Niederkassel Der Mauerbrecherhof - Ein Dörfchen im Dorf

Düsseldorf · Der Mauerbrecherhof war Ende des 17. Jahrhunderts eine Poststation. Daraus wurde nun ein Dörfchen mit Sozial- und Seniorenwohnungen.

 Architekt Georg Eiker und Elke Schmittmann im Mauerbrecherhof.

Architekt Georg Eiker und Elke Schmittmann im Mauerbrecherhof.

Foto: Andreas Endermann

Die Geschichte des Mauerbrecherhofs in Niederkassel lässt sich anhand dreier Zahlen erzählen. Die erste führt weit mehr als 300 Jahre in die Historie des linksrheinischen Stadtteils zurück, die letzte wurde vor 30 Jahren graviert und schlägt eine Brücke in die Gegenwart, in ein Dörfchen im Dorf, das sich auch Menschen mit kleinem Budget leisten können - eine Rarität in einem teuren Wohnviertel.

Im Jahr 1679 wurde der Mauerbrecherhof zum ersten Mal in alten Urkunden erwähnt, kurz darauf eröffnete der Posthalter und Fuhrunternehmer Johann Mauerbrecher auf dem Gelände eine Poststation. Einige Jahre zuvor hatte er von Kurfürst Jan Wellem das Privileg erhalten, eine private "fahrende Post" zu betreiben und Personen und Güter zu transportieren.

1860 erwarb die Niederkasseler Familie Schmittmann, da schon seit Jahrzehnten mit ihrer Kornbrennerei erfolgreich, den Hof mit 70 Morgen Ackerland. Das hochprozentige Geschäft hatte laut Firmenchronik Adelheid Schmittmann 1818 gegründet, die clevere Witwe verkaufte den trinkfesten Treidelschiffern, Fuhrleuten und den Fahrgästen der Postkutschen ihren Selbstgebrannten - und sie lebte schon zu diesem Zeitpunkt auf dem Mauerbrecherhof.

Die dritte Zahl, eingraviert am Hofeingang: 1985. In jenen Jahren war der Mauerbrecherhof in ziemlich heruntergekommenem Zustand. Eine Getränkefirma stapelte im Hof Bierkisten, nebenan arbeitete ein Künstler, der gern die Teilnehmer der Fronleichnamsprozession schockte, weil er just zu diesem Zeitpunkt seine gemalten Nackten ins Fenster stellte. Hof-Eigentümer Günter Schmittmann (88) entwickelte gemeinsam mit dem Architekten Georg Eiker eine Idee: Er wollte auf dem alten Grund etwas Neues bauen - aber in einem Stil, der die Vergangenheit nicht verleugnet. Ein Dörfchen mit Sozial- und Seniorenwohnungen. "Das war in einer Zeit, als in Niederkassel der Boom einsetzte und die Mieten kletterten, eine soziale Tat", meint Georg Eiker heute.

Doch bis die ersten Mieter in ihr Dörfchen einziehen konnten, mussten etliche Hürden überwunden werden. Architekt Eiker erinnert sich an unzählige Änderungen der Grundrisse. "Es gab für alles Vorschriften, Dachneigungen und Firsthöhen mussten exakt übernommen werden, und mal war ein Wohnungsgrundriss zwei Quadratmeter zu groß, mal zu klein." Widerstand lösten selbst die geplanten roten Dachziegel aus, bis Eiker mit einer alten Postkarte beweisen konnte, dass sie immer schon rot waren - Schmutz hatte lediglich die Farbe verborgen.

Inspirierender war da schon der Anspruch des Bauherrn, möglichst Materialien und Details zu verwenden, die an alte Bauernhöfe am Niederrhein erinnern. Eiker: "Viele Niederkasseler erinnern sich noch an den einsamen Mitarbeiter einer Baufirma, der auf eigene Initiative monatelang an Wochenenden die alten Ziegel reinigte und zu Stapeln aufbaute, damit wir sie wieder verwenden konnten." Während Bauherr und Architekt am Niederrhein unterwegs waren, um Bauerngärten zu studieren.

Scheune und Ställe des einstigen Bauernhof-Alltags sind zweigeschossigen Gebäuden mit den alten Ziegeln und Dachgauben in weiß gestrichenem Holz gewichen. Sieben kleine Einfamilienhäuser und 13 Senioren- und Sozialwohnungen gruppieren sich um einen Dorfplatz mit einem steinernen Brunnen, der einst ein Schweinetrog war, mit Bänken und Buchsbaumgärtchen, in denen Rosen blühen. Die Eingänge schmücken Rosetten, die äußeren Zeichen innerer Balkenspanner. In den Mauern sind die Konturen von Scheunentoren angedeutet - Liebe zum Detail.

An der hinteren Grundstücksgrenze des Mauerbrecherhofes geht's unter einer Fachwerkkonstruktion hinab in eine Tiefgarage, "auch um deren Genehmigung haben wir lange gerungen". Da der Rhein (mit seinen Hochwassern) nah ist, wurde sie als eine Art Wanne gebaut, die bei steigendem Wasser wie ein Schiff schwimmt, durch Schlitze an den Seiten des Mauerwerks können die Fluten abfließen. "Das ist aber noch nie passiert" versichert eine Bewohnerin, die seit 30 Jahren im Mauerbrecherhof lebt. Nie würde sie hier wieder wegziehen. Von ihrem Erkerfenster im Wohnzimmer schaut sie direkt in einen Nussbaum und genießt vor allem eins: "Diese Stille!"

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort