Düsseldorf Die Zwiebel: Traditionskneipe mit ehrlicher Haut

Düsseldorf · Wer die "Zwiebel" in der Düsseldorfer Altstadt betritt, verlässt die Gegenwart. Seit 40 Jahren steht die Tür der Kneipe jedem offen.

 An der Ecke Mertensgasse/Mühlenstraße liegt die „Zwiebel“, eine der bekanntesten Kneipen der Altstadt.

An der Ecke Mertensgasse/Mühlenstraße liegt die „Zwiebel“, eine der bekanntesten Kneipen der Altstadt.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Wenn Schnaps die Antwort ist, spielt die Frage sowieso bald keine Rolle mehr. Wer wissen möchte, was ihn erwartet, wenn er die "Zwiebel" betritt, wirft am besten einen Blick auf die Getränkekarte. Dort steht nicht nur das vielleicht schönste Wort der deutschen Sprache, Magenbitter, dort steht nicht nur die Auswahl an Bier, Weinen, Sekt und Whiskeys, sondern dort steht auch eine alle anderen Rubriken übertreffende Liste mit Spirituosen. Magenbitter, um das Essen zu verdauen, Schnaps, um das Leben zu verdauen. Der Rest, um Spaß zu haben.

Seit 40 Jahren gibt es die "Zwiebel" an der Ecke Mertensgasse/Mühlenstraße, eine Eckkneipe ist sie aber nicht. Weil sie dafür ein paar Quadratmeter zu groß ist. Weil dafür zu wenige alte, zerknitterte Männer an der Theke sitzen. Weil in einer Eckkneipe nicht getanzt wird. Eventkneipe heißt so etwas wohl heutzutage, es gibt schließlich auch einen Billardtisch, Spielautomaten, Flipper und Dartscheibe, aber das klingt viel zu modern für einen Laden, auf dessen Homepage steht: "Wer nach Jahren der Abwesenheit wieder kommt, fühlt sich, als wäre kaum ein Augenblick vergangen." Wenn "urig" nicht so ein abgenudeltes Adjektiv wäre, käme es an dieser Stelle zum Einsatz. Theke, Bänke und Hocker sind so alt wie die Kneipe, das Holz hat Schweiß und Tränen der Jahrzehnte in sich aufgenommen. Der Noppenboden ist an einigen Stellen abgerissen, darunter ist der blanke Beton. Diese Kneipe macht einem nichts vor. Schickimicki ist nicht.

Dass alles so bleibt, dafür sorgt Klaus Schliesky. Schliesky ist 70 und betreibt die Kneipe, seitdem sie 1974 zum ersten Mal öffnete. So lange wie er machen das in der Altstadt nur die Betreiber von "Die Kneipe" und "Julio". Schliesky ist so ehrlich und herzlich wie sein Laden. Er sagt: "Bis vor zehn Minuten hat mir das Gespräch mit Ihnen noch Spaß gemacht, aber jetzt dauert mir das zu lange." Wenn am meisten los ist, am Freitag- und Samstagabend, steht er nicht mehr hinter der Theke. Er hat ein Knie aus Titan und Schwierigkeiten mit der Luft. Irgendwann ist auch mal gut. Seine Wohnung hat er über der "Zwiebel", ein anderer würde sich bloß wegen des Lärms beschweren. An den Wochenenden ist er gerne weg. Er ist eine Art Cowboy, liebt das Westernreiten. Am liebsten hört er Country.

Schliesky kam im damaligen Ostpreußen zur Welt, wuchs in der Provinz des Weserberglandes auf und ging für zwölf Jahre zur Marine. Für keine seiner Tätowierungen ist er zu einem Profi gegangen. Am Ende dieser Zeit kam er nach Düsseldorf, um am Bundesfachinstitut für Organisation und Datenverarbeitung zu lernen. Schliesky blieb hängen in Düsseldorf, er begann als Türsteher im "Weißen Bär", sprang dann als Kellner und Zapfer ein. Der Vielvölkerstaat Altstadt gefiel dem Mann, der einige Weltmeere durchfahren hatte. Dann beschloss der Betreiber des "Bären", diese Kneipe namens "Zwiebel" zu eröffnen und fragte Schliesky, ob er einsteigen wolle. Schliesky sagte zu und steckte das Geld seiner Bundeswehr-Abfindung rein.

 Das Publikum ist gemischt: Unter den Gästen sind auch zahlreiche Jugendliche und Studenten.

Das Publikum ist gemischt: Unter den Gästen sind auch zahlreiche Jugendliche und Studenten.

Foto: Anne Orthen

Schnell gewann die Kneipe ein Stammpublikum. Viele Schüler, Leute vom Gericht und der Stadtverwaltung, auch Familien mit Kindern und Hunden. Die Mädchen vom St.-Ursula-Gymnasium duckten sich, wenn die Nonnen an der Kneipe vorbeiliefen. Es war immer was los, auch unter der Woche, auch mittags. Und wer den ganzen Abend nur eine Cola trank, der wurde nicht rausgeworfen. Da habe es andere Läden gegeben, sagt Schliesky. Die "Zwiebel" sprach keine bestimmte Szene an, sie stand jedem offen. Zugang auch ohne das richtige Hemd.

Dass sich daran bis heute nichts verändert hat, lässt sich am Wochenende überprüfen. Zum Beispiel an einem Freitagabend. Das zeigt schon die Musikauswahl. Da läuft Westernhagens "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz", dann Pop von Lily Allen und Taylor Swift, dann die Atzen, Helene Fischer und die Spice Girls. Der DJ ist Teil des Thekenteams, aber geübt darin, sich rechtzeitig der MP3-Sammlung zuzuwenden. Die Übergänge sind brutal. Das eine Lied ausblenden, das andere einblenden. Eine klare Linie gibt es nicht, jeder Song ist eine Überraschung.

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So unterschiedlich wie die Songs, so unterschiedlich sind auch die Gäste: so gerade eben volljährige Teenager, die nachher noch in die Clubs weiterziehen, Studenten, die einfach nur an der Theke sitzen wollen, ältere Männer in bis zu den Knien reichenden Freizeithosen, denen Alkohol und Lautstärke der Musik das Gefühl geben, doch nicht alt zu sein, Typen, die anderen Typen den Daumen entgegenstrecken, wenn diese gerade mit dem Queue hinterm Rücken die Kugel versenkt haben. Jede Ecke in der "Zwiebel" ist anders. Die "Zwiebel" ist, was du daraus machst.

Zu uncool ist niemand für die Kneipe, was aber bedeutet, dass nicht jeder hinein will. Spieler der Fortuna waren noch nie Stammgast. Hipster trifft man nicht an, Menschen in weißen Jeans auch selten. Eher Menschen mit etwas zu engen Hemden oder etwas zu weiten Pullovern. Mit Turn- statt mit Lederschuhen. Das Gefühl, ständig von den anderen Gästen beobachtet zu werden, erzeugt die Kneipe nicht. Und das schätzen die, die regelmäßig kommen. Ehrlich, gemütlich, fast schon ein zweites Zuhause.

Wie für so viele andere Traditionskneipen waren auch die Zeiten für die "Zwiebel" mal besser. Viel besser. Schliesky redet nicht drumherum. Das Geld wird am Wochenende verdient, die "Zwiebel" öffnet zwar auch in der Woche um 10 Uhr, aber tagsüber kommen meist nur Stammgäste, kniffeln, spielen Karten. Doch auch am Wochenende stehen sich die Leute nicht ständig auf den Füßen. Das Feierabendbier trinken die Leute lieber zuhause, und die Büdchen nehmen den Kneipen die Gäste weg. Seitdem das Gericht umgezogen ist, fehlen auch diese Leute. Modernisieren will Schliesky nicht, das würde den Charakter der Kneipe verändern.

Bisher ist es ihm nicht in den Sinn gekommen aufzuhören. "Was hätte ich sonst machen sollen?" 2016 läuft der Pachtvertrag aus. Schliesky hat noch nicht über die Frage nachgedacht, ob er wieder verlängert. Vielleicht hat der Besitzer auch andere Pläne, schließlich ist das nahe Andreasquartier bald fertig. Dass Schliesky sich 2016 aufs Pferd setzt und für immer aus der Altstadt reitet, lässt sich trotzdem nur schwer vorstellen.

(RP)
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