Serie So Wohnt Düsseldorf Die Gründerzeit-Siedler von Oberkassel

Düsseldorf · Der Kyffhäuserblock wurde gebaut, als die Luegallee noch jung war und im linksrheinischen Stadtteil der erste große Bauboom herrschte. Die Wohnungen weisen architektonische Besonderheiten auf.

60 Wohnungen ganz unterschiedlicher Größe gibt es in dem Gebäudekomplex im Linksrheinischen, in dem auch Familie Berkemeier lebt.

60 Wohnungen ganz unterschiedlicher Größe gibt es in dem Gebäudekomplex im Linksrheinischen, in dem auch Familie Berkemeier lebt.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Der Kyffhäuserblock. Das klingt mächtig, imposant, nach einer Architektur mit eingebautem Ausrufezeichen. Tatsächlich ist dieser große, weiße Komplex an der Luegallee ein Monument der Gründerzeit, die erste große Wohnanlage des 20. Jahrhunderts in Oberkassel. Dazu eine Stein gewordene Geschichtsstunde, die von der rasanten Entwicklung eines Stadtteils vor gut 100 Jahren berichtet. Und aus dem vierten Stock des Eckhauses blickt Kaiser Barbarossa von der Fassade auf den Straßenverkehr.

Der Fortschritt kam auf Schienen - und mit einem Brückenschlag. 1898 rollte die erste Bahn über die Oberkasseler Brücke Richtung Krefeld, verband den Stadtteil mit dem rechtsrheinischen Düsseldorf. Diese Entwicklung bescherte Oberkassel einen beispiellosen Bauboom und der Rheinbahn ein glänzendes Geschäft. Sie erwarb von den Bauern Land für 70 Reichspfennig pro Quadratmeter, erschloss, parzellierte und verkaufte die Baugrundstücke einzeln für 70 Reichsmark weiter. "Jeder, der ein Grundstück kaufte, baute nach seinen individuellen Vorstellungen, diese Vielfalt macht den Stadtteil bis heute so reizvoll", meint Georg Eiker, Vorsitzender des VVV, dem Verschönerungsverein für das Linksrheinische.

Ausschnitt aus dem Mietvertrag für die Kyffhäuser: Diese Skizze zeigt den Häuserblock in seiner ursprünglichen Form, als er bis zur Kyffhäuserstraße ging.

Ausschnitt aus dem Mietvertrag für die Kyffhäuser: Diese Skizze zeigt den Häuserblock in seiner ursprünglichen Form, als er bis zur Kyffhäuserstraße ging.

Foto: VVV

Die Luegallee trug erst drei Jahre ihren Namen, die Antoniuskirche war 1910 gerade fertig geworden, da klaffte genau gegenüber ein riesiges Bauloch: Nach den Plänen des Architekten Gustav Utermann sollte ein Wohnhaus von neuer Dimension entstehen, das sich über einen ganzen Straßenblock erstreckte, von der Schorlemer- bis zur Kyffhäuserstraße. Mit hohen Giebeln, Erkern und Balkonen, Fassaden-Ornamenten und reichlich Platz fürs hochherrschaftliche Wohngefühl inklusive Müllschlucker, Telefonanlage und Zentralheizung.

Doch die Zeiten sind nicht spurlos an diesem Ensemble vorübergegangen. Dass der Komplex früher bis in die Kyffhäuser Straße ragte, lässt sich heute nur noch auf alten Zeichnungen erkennen, das Eckgebäude fehlt, wurde vermutlich durch eine Bombe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Heute füllt ein gesichtsloser Nachkriegsbau die Lücke. Ein Baudenkmal ist der Komplex allemal, gilt er doch als "eindrucksvolles Beispiel für den Wohnungsbau von 1910 für höchste Ansprüche".

Kristina Berkemeier in ihrer Küche in der Wohnung, die sie mit ihren beiden Töchtern bewohnt.

Kristina Berkemeier in ihrer Küche in der Wohnung, die sie mit ihren beiden Töchtern bewohnt.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Die höchsten Ansprüche mögen nach heutiger Luxus-Messlatte vielleicht nicht mehr zutreffen, "aber der Charme der Gründerzeit-Architektur mit ihren hohen Decken und großzügigen Grundrissen ist lebendig", sagt Kristina Berkemeier. Die Stewardess lebt mit ihren beiden Töchtern seit drei Jahren in einem der fünf Häuser des Komplexes: 115 Quadratmeter mit vier Räumen, altem Parkett, zwei Balkonen, einem zur Verkehrsader Luegallee ("das muss man mögen"), einem winzigen zum ruhigen Hinterhof. Und Details, die sich heute kein Architekt mehr einfallen ließe: So verbindet hinter der Küche ein schmaler Flur eines der Töchter-Zimmer mit dem Rest der Wohnung.

Von den 60 Wohnungen ist kaum eine wie die anderen, etliche sind im Laufe der Jahrzehnte verkleinert, dann auch wieder vergrößert worden. Manche kommen mit nur knapp 50 Quadratmetern ganz bescheiden daher, andere breiten sich auf 200 Quadratmetern aus. Allein deren Dielen sind so geräumig, dass selbst ein Billardtisch spielend hineinpassen würde. Auch wenn das Reich von Kristina Berkemeier deutlich bescheidener wirkt, sie liebt diese Wohnung mit ihrer knallblauen großen Küche, der man ansieht, dass dort gern und viel gekocht wird. Mit den Mitbringseln aus aller Welt, Fabelwesen aus Mexiko ebenso wie Stoffe von Mallorca, die heute dem alten Sessel ihres Großvaters einen neuen Look verpassen. Und sie schätzt die Hausgemeinschaft, die herzlich sei, aber niemals aufdringlich. "Ob mir ein Ei fehlt oder ich ein Problem mit dem Computer habe, ich kann immer irgendwo klingeln." Auch als sie neulich ihren Geburtstag mit 50 Gästen feierte, habe sich niemand beschwert.

Nur eins bedauert Kristina Berkemeier: Unterm Dach existieren noch die alten Mansardenzimmer, die früher mitvermietet wurden. So eins hätte sie gern, "das wäre doch ein tolles Gästezimmer". Doch dies verhindert heute der Brandschutz. So sind die modernen Zeiten längst in den alten Kyffhäuserblock gezogen.

(RP)
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