Serie Düsseldorfer Geschichte(n) Die rauschenden Feste im Malkasten

Düsseldorf · Der legendäre Künstlerverein war schon Ende des 19. Jahrhunderts für seine oft recht freizügigen Feiern berühmt.

 Zwischen Klamauk und großer Inszenierung: Als "Neandertaler" hatten Düsseldorfer Künstler ihren großen Auftritt beim "Jahrtausendfest" 1925.

Zwischen Klamauk und großer Inszenierung: Als "Neandertaler" hatten Düsseldorfer Künstler ihren großen Auftritt beim "Jahrtausendfest" 1925.

Foto: Malkasten-Archiv

Ganz still liegt er da an diesem Wintermorgen. Kein Fußtritt krümmt die Grashalme, kein Lachen stört die Ruhe. Und nichts erinnert daran, dass der Park des Malkasten, dieses intime Stückchen Natur mitten in der Stadt, mal eine Oase der Freizügigkeit war. Ein Ort für verrückte, wilde, fantastische Feste, für historische Umzüge und prachtvolle Inszenierungen. Im Archiv des Künstlervereins ist die Erinnerung an die "Feste zur Ehre und zum Vergnügen" noch lebendig. Auch an honorige Künstler, die im Baströckchen und mit blanker Brust die Nächte durchtanzten.

Die Stadt war im Rausch. Im Festrausch. Denn seine Majestät Kaiser Wilhelm I. war 1877 mal wieder zu Herbstmanövern im Rheinland unterwegs. Danach gab er den Düsseldorfer Künstlern die Ehre und krönte mit seiner hochwohlgeborenen Anwesenheit das Kaiserfest im Malkasten. Nachdem sich der Monarch samt Gemahlin und Gefolge mit Lachs aus dem Rhein, Hummer auf Remouladensauce und Pudding à la Diplomatie gestärkt hatte, begann ein dreistündiges Spektakel.

 "Ich, die schönste aller Frauen" - Eva Hackenbroich in großer Pose 1930.

"Ich, die schönste aller Frauen" - Eva Hackenbroich in großer Pose 1930.

Foto: Malkasten-Archiv

"Monatelang hatten die Künstler diesen Abend vorbereitet, hatten viele tausend Reichsmark investiert", berichtet Sabine Schroyen. Die Kunsthistorikerin hat die Geschichte des Malkasten erforscht, betreut seit vielen Jahren das Archiv und hütet einen Schatz: Schränke voller Zeugen dieser glanzvollen Zeit mit Kostümentwürfen, Fotos, Plakaten, Textbüchern, Eintrittskarten. Alle von den Künstlern gestaltet, meist als Farblithografien gedruckt - viele Stücke wären heute wohl begehrte Sammlerobjekte, wenn mehr Exemplare erhalten geblieben wären.

Im Malkastenarchiv aber existieren sogar noch alte Rechnungen der Düsseldorfer Handwerker, die im Auftrag der Künstler Material für Kostüme und Kulissen lieferten. Und von Kopisten, die Noten für die Musiker abschrieben - Vervielfältigung im 19. Jahrhundert. Für das "Kaiserfest" waren extra Gasleitungen im Park verlegt worden, damit die Figuren aus der deutschen Sagenwelt, auf riesigem Transparentpapier gestaltet, illuminiert werden konnten.

 Alles nicht so ernst gemeint: 1929 trat der "Morphiumclub" zur Gaudi des Publikums auf. Man achte auf die Kopfbedeckungen der Herren.

Alles nicht so ernst gemeint: 1929 trat der "Morphiumclub" zur Gaudi des Publikums auf. Man achte auf die Kopfbedeckungen der Herren.

Foto: Malkasten-Archiv

Das Kaiserpaar wurde von Elfen umtanzt, auf dem "Venusteich" schipperten Nixen in einer Gondel, und "Vater Rhein" grüßte von einer Felsengrotte. In einem mittelalterlichen Zug ritten Raubritter, gefolgt von lebendigen Jagdszenen aus dem 17. Jahrhundert. Die Gäste (vorgeschriebene Kleidung: Frack für die Herren, "Promenaden-Toilette" für die Damen) jauchzten ergriffen. Und das "hohe Paar", so ein Augenzeugenbericht, "gab seiner lebhaften Freude über die glänzende Illumination wiederholt Ausdruck."

Die Düsseldorfer waren meist willkommen bei den Künstlerfesten, sie liebten diese Mischung aus großer Theaterinszenierung und ausgelassener Fröhlichkeit, aus kunstvollem Arrangement und Klamauk. Einen Anlass gab's immer: ob Frühlingsbeginn oder Karneval, Jubiläen oder Silvester. "Erst mach' dein Sach', dann trink und lach", getreu diesem Motto wurde das erste Fest zur Gründung des Künstlervereins 1848 gefeiert.

 Sie ließen die Vergangenheit des Rheinlands wieder lebendig werden - und trotzten wie echte Legionäre dem Wetter: die "Römer" beim "Jahrtausendfest" 1925.

Sie ließen die Vergangenheit des Rheinlands wieder lebendig werden - und trotzten wie echte Legionäre dem Wetter: die "Römer" beim "Jahrtausendfest" 1925.

Foto: Malkasten-Archiv

Waren diese Abende zunächst von einem romantisch-märchenhaften Charakter geprägt, bei denen häufig die Werke der Düsseldorfer Malerschule als "Lebende Bilder" dargestellt wurden, sollten später auch Grotesken zum Besten gegeben werden wie 1883 "Das versimpelte Crocodil", in der die Geschichte des letzten ägyptischen Pharaos auf neue und niemals ernstzunehmende Weise interpretiert wurde. In der Einladung fand sich der Hinweis an das Publikum, man möge doch "Eau de Düsseldorf" mitzubringen, da es in einigen Akten etwas streng riechen würde.

Auch ein geeignetes Festmotto fiel den Künstlern immer ein. Sie arrangierten das "Dürerfest", den "Besuch Goethes bei Jacobi", ließen beim "Wilhelm-Busch-Fest" Max und Moritz und andere legendäre Figuren als Stabpuppen tanzen. Mal bauten sie ein arabisches Café in den Malkastenpark, mal empfingen sie (1906) den chinesischen Vizekönig Tuan Fang. "Und immer wurde die obligatorische Fest-Bowle kredenzt mit einem Fassungsvermögen von 100 Litern Wein", berichtet Sabine Schroyen.

Doch nicht immer herrschte Einigkeit über die Fragen der Gestaltung, vor allem in den 1930er Jahren, als es zu ersten Problemen zwischen traditionell ausgerichteten und avantgardistischen Künstlern kam, so die Archivarin. Vordergründig wurden die Differenzen rund um die Festbühne ausgetragen. "Na wat denn?" hieß das Motto der Redoute 1931, dazu hatten einige jüngere Mitglieder das Billardzimmer dekoriert - mit lauter Nackten, die von der Decke schwebten. "Und über dem Büfett thronte als Putte im Kostüm der Eva in all ihrer Pracht Mutter Ey", schrieb eine Düsseldorfer Zeitung. Unerhört! Nach Protesten erklärten sich die jungen Maler zu einigen Verhüllungen bereit: "Die Gestalten erhielten sämtlich um die Mitte des Leibes eine Gemüsegarnierung und Frau Ey gar ein Röckchen aus Krepppapier."

Einige Jahre später endete die Zeit der legendären Feste, von denen einige aus dem üblichen Spektakel besonders herausragten. Eine gigantische Inszenierung war das "Jahrtausendfest" 1925, das zur Erinnerung an die 1000-jährige Zugehörigkeit des Rheinlandes an das deutsche Reich gefeiert wurde. Dazu brachten die Künstler mehr als 1000 Mitwirkende - Ritter, Römer, Landsknechte - auf die Bühne und ließen die Entwicklung des Rheinlands seit der Steinzeit auf sehr spezielle Weise lebendig werden. Ehrwürdige Professoren der Kunstakademie spielten im Baströckchen und mit wirrer Haarpracht "Neandertaler", wobei sie in ihrer Kostümierung eher wie ein wilder Südseestamm wirkten.

Eine Woche lang wurde die Inszenierung jeden Abend wiederholt und von insgesamt 15 000 Zuschauern bejubelt. Zeitzeuge Richard Sonnemann, ein Diplomingenieur in Ritterrüstung, erinnerte sich später: "Die Proben waren grausam und langweilig. Nichts klappte. Der Regisseur tobte." Vermutlich auch deshalb, weil bei der Generalprobe ein Pferd unter die Bühnenrampe, dort wo der Platz des Orchesters war, stürzte und eine Posaune zertrampelt hatte. Und dann das Wetter! Bei der Premiere regnete es unentwegt, "das Wasser sickerte durch das Panzerhemd. Wir froren wie die Affen." Am schlimmsten waren wohl die "Germanen" dran, die nur Badehosen trugen und etwas Fell um Hüften und Schultern. Fazit: "Von Karl dem Großen bis Napoleon triefte alles."

Doch da nahte die Rettung des tapferen Ensembles in hochprozentiger Form: Sonnemann: "Zum Schluss war alles blau, infolgedessen klappte die Aufführung vorzüglich." Und die Landsknechte zogen so johlend-echt in die Schlacht bei Worringen, dass das Publikum vor Vergnügen raste.

Zwei Jahr später reiste König Fuad von Ägypten zum Staatsbesuch ins Deutsche Reich, für die Künstler ein Anlass, ihm auf ihre spezielle Art zu huldigen: mit einem Gartenfest. Vorstandsmitglied Rudi vom Endt schlüpfte mit Schnurrbart, rotem Fez und langem Überrock in die königliche Rolle, eine Freundin aus Kuba gab eine prachtvolle ägyptische Königin ab. Später erinnerte sich Rudi vom Endt: "Sie sprach kein Wort Deutsch, was dem Klamauk durchaus dienlich war."

Die 1920er Jahre waren auch die Zeit, in der die Künstler neue Formen der Unterhaltung ausprobierten. Sie gründeten das Kabarett "Die Palette", schrieben freche Texte für eine "Kammer-Revue" und traten gern mal in Pluderhosen auf, auf dem Kopf schräg aufgesetzte Kochtopfdeckel. Ältere Mitglieder waren wohl kaum amüsiert, wenn eine Reichstagssitzung als Puppentheater wiedergegeben wurde. "Aber im Grunde ist eine Revue erst eine richtige Revue, wenn ältere Herren das Haupt schütteln", kommentierte vom Endt. Und lauschte lieber der Darstellerin Eva Hackenbroich, die in ihrem Lied der Diva bekannte:

"Ich, die schönste aller Frauen,

bin der Filmstar Pi-Pa-Po.

Meine schön gemalten Brauen

machen 1000 Männer froh."

(RP)
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