Georg Schumacher "Die Fahrer sind seelisch verletzt"

Düsseldorf · Nach den Unfällen mit Straßenbahnen zum Wochenbeginn erläutert der Rheinbahn-Sprecher, wie das Verkehrsunternehmen seine Fahrer im Unglücksfall betreut und warum fast jeder Zwischenfall anders ist.

Georg Schumacher: "Die Fahrer sind seelisch verletzt"
Foto: Rheinbahn

Gleich zwei Unfälle mit Straßenbahnen hat es am Montag gegeben. Wie gehen die Fahrer der Trams mit solchen Geschehnissen um? Ein Interview mit Georg Schumacher, Sprecher der Rheinbahn.

Herr Schumacher, bei den Unfällen am Montag sind ein Motorradfahrer und ein Fahrradfahrer schwer verletzt worden. Wie gehen Straßenbahnfahrer damit um, wenn so etwas passiert oder gar jemand stirbt?

Georg Schumacher Da gibt es zwei Extreme: den einen, der am nächsten Tag direkt wieder einsteigt und fährt. Und den anderen, der nie mehr Bahn fahren kann. Zum Glück ist Letzteres sehr selten geworden, weil es mittlerweile eine sehr professionelle Betreuung gibt für die Fahrerinnen und Fahrer, die in solche üblen Situationen - oft schuldlos - geraten.

Wie sieht das genau aus?

Schumacher Das geht dann los, wenn der Fahrer sich bei der Leitstelle meldet und sagt: Hier ist ein Unfall passiert. Die Leitstelle fragt routinemäßig bestimmte Dinge ab und schickt bei einem schlimmeren Unfall einen Notfallhelfer hin. Das ist in der Regel ein ausgebildeter Kollege oder eine Kollegin aus den Werkstätten. Der lässt dann alles stehen und liegen und fährt so schnell wie möglich zum Unfallort.

Was ist die Aufgabe dieses Notfallhelfers?

Schumacher Der Unfallgegner wird ja von Feuerwehr und Polizei betreut. Der Fahrer dagegen ist in der Regel körperlich nicht verletzt - seelisch aber sehr wohl. Der Notfallhelfer kümmert sich nur um den Fahrer. Das nimmt schon sehr viel Druck weg. Der Fahrer soll das Gefühl haben: Du bist betreut, wir kümmern uns um dich. Möchtest du reden? Deine Ruhe haben? Willst du nach Hause zu deiner Familie? Willst du auf den Betriebshof? Der Notfallhelfer guckt einfach, was der Fahrer gerade braucht. Und am nächsten Tag gibt es dann üblicherweise ein Gespräch mit unserer Psychologin. Da wird geguckt: Wie hat derjenige das verarbeitet? Welche Hilfe braucht er jetzt?

Warum sind die Notfallhelfer keine Straßenbahnfahrer?

Schumacher Das sind bewusst Leute aus den Werkstätten, denn die können ihren Hammer fallenlassen, wenn was passiert ist. Ein Straßenbahnfahrer kann ja schlecht die Bahn stehenlassen und mit dem Taxi zum Unfallort fahren. Wir haben einen Stamm von acht bis zwölf Notfallhelfern mit Rufbereitschaft, so dass wirklich jederzeit jemand im Einsatz sein kann - auch, wenn mal mehr als ein Unfall gleichzeitig stattfindet.

Sprechen die betroffenen Fahrer auch untereinander über die Unfälle?

Schumacher Ja, bei Bedarf bilden die, die schon mal einen Unfall erlebt haben, einen Gesprächskreis, wo man sich einfach mal gegenseitig in die Augen guckt und fragt: Was ist bei dir passiert? Wie gehst du damit um? Was hat dir geholfen? Das Ganze unter einer professionellen Anleitung.

Welche Gefühle plagen denn in der Regel einen betroffenen Fahrer nach Ihren Kenntnissen?

Schumacher Tja, wenn das so genau wüsste. Diese echten, tiefen Gefühle, die kriegt man nur mit, wenn man selbst mal in so einer Situation war. Ich denke, es ist Verantwortungsgefühl: Ich war daran beteiligt. Natürlich die Frage: Hätte ich das verhindern können? Bis hin zu wirklichen Selbstvorwürfen: Wenn du noch schneller gebremst hättest, wenn du noch besser aufgepasst hättest - hättest du es verhindern können?

Wieso kommt es denn zu Unfällen mit Straßenbahnbeteiligung?

Schumacher Das ist extrem schwer einzukreisen. Es gibt etwa 100 bis 150 Straßenbahnunfälle im Jahr - im Vergleich zu etwa 26.000 Verkehrsunfällen in Düsseldorf insgesamt. Wenn man mit so großen Gefährten unterwegs ist und auf der anderen Seite die Leute nicht vorsichtig genug sind, passiert das leider. Es gibt aber keine Charakteristika, die alle Unfälle gemeinsam haben, oder Knotenpunkte, wo besonders viele Unfälle passieren. Nehmen Sie die Altstadtdurchfahrt, die es bis Februar noch gab: Da ist es sehr eng, da sind viele Leute unterwegs, einige sind auch betrunken. Aber da ist nie was passiert. Da, wo man miteinander rechnet, passiert oft nichts. Einer der letzten schlimmsten Unfälle, die wir hatten, ist dagegen in einem Waldstück in der Nähe des Tierheims passiert. Da hatte sich ein Betrunkener auf die Gleise gelegt. Da rechnen Sie mit keinem Menschen! So ein tragisches Ding - aber wie sollte man das vorhersehen?

HELENE PAWLITZKI FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort