur der Bildhauerin Eva Hild. Ein Riesenwerk: sechs Meter hoch, 7,50 Meter breit, fünf Meter tief. Die Skulptur soll in Malmö aufgestellt werden - Transport und Montage gehören zum Auftrag.

An anderer Stelle wird an Skulpturen mit den unverkennbaren geschwungenen Formen von Tony Cragg gearbeitet. Der erstellt Entwürfe manchmal am Computer - und ist eine Herausforderung für Gießer. Schmäke meint, die Ideen seien ohnehin komplexer geworden, seit er 1968 begonnen hat. Die Kreativität der Bildhauer führt den Handwerker an die Grenzen. "Manchmal steht man vor einem Modell und fragt sich, ob man das noch schafft."

Wann er den "Uranus" gießen kann, weiß Schmäke nicht. Lüpertz ist zufrieden, wenn er zufrieden ist. Und das ist sicher noch nicht jetzt, der nächste Gips wird angerührt. Hauptsache, der Entwurf fällt nicht wieder um - und der Künstler hört vielleicht mal auf gute Ratschläge.

(RP)
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