Serie So Wohnt Düsseldorf "Dieser Baum gehört zur Familie"

Düsseldorf · Die Künstlerin Nicole Morello lebt an der Ackerstraße, aber mit wucherndem Grün wirkt ihr Zuhause, als wäre es an einem mediterranen Ort.

 Immergrün und imposant: Nicole Morello und ihr Feigenbaum, der in ihrer Wohnung jede Menge Platz braucht - und viel Licht.

Immergrün und imposant: Nicole Morello und ihr Feigenbaum, der in ihrer Wohnung jede Menge Platz braucht - und viel Licht.

Foto: Bretz Andreas

Ein Feigenbaum mitten im Wohnzimmer? Und dann so ein Prachtstück! Dominiert den ganzen Raum, macht sich breit, streckt seine Blätter bis zur Decke, wird bestaunt von jedem Gast. Versprüht eine mediterrane Ferienstimmung. "Er gehört zur Familie", sagt die Künstlerin Nicole Morello. Dieser Baum ist das Zentrum ihrer Wohnung. Geplant war das nicht.

 Blick in die offene Küche und zur Galerie in der Zwischenetage. Die Bibliothek ist hinterm Gaze-Vorhang verborgen.

Blick in die offene Küche und zur Galerie in der Zwischenetage. Die Bibliothek ist hinterm Gaze-Vorhang verborgen.

Foto: Bretz Andreas

Anfang der 1990-er Jahre fand der Ehemann der Künstlerin einen Job in Düsseldorf, die dreiköpfige Familie brauchte in Windeseile eine Bleibe, fand eine winzige Wohnung an der Ackerstraße, nahe des Worringer Platzes. Fein ist Düsseldorf woanders. Aber der Familie gefiel das quirlige Viertel, die Miete war günstig, im Hinterhof wohnten Künstler, der Hausbesitzer war nett und stellte in Aussicht: "Wenn dort die nächste Wohnung renoviert ist, könnt' ihr die haben." Als sie 1994 vom Vorderhaus schließlich in eines der Hintergebäude umzogen, in eine große Wohnung von 150 Quadratmetern mit teils sechs Meter hoher Decke, teils mit einer Zwischenetage, da fand ihr damals zehnjähriger Sohn: "Wir brauchen als erstes eine Pflanze." Ging über die Straße in einen Blumenladen und kehrte mit einem mickrigen Feigenbäumchen zurück, gerade mal 80 Zentimeter hoch. So fing es an.

 Kunst im Kasten: winzige Papiergebilde hinter Glas

Kunst im Kasten: winzige Papiergebilde hinter Glas

Foto: Bretz Andreas

Heute wohnt Nicole Morello allein in ihrer Wohnung, der Sohn ist längst selbstständig, ihr Mann gestorben. Der Baum blieb - und wuchs. In jedem Frühjahr treibt er neue Blätter. Viele Blätter, die sie mit Schnüren an die Decke bindet. Und die er auch im Herbst behält, offenbar hat das immer gleiche Raumklima dem Baum die Jahreszeiten ausgetrieben. Nur Feigen bekommt er nicht, "die verweigert er konsequent".

 Hinterhof-Idyll mit direktem Bahnanschluss

Hinterhof-Idyll mit direktem Bahnanschluss

Foto: Bretz Andreas

Blätter ganz anderer Art bestimmen das künstlerische Leben von Nicole Morelle: Die gebürtige Französin gestaltet Bücher aus bemalten Seiten - Kunstwerke zum Blättern. Mal winzig klein (wie ein Daumenkino), mal von stattlicher Größe auch zum Aufhängen, und wie bei einem Kalender lässt sich jeden Tag ein anderes Blatt ins Blickfeld rücken. Auf ihrem Arbeitstisch im großen Wohnraum liegen gerade drei Ausgaben "Die verlorene Zeit" von Marcel Proust im französischen Original, gespickt mit unzähligen farbigen Zetteln. Hinweis auf ihr nächstes Projekt. Nicole Morello plant eine Performance über das Buch - mit dem Sound von raschelndem Papier und Texten von Proust, gelesen von einer Schauspielerin. Konzipiert wird das Projekt unterm Feigenbaum (wo sonst?), der offenbar als Inspirationsquelle dient. Der runde Marmoresstisch steht auch unterm Blätterdach und die Couch ebenfalls.

Die lässt sich in ein Gästebett verwandeln. "Alle sagen, dass sie ganz besonders gut schlafen unter dem Baum." Eine Treppe mit weißem, transparentem Geländer führt nach oben in die Zwischenetage mit einem Schlafzimmer und einem weiteren Arbeitsplatz, dort oben ist, von einem Gazevorhang verborgen, auch die Bibliothek der Künstlerin. Bei Lampenlicht ahnt man die Buchrücken, am Tage sind sie verborgen. "Sie würden mich von meiner Konzentration auf die Arbeit ablenken."

Außen führt eine alte Industrietreppe zu ihrer Wohnung im ersten Stock, vor ungemütlichem Wetter schützt ein Glasdach. Gegenüber im Hinterhof-Idyll hat Nicole Morello noch ein Atelier, davor ein romantisches Plätzchen für Sommerabende - wie alle ihre Nachbarn. Dort trifft man sich zu Gesprächen, die allerdings regelmäßig unterbrochen werden. Denn direkt hinter dem Hof verteilt sich ein ganzes Bündel von Bahngleisen auf verschiedene Ebenen. Sämtliche Linien Richtung Norden rauschen hinterm Haus vorbei, jedes nur mögliche Geräusch auf Schienen, von der S-Bahn bis zum Intercity. "Am lautesten sind die Güterzüge." Seit sie allerdings neue Fenster hat, hört sie in der Wohnung kaum noch etwas davon.

Und möglicherweise kann ihr Zauberbaum ja auch noch Geräusche schlucken. Wenn Nicole Morello jährlich zu den "Kunstpunkten" ihre Wohnung Besuchern eröffnet, dann stiehlt die Blätterpracht den Kunstblättern fast die Schau. "Die Leute sind überwältigt." Und was tun sie angesichts dieser grünen Pracht? Sie machen Selfies vor dem Feigenbau.

(RP)
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