Durchs Dreischeibenhaus in Düsseldorf Der vertikale Osterspaziergang

Düsseldorf · Unser Autor durfte im Dreischeibenhaus bis nach oben steigen, hat wichtige Erkenntnisse gewonnen und weiß, wann er wiederkommt.

Durchs Dreischeibenhaus in Düsseldorf: Der vertikale Osterspaziergang
Foto: Endermann/Köhler

Bürohochhäuser sind heutzutage ungefähr so leicht zugänglich wie die Zugspitze. Wir leben im Zeitalter des Securitywahns, und in dieser Hinsicht ist man in den Bürotürmen ganz weit vorne. Dass ich in den Genuss kam, im codekartengesicherten, 26-stöckigen Dreischeibenhaus bis zur Dachterrasse aufzusteigen, und zwar ohne vorher einen Termin vereinbart zu haben (ich bin eher der spontane Typ), ist einzig und allein persönlichen Kontakten zu verdanken, sie machten den Weg frei. Ich muss diesen Umstand gleich am Anfang betonen, damit niemand auf die Idee kommt, das Haus sei öffentlich und man könne da einfach so reinspazieren. Das wäre ein Alptraum für die Mieter, vom Eigentümer gar nicht zu reden.

Ehe ich im Dreischeibenhaus, der früheren Thyssen-Zentrale, erfolgreich aufstieg, hatte ich zum Beispiel versucht, im GAP 15 hochzukommen, dem Büroturm am Graf-Adolf-Platz. Tolles Haus. Das Problem war, dass ich ohne Termin nicht an den Pförtnern vorbeikam und schon gar nicht durchs Drehkreuz. Ein Treppenhaus, wo man sich hochstehlen könnte, gibt es in solchen Bauten gar nicht mehr, beziehungsweise nur für Notfälle. Aber als Notfall ging mein Anliegen nicht durch. Als ich in meiner Ratlosigkeit draußen vor der Tür zwei rauchende Männer im Business-Outfit ansprach und sagte, ich würde gerne eine Hochhausbesteigung machen, eine Art vertikalen Osterspaziergang, und ob sie mich in ihr Büro mitnehmen, sprich durchs Drehkreuz schleusen könnten, blitzte regelrecht Panik in ihren Augen auf. "Das darf ich nicht!", beteuerte der eine. Der andere zischte, während er von mir abrückte, als wäre ich ein gefährliches Tier: "Das ist mir zu schräg."

Das Dreischeibenhaus gilt als Symbol des Wirtschaftswunders. Es ist ein "trophy building", wie es in der Sprache der Immobilienfachleute heißt. Eine Architekturikone. Außerdem, und das ist meines Wissens überhaupt noch nicht kommuniziert, handelt es sich um ein Kunstmuseum. Alle Welt denkt wahrscheinlich, dass Alltours in dem 94 Meter hohen Haus seine Zentrale hat. Oder dass die Immobilienfirma JLL dort mit ihrer Düsseldorfer Niederlassung vertreten ist. Oder dass Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen im Dreischeibenhaus arbeiten. Stimmt ja auch alles. Aber zur Wahrheit gehört ebenso, dass es in dem Haus mit seinen 30.000 Quadratmetern Bürofläche Wände ohne Ende gibt. Und deshalb auch haufenweise Kunst an den Wänden. Außerdem Skulpturen. Man könnte damit ganze Museen ausstatten.

"Schauen Sie mal hier raus", sagte Marcel Abel, der Geschäftsführer und Regional Manager bei JLL. Das Unternehmen ist im zweiten Stock ansässig. Der Blick geht auf die Baustelle vor dem Schauspielhaus, eine weite Brache, unter der sich die alte fünfstöckige Tiefgarage befindet, deren Deckel in Kürze abgenommen wird. Dann tut sich dort ein gewaltiges Loch auf. "Die Baustelle ist wie ein Wimmelbild für Erwachsene", sagte Abel. Dauernd Bewegung. Dauernd Spektakuläres. Früher hieß das Mantra der Immobilienbranche: "Lage, Lage, Lage". Marcel Abel dagegen sagt: "Infrastruktur, Infrastruktur, Infrastruktur." Wie der Platz vor dem Schauspiel umgebaut werde, das sei vorbildlich. Komplett autofrei. "Und wir dürfen mittendrin dabei sein." In einem Gebäude wie dem Dreischeibenhaus zu arbeiten ist, so verstand ich, ein Privileg. Es ist nicht vielen Menschen vergönnt. Abel zufolge rechnet man in solch einem Bau mit durchschnittlich 25 Quadratmetern Bürofläche pro Arbeitnehmer. Macht insgesamt gut 1000 Menschen, die das Dreischeibenhaus an jedem Werktagmorgen in der Art einer Destillerie aufnimmt und dann verarbeitet, um die Menschen abends, wenn die Arbeitsleistung aus ihnen herausdestilliert ist, wieder ins Privatleben zu entlassen.

Die Wände im Flur und in den Besprechungszimmern von JLL schmückten Werke des Düsseldorfer Künstlers Martin Denker. Psychedelisch wirkende Collagen aus Fotos und Malerei, knallvoll mit Menschen, Zeichen, Informationen. Interessant war, dass, je höher ich im Dreischeibenhaus aufstieg, nicht nur die Räumlichkeiten immer luftiger wurden. Auch die Kunst wechselte die Sprache und wurde ungegenständlich. In der Anwaltskanzlei Latham & Watkins, zehnte Etage, hing "High-Tech-Malerei" an den Wänden, "Vektorenbilder", deren Maserung Ähnlichkeiten mit dem alten Marmor aufwies, der im Dreischeibenhaus stellenweise im Boden verbaut ist.

Auch der Blick aus den Fenstern näherte sich der Abstraktion. In Stockwerk 19, Heimat der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, fühlte ich mich beim Blick aus dem Fenster wie in einem gläsernen Hubschrauber, der über der Stadt stillsteht. Im Empfangsraum, der die Abmessungen eines Basketballfeldes hatte, erstreckte sich eine edle, weiße Sitzmöbellandschaft. Der Boden stylischer, grauer Estrich. Und weit und breit kein Mensch, nur die zwei Mitarbeiter, die mich in Empfang nahmen. Ich begriff: Der Raum, den die Menschen im Dreischeibenhaus einnehmen, ist minimal. Je höher, desto leerer. Fast eine Parabel aufs Leben, da ja auch der Raum, den der Mensch auf Erden beansprucht, letztlich zu vernachlässigen ist. Das Meiste im Dreischeibenhaus ist Luft. Und Licht. Und Kunst. Bei Gleiss Lutz waren es flächige, comicartige Bilder, zum Beispiel eine stilisierte junge Frau mit offener Bluse und Zigarette, einem kreisrunden leeren Kopf - und ohne Hals. Der Hals war ausgespart. Als Feminist habe ich mit dieser Art von Kunst Probleme. Aber vielleicht ist sie ja als Provokation gedacht - um Feministen zu produzieren.

Ich wäre gerne länger in dem Haus geblieben. Es gibt dort so viel zu entdecken. Etwa im Stockwerk 22, wo der Eigentümer, der Unternehmer Patrick Schwarz-Schütte, sein Büro hat, die Dachterrasse Ost mit ihrer riesigen schlangenförmigen Biertheke. Spätestens am 11. Mai, vielleicht aber auch am 23. Mai, werde ich auf jeden Fall wiederkommen. Denn dann finden in diesem als Geschäftshaus getarnten Tempel der Kunst Theateraufführungen des Düsseldorfer Schauspielhauses statt. Das Stück heißt "Die dritte Haut: Der Fall Simon". Der 11. und der 23. Mai sind die einzigen Vorstellungen, die noch nicht ausverkauft sind. Ein Parcours führt die Zuschauer von Etage 22 bis ins dritte Untergeschoss. Unbedingt vormerken, die Termine. So leicht kommt man ins Dreischeibenhaus sonst nie.

(RP)
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