Düsseldorf Drei Urdenbacher und ein Dampfross-Plan

Düsseldorf · Eisenbahnen wurde nicht nur im Wilden Westen gebaut, wie ein Besuch des "Landrats" in Richrath zeigt. Ein Schwank zum Jahresende.

Dieser Text erschien erstmals im Februar 1950 in der "Kleinen Urdenbacher Post". Er erzählt von drei Urdenbacher Schlitzohren und ebensovielen Richrather Bauern.

Es war um die Wende des 19. Jahrhunderts, als drei bekannte Urdenbacher, die es faustdick hinter den Ohren hatten, sich etwas vornahmen; es waren dies der "Grote Pitter", der "Lammerts Kaspar" und der "Wimmersch Flöbbert".

Nachdem Pitter seinen Freunden kurze Instruktionen gegeben hatte, fuhren sie eines Tages in Flöbberts Automobil mit einer für die damalige Zeit unerhörten Geschwindigkeit von mindestens 20 km/Std. über die Kölner Landstraße in Richtung Langenfeld. In der Nähe von Richrath steuerte Flöbbert sein Vehikel plötzlich direkt auf einen Acker, wo in einiger Entfernung mehrere Bauern ihr Feld bestellten.

Pitter entfernte sich mit seinem Kumpan Kaspar einige Schritte vom Wagen, zog aus der hinteren Tasche seines Gehrocks etliche Papiere und Landkarten heraus und begann dann recht umständlich, Punkte und Linien in seine Karten einzutragen. Zwischendurch schaute er durch seinen Feldstecher und erläuterte, mit Lineal und Bleistift heftig gestikulierend, seinem "Mitarbeiter" die Eintragungen. Inzwischen waren die Bauern, die unser Kleeblatt neugierig beobachteten, näher gekommen und fragten den am Wagen stehenden Flöbbert: "Wat denn loß wör?"

- "Do möht Ehr dr Här Landrat selvs frooge, ech ben nor der Schafför", erwiderte der.

Der hiernach gefragte Herr "Landrat" zeigte sich sehr jovial und hielt mit seinem Wissen nicht zurück. "Ja, meine Herren", begann er, "da es in den nächsten Tagen doch die Öffentlichkeit erfährt, kann ich Ihnen ja heute schon den Schleier des Geheimnisses lüften. Der Rhein soll nämlich mit dem Bergischen Land durch eine neue Eisenbahnlinie verbunden werden, und die geplante Strecke verläuft gerade durch das Gebiet, auf dem wir hier stehen."

Da unterbricht ihn ein Bauer: "Jo lever Jott, datt es doch mie Stück!" - "Das mag wohl sein", erwiderte der Landrat, "das werden ja die Akten ergeben." Und in die Landschaft zeigend, fuhr er fort: "Von hier geht die Strecke in diese Richtung ..."

- "Dat es jo mie Stück!", unterbricht ihn ein anderer Bauer, und ein dritter sagt: "Un dohenger datt jehöht ming!" - "Nur ruhig Blut, meine Herren", entgegnete der Landrat, "das ergibt sich ja alles aus den Akten! Aber wegen der Enteignung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Sie bekommen das Land, das wir benötigen, sehr gut bezahlt, und ich werde mich da nicht kleinlich zeigen. Doch halte ich es für empfehlenswert, wenn wir uns in Gegenwart der übrigen angrenzenden Grundstücksbesitzer näher unterhalten".

Man fand den Vorschlag des Herrn Landrat sehr nett und einigte sich zu einer schnell anzuberaumenden Besprechung aller Interessenten bei Baas im "Kölner Hof". Hier wurden zunächst die erregten Gemüter mit einigen "Körnches" abgekühlt.

Als dann der Herr Landrat für sich und seinen "Assistenten" zwei Flaschen Wein bestellte, gab es lebhaften Protest bei den Richrathern: Das Bestellen der Getränke wäre selbstverständlich ihre Sache, und der Baas wurde sofort beauftragt, gleich ein Dutzend Flaschen heraufzuholen.

Dann folgte man den Ausführungen des Herrn Landrat, der lässig an seiner goldenen Uhrkette spielte und mit geschickten Worten seinen Zuhörern die Eisenbahnbaupläne erörterte. Er betonte dabei wiederholt, dass er als Vertreter der Regierung ja auch die Interessen der Bauern wahrzunehmen habe, und er werde die Entschädigungsanträge auf das Wohlwollendste prüfen und begutachten. Mit diesen Ausführungen waren die Anwesenden höchst zufrieden, und man freute sich aufrichtig, einen so wohlmeinenden Landrat einmal persönlich kennengelernt zu haben.

Es war unterdes ein Uhr mittags geworden, als Flöbbert hereinkam und den Herrn "Landrat" fragte, ob sie noch nicht zurückfahren könnten, er habe mittlerweile Hunger bekommen und sei übrigens nur für zwei Stunden "angkaschiert". Die Bauern wollten aber von solch einem plötzlichen Aufbruch nichts wissen und bestellten beim Baas ein gemeinsames Mittagessen für alle. Hierbei wurden dann noch etliche Flaschen "Niersteiner" getrunken.

In seiner abschließenden Rede sagte der Landrat, dass er die Pläne gleich in den nächsten Tagen bearbeiten und ihnen wegen der Entschädigung in den nächsten 14 Tagen Genaueres mitteilen würde. Nachdem er sich dann von jedem Einzelnen verabschiedet hatte, befahl er dem "Schafför" vorzufahren, stieg mit seinem "Assistenten" ein und fuhr ab.

Die "Interessenten" aber leerten im Hinblick auf die zu erwartende große Kaufsumme noch etliche Flaschen. Umso größer war dann die Ernüchterung, als sie nach einigen Tagen erfuhren, wie man sie angeschmiert hatte. - Pitter, Kaspar und Flöbbert aber fuhren in dem Bewusstsein, auf Kosten anderer gut gegessen und getrunken zu haben, beschwingt wieder nach Urdenbach zurück.

(RP)
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