Kolumne Auf Ein Wort Die Erkenntnisse der Fastenzeit

Düsseldorf · Die Wochen nach Aschermittwoch bieten Gelegenheiten, um sich auf sich selbst zu besinnen.

In seinem Buch "Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt" erzählt uns der Schriftsteller Paulo Coelho eine marokkanische Version des Sündenfalls des Menschen, die etwas anders als die gängige biblische Version geht.

Eva ging durch den Garten Eden, als die Schlange sich ihr näherte. "Iss diesen Apfel", sagte die Schlange. Eva, die von Gott wohl vorbereitet worden war, weigerte sich. "Iss diesen Apfel", ließ die Schlange nicht locker, "denn du musst für deinen Mann noch schöner werden." "Das brauche ich nicht", entgegnete Eva. "Denn er hat keine andere Frau neben mir". Da lachte die Schlange. "Selbstverständlich hat er eine". Und weil Eva ihr nicht glauben wollte, führte die Schlange sie auf einen Hügel, wo es einen Brunnen gab. "Sie ist in dieser Höhle. Adam hält sie dort versteckt". Eva beugte sich darüber und sah das Spiegelbild einer schönen Frau im Wasser des Brunnens. Und aß umgehend den Apfel, den die Schlange ihr anbot.

Aufgrund dieser Geschichte behauptet man in Marokko, dass nur derjenige wieder ins Paradies einkehrt, der sich selbst im Spiegelbild des Brunnens erkennt und sich nicht mehr vor sich fürchtet.

Mit Aschermittwoch ist alles vorbei. Die fünfte Jahreszeit mit ihren Masken ist vergangen, zurück bleiben die wahren Gesichter. Nun stehen wir hier und jetzt, ohne Masken und Kostüme. In der Karnevalszeit durften wir ein anderer sein. Aber in der Fastenzeit bin ich, wer ich bin. Dieses Selbsterkennen lässt sich nur durch Reflexion und innere Einkehr gewinnen. Um das Wesentliche in mir zu erkennen, sollte ich meinen eigenen Lebensweg prüfen. Diese Prüfung geschieht in der Fastenzeit. Am Aschenmittwoch hören wir, was wir wirklich sind. "Mensch, bedenke, dass du Staub bist, und wieder zum Staub zurückkehrst." Ich kann mich nicht hinter meinem Kostüm und meiner Maske verstecken. Ich muss sie ablegen, damit ich zu einer Selbsterkennung komme. Ich trete ins Paradies nur ein, wenn ich mich in der Spiegelung des Wassers erkenne. Das Wasser spiegelt sich nur, wenn es still und ruhig ist. Ich beruhige mich in der Fastenzeit, damit ich im Spiegel des Lebens mein wahres Gesicht erkenne.

Bin ich erstens bereit, mein Leben ruhiger zu gestalten, und zweitens, meine Masken abzulegen, damit ich mich erkenne?

(RP)
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