Düsseldorf Die Altstadt hat ein Original verloren

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Friseur Jochen Odenkirchen starb am Samstag beim Berlin-Marathon. Ein Nachruf auf einen ganz normalen und doch außergewöhnlichen Bewohner dieser Stadt.

 Paul Joachim Odenkirchen, genannt Jochen, starb am 24. September beim Berlin-Marathon.

Paul Joachim Odenkirchen, genannt Jochen, starb am 24. September beim Berlin-Marathon.

Foto: Benjamin Leers

Vor sechs Tagen starb - sehr plötzlich und aus bisher ungeklärtem Grund - in Berlin ein Mann, der weder besonders reich noch besonders berühmt war. Und doch zu jenen zählt, die Düsseldorf zu Düsseldorf machen.

Sein Gesicht kannten viele in der Altstadt vom Sehen. Teils seit Jahrzehnten frisierte Paul Joachim Odenkirchen, genannt Jochen, seine Kunden auf der Hohe Straße. Auch Pia Oertel, die Venetia von 2013, gehörte dazu.

"Er war ein Farbtupfer", sagt sein langjähriger Nachbar und Freund Marc Bläsius. Gleichzeitig war Jochen auch ein privater Mensch, der nie ganz alles von sich preisgab.

Er war zum Berlin-Marathon in die Hauptstadt gereist. Sport war seine Leidenschaft. In diesem Jahr nahm er am Inline-Skate-Rennen teil. Bis er bei Kilometer 34 kollabierte. Jeder Versuch, ihn zu reanimieren, scheiterte. Seine Freunde warteten vergeblich am Ziel auf ihn.

"Er starb bei dem, was er am liebsten tat", sagt sein Bruder Michael. Die beiden waren sich nah, "auch ohne viele Worte". Zweieiige Zwillinge, beide am 29. Juni 1958 in Mönchengladbach in eine nonkonformistische Familie hineingeboren. Der Vater Jazzmusiker, die Mutter Hausfrau. "Bei den Odenkirchens waren immer alle willkommen", erinnert sich Lothar Lauterbach, ein langjähriger Freund, inzwischen selbst Düsseldorfer.

 Sport war Jochen Odenkirchens Leidenschaft.

Sport war Jochen Odenkirchens Leidenschaft.

Foto: Götz Ulmer

Für die Mutter war es nie ein Problem, dass ihre beiden jüngsten Söhne schwul waren. "Wir waren ihr ein und alles - und umgekehrt", sagt Michael Odenkirchen. Der Schmerz war auch bei Jochen groß, als sie 1992 starb.

Als bodenständig beschreibt ihn sein Bruder, als solide und beständig. "Er mochte es kontinuierlich", sagt sein Kollege Nick.

Jeden Morgen saß Jochen mit Kaffee und Zeitung bei Woyton.

Jeden Mittag aß er einen Eintopf bei Dauser auf dem Carlsplatz.

Und jeden Abend trieb er Sport, oft am Rhein: joggen, Rad fahren, Inlineskaten. Manchmal so verbissen, dass Freunde und sein Bruder ihm rieten, doch etwas kürzer zu treten.

Jeden Sonntag waren alle zum Kaffeeklatsch bei Jochen eingeladen, in seiner ungewöhnlichen Wohnung in der Wallstraße, die mit vielen anderen auf eine gemeinsame Dachterrasse hinausschaut - im Sommer ein Blumenmeer.

 Jede Session feierte er leidenschaftlich Karneval, einen Tag immer in Mönchengladbach, ansonsten in Düsseldorf.

Jede Session feierte er leidenschaftlich Karneval, einen Tag immer in Mönchengladbach, ansonsten in Düsseldorf.

Foto: Lothar Lauterbach

Jede Session feierte er leidenschaftlich Karneval, einen Tag immer in Mönchengladbach, ansonsten in Düsseldorf. Der Tuntenlauf war ein fester Termin für ihn.

Jedes Jahr fuhr er in ein Zeltlager in Norddeutschland, wo er zu einer Institution wurde. Seine Auftritte als "Gloria De Heaven" waren das Highlight im Camp. Er stylte sich dann perfekt im Stil der 1940er Jahre. "Er hätte gern in dieser Zeit gelebt", erzählt sein Kollege André.

Einen echten Hollywoodstar dieser Zeit hat er auch einmal frisiert: Hildegard Knef, als sie in den 1980er Jahren in der Königsburg in Krefeld gastierte. Als Friseur war er bekannt für seine Hochsteckfrisuren und seine Schnitt-Technik nach Vidal Sassoon, die er bei "Bellezza", damals im Breidenbacher Hof, lernte.

1988 wechselte er in den Salon "Orange" in der Altstadt. Seine Kollegen beschreiben ihn als lieben Menschen. Ein Original, das gerne Witze riss und über Dinge lachen konnte wie ein kleines Kind. Auch über sich selbst. Jemand, der Pünktchen mit Streifen mischte und zum gelben einen grünen Socken trug.

Und den seine Freunde und sein Bruder trotzdem als schüchtern beschreiben, als bescheiden und eher in sich gekehrt. Den Reisen nervös machte, und der vielleicht auch an seinen Gewohnheiten festhielt, weil Veränderungen ihn aufregten.

"Du siehst alles so schwarz", hat er zu seinem Bruder bei einem ihrer letzten Treffen gesagt. "Du wirst sehen: Bald bricht ein Goldenes Zeitalter an."

Er glaubte fest daran.

(hpaw)
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