Interview Claudius Löns "Der Tod wird zum Freund"

Düsseldorf · Im Fachgebiet des Palliativmediziners geht es nicht ums Heilen, sondern ums Lindern. Es geht um die Behandlung belastender Symptome einer schweren, letztlich zum Tode führenden Erkrankung. Aber: Es geht eben nicht nur ums Sterben.

Für Claudius Löns ist die palliative Umsorgung in erster Linie Arbeit in einem multiprofessionellen Team.

Für Claudius Löns ist die palliative Umsorgung in erster Linie Arbeit in einem multiprofessionellen Team.

Foto: Andreas Bretz

Warum wird man Palliativmediziner?

Claudius Löns In der Regel hat es biographische Gründe. Ich habe als Kind den Tod meines Vaters an einer Tumorerkrankung erlebt. Das war Ende der 60er Jahre, und es gab noch keine palliative Therapie. Motivation und Kraft für meine heutige Arbeit mögen wohl zum Teil aus diesem Erlebnis stammen.

Palliative Medizin wird immer assoziiert mit Tod und Sterben. Trifft es das?

Löns Lassen Sie es mich so sagen: Wir haben es mit Menschen in der Nähe des Todes zu tun. Wie lang diese Zeit bis dahin ist, kann keiner mit Bestimmtheit sagen. Also ist genau diese Zeit extrem wertvoll. Insofern geht's doch viel mehr um das Leben.

Was also ist Ihre Aufgabe?

Löns Palliative Umsorgung ist in erster Linie Arbeit in einem multiprofessionellen Team, die sowohl mit dem Patienten als auch im Team selbst auf Augenhöhe stattfindet. Das ist ein anderes ärztliches Denken, als wir es normalerweise erleben. Wir bieten einen "Baukasten", aus dem der Patient Elemente entnehmen kann, um so zu leben wie er leben will und eventuell auch so zu sterben, wie er sterben will. Dieses Konzept hat im höchsten Maße etwas mit der Autonomie des Patienten zu tun. Wir brauchen seine Selbstbestimmung, um seine Vorstellungen, Werte, Visionen zu verstehen, und gleichermaßen schützen wir eben diese, weil wir dem Patienten klare Hilfe bis ganz zum Schluss anbieten können.

Worüber reden Sie da genau?

Löns In der Palliativmedizin ist die Hilfe beim Sterben (nicht zum Sterben) eine klare und eindeutig definierte Möglichkeit, dem Patienten in schwierigster Situation beistehen zu können. Die "Palliative Sedierung" ist die Ultima Ratio der Bekämpfung der Symptome, die den Patienten am meisten belasten und unerträglich für ihn sind. Nach einer ausführlichen und vertrauten Aufklärung des Patienten und seiner Umgebung versetzen wir ihn nach seinem Wunsch in einen entspannenden, tief beruhigten Zustand, so dass er letztlich in seinen Tod hinein schläft. Diese Therapiemaßnahme läuft nach bestimmten Regeln ab und hat nichts mit aktiver Sterbehilfe gemein. Die allermeisten Patienten sind über diese Möglichkeit der Linderung ihrer Beschwerden so beruhigt, dass sie sehr selten zur Anwendung kommt.

Wie sieht die Organisation einer Palliativen Umsorgung genau aus?

Löns Der Hausarzt hält die Fäden der Therapie seines Patienten zusammen. Er kann den palliativen Facharzt zu Rate ziehen. Ein qualifizierter Pflegedienst unterstützt die medizinischen Maßnahmen und ist den speziellen Anforderungen in diesem Bereich gewachsen. Eine sehr große Rolle spielt die psychosoziale Betreuung durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter des ambulanten Hospizdienstes, die durch ihren Besuchsdienst der Familie, den Freunden und dem Patienten wesentliche Entlastung in schwieriger Zeit bringen können. Die Seelsorge, die Physiotherapie und eine flexible Apotheke gehören ebenso zu einem tragfähigen Team.

Die meisten Patienten haben Angst vor Schmerzen - was sagen Sie denen?

Löns Sie haben Recht. Die Betroffenen (und auch die meisten Gesunden) haben in erster Linie Angst vor dem Sterben und möglichem Leid - weniger vor dem Tod selbst. Heute sind wir aber mit sehr feinen Methoden in der Lage, die allermeisten Beschwerden auf ein für den Patienten erträgliches Maß zu reduzieren.

Betreuen Sie eigentlich vor allem Krebspatienten?

Löns Ja, die größte Anzahl der Patienten (jeden Alters) leiden an Tumorerkrankungen. Aber auch fortgeschrittene neurologische Krankheiten (ALS, MS) und besonders die fortgeschrittene Demenz sind Erkrankungen, die eine palliative Versorgung brauchen.

Wie geht man mit dem sicheren Tod der Patienten selber um?

Löns Für uns bedeutet ein guter Verlauf unserer Betreuung vor allem selbstbestimmtes, symptomengelindertes Leben bis zuletzt bei unseren Patienten. Sehr oft erlebe ich beim Patienten, dass im Verlauf der Erkrankung das Sterben und der Tod mehr und mehr in das Leben eingebaut werden. Der Tod wird irgendwann zum Freund. Er ist gleichsam ein tröstender, erleichternder Ausweg. Aber eigentlich immer erst dann, wenn die Lebenskraft des Patienten wirklich erschöpft ist.

Meinen Sie, dass die Inhalte Ihrer Arbeit eigentlich den Menschen bekannt sind?

Löns Bestimmt nicht genügend. Und ganz bestimmt nicht ausreichend, was die Inhalte angeht. Genau das hat die Diskussion über den assistierten Suizid eben nicht geändert. Immer noch redet man von Medizin für die Sterbenden und Schmerzbekämpfung. Entscheidungen über den Sinn von Chemotherapien oder chirurgischen Eingriffen bei weit fortgeschrittenen oder wiederkehrenden Tumorerkrankungen, Anlagen von Ernährungssonden bei schwerst dementen, alt gewordenen Bewohnern von Heimen sind ganz wichtige Felder der Palliativen Medizin.

Wie reagieren die Fachkollegen auf eine solche "Einmischung" in ihre Entscheidungen?

Löns (lächelt) Ja, das ist nicht immer leicht. Für manche Kollegen gilt der Einsatz der Palliativen Medizin als eine Art "Aufgeben" des Patienten. Aber ich habe den Eindruck, die verbesserte Versorgung der entsprechend Betroffenen u.a. durch das Palliative Care Team (PCT), das seit 2011 eine hervorragende ambulante Unterstützung bietet, führt zu einer deutlich besseren Akzeptanz und Wahrnehmung unserer Arbeit.

Muss man eigentlich gläubig sein, um einen solchen Beruf zu haben?

Löns (lacht) Es kann die Sache sicher erleichtern. Ob man oder welcher Religion man zuspricht, ist letztlich sicher nicht entscheidend für die Empathie, die man dem Patienten entgegenbringt. Sicher aber ist, dass der Angst vor dem Tod eine tragfähige Vorstellung über das eigene Lebensende entgegenstehen muss. Sonst wird es für die Seele des Behandlers wirklich eng...

DAS GESPRÄCH FÜHRTE HANS ONKELBACH.

(RP)
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