Düsseldorfer Luxusmeile zur Nazi-Zeit Als die Kö braun gefärbt war

Düsseldorf · Während der Nazi-Zeit wurden auch an der Düsseldorfer Kö Geschäfte boykottiert und ihre Besitzer enteignet, vertrieben und ermordet. Hildegard Jakobs, die stellvertretende Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, beschreibt in ihrem neuen Buch die Luxusmeile in dieser Zeit. Einige Auszüge.

Die Königsallee in Düsseldorf in der Nazi-Zeit
7 Bilder

Die Königsallee in Düsseldorf in der Nazi-Zeit

7 Bilder
Foto: Stadtarchiv

"Hauptanziehungspunkt für Fremde und Einheimische ist die Königsallee. Haben Sie schon einmal die vielfältigen Erscheinungen dieser einzigartigen Straße auf sich wirken lassen? Am Nachmittag, wenn unter blühenden Kastanien schöne Frauen die letzten Errungenschaften modischer Eleganz in buntester Folge vorführen? Oder an milden Abenden, wenn die Luft singt und das Lachen froher Menschen lockt?" Zeilen aus einer Werbebroschüre von 1937. Nur wenige Wochen später war Düsseldorfs berühmter Boulevard braun gefärbt - und Adolf Hitler ließ sich im offenen Cabrio vorbei an einer jubelnden Menge chauffieren. Was geschah auf der Luxusmeile während der Schreckensjahre des Nationalsozialismus? "Macht und Pracht" lautet der Titel eines neuen Buches, das darüber akribisch Auskunft gibt. Nach der Lektüre sieht man die Kö mit anderen Augen.

Hausnummer 76: Hugo Wilhelm verwöhnte die Düsseldorfer mit Delikatessen, ein paar Häuser weiter hatte er ein Schokoladenimperium gegründet - eine florierende Firma, bald schon betrieb der gebürtige Wiener elf Geschäfte in der Stadt. "Im Jahr 1935 eröffneten die Nationalsozialisten eine erneute massive Kampagne gegen jüdische Einzelhändler, eines ihrer prominentesten Opfer war Hugo Wilhelm", sagt Historikerin Hildegard Jakobs, stellvertretende Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte.

Im April war im Hetzblatt "Der Stürmer" ein diffamierender Artikel über Hugo Wilhelm erschienen, kurz darauf wurden die Schaufenster seiner beiden Kö-Geschäfte mit Plakaten beklebt: "Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter." Treue Kunden, die sich davon nicht abschrecken ließen, wurden fotografiert, die Fotos an die Bäume am Kö-Graben gehängt. Gleichzeitig bedrängte eine Steuerprüfung den renommierten Kaufmann, mit dem Ergebnis, dass er 100.000 Reichsmark nachzahlen sollte. "Um die völlig überzogenen Forderungen einzuziehen, wurden alle seine Geschäfte beschlagnahmt", so Hildegard Jakobs.

Über Jahre hat sie Schicksale aus jener Zeit aufgespürt, hat sie zu einem Geschichtsteppich verknüpft. Die Kö zeigte sich dabei als besonders exponierter Schauplatz: "Die Nazis haben versucht, vom exklusiven Image der Straße zu profitieren", und sie nutzten diesen Ort mit seinen Luxusgeschäften und eleganten Cafés, um sich werbewirksam in Szene zu setzen. Ob nun bei Hitlers Cabrio-Fahrt, ob bei einem Schaufensterbummel von Propagandaminister Goebbels samt Familie oder Jahre später, als sich eine riesige Pappfigur den Flaneuren in den Weg stellte und sie an ihre "freiwillige" Spende für das Winterhilfswerk erinnerte. Schon 1933 war die Westseite (Bankenseite) in "Albert-Leo-Schlageter-Allee" umbenannt worden, um an den NS-Märtyrer zu erinnern. "Ein Totenkult, der ins Bizarre gesteigert wurde."

Mithilfe von Zeitzeugenberichten, Dokumenten, Zeitungsausschnitten und bisher teils unveröffentlichten Fotos gelingt der Autorin ein historischer Gang mit neuen Facetten. Dabei schildert sie - immer mit Angabe der Hausnummern - welche Geschäfte systematisch boykottiert und "arisiert" wurden, welche jüdischen Ärzte und Anwälte Berufsverbot bekamen, welche Galeristen Werke, die als "entartete Kunst" diffamiert wurden, nicht mehr ausstellen durften. Wie Bewohner schikaniert, verjagt, deportiert wurden.

Hausnummer 24: Die Kanzlei von Rechtsanwalt Kurt Frank wurde in der Pogromnacht vom 9. November 1938 komplett zerstört, seine Fachbibliothek, Mandantenakten und einige Ölgemälde aus den Fenstern auf die Straße geworfen und angezündet. Schon zuvor war der Jurist gezwungen worden, sich einen "arischen" Kompagnon zu suchen, nun sollte er aufgrund der zynischen Verordnung "Zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben" die Reparaturkosten auch noch selbst tragen. Schließlich wurde Kurt Frank gezwungen die Kanzlei zu schließen und durfte als so genannter Konsulent nur "nichtarische" Mandanten vertreten. Am 11. Oktober 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und nach Ausschwitz deportiert. Dort taucht sein Name noch mal auf: 1945 in den Sterbebüchern. Aus der Gestapohaft war es ihm gelungen, eine letzte Nachricht an seine Frau zu schmuggeln: "Liebe, was bin ich in Sorge um dich .... ob wir uns diese Woche sehen?"

Hausnummer 34: ein Ort der Kunst. Hier residierte der berühmte Galerist Alfred Flechtheim, Pionier im Handel mit moderner Kunst, eine europaweite Institution mit Dependance in Berlin. Angriffsziel für die Hetzkampagnen der Nazis wurde er aus zwei Gründen: Flechtheim war Jude und stellte "entartete", also zeitgenössische Kunst aus. Hildegard Jakobs: "1933 wurde eine gemeinsame Auktion mit der Galerie Paffrath im Hotel Breidenbacher Hof von SA-Männern gestört und musste abgebrochen werden." Flechtheim emigrierte noch im selben Jahr nach London, wo er vier Jahre später an den Folgen einer Operation starb.

Hausnummer 38-40: Am 10. März 1933 bezogen Braunhemden vor dem Damenhutgeschäft Benno Leeser Wache, am nächsten Tag erschien in der "Volksparole" ein Foto von der Aktion mit der Unterschrift "Posten vor Judengeschäften". Benno Leeser und seine Frau Sybilla, deren mehrere Filialen in deutschen Großstädten gehörten, entschieden sich bald aufgrund des öffentlichen Drucks und Boykotts, in die Niederlande zu emigrieren, dort eröffnete Sybilla Leeser das Modehaus "Maison Bella" und verschaffte damit ihrer Familie wieder eine Existenzgrundlage. Ihr Mann überwand Enteignung und Vertreibung nicht und starb wenige Jahre später in Amsterdam. Den Spuren von Sybilla Leeser folgte die Buchautorin bis zu deren Tod: "Sie wurde 1943 verhaftet, ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort ermordet."

Direkt neben dem Hutgeschäft Leeser wurde die "Lichtburg", das beliebte Kö-Kino, von den Nationalsozialisten zunehmend für ihre Propagandafilme genutzt - von "Jud Süß" bis Leni Riefenstahls "Triumph des Willens". Der jüdische Besitzer Moritz Lewin wurde aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen und gezwungen, sein Lichtspieltheater zu verkaufen. Die neuen Besitzer zahlten 55.000 Reichsmark, allerdings landete das Geld nicht bei Moritz Lewin, "sondern wurde vom Deutschen Reich eingezogen", berichtet Hildegard Jakobs.

In der dritten Etage wohnte Oskar Manes, der 1920 zu den Gründern des Düsseldorfer Einzelhandelsverbandes zählte, ihr Vorsitzender und gleichzeitig Vorstandsmitglied der IHK war. Wenige Tage vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten gratulierte ihm Oberbürgermeister Robert Lehr am 26. Januar 1933 noch zu seinem 75. Geburtstag. "Wie kaum ein anderer haben Sie Ihre Kräfte in den Dienst der Heimatstadt und Ihrer Mitbürger gestellt." Ein paar Wochen später wurde Oskar Manes gezwungen, von allen Ämtern zurückzutreten, ein Foto zeigt ihn einige Jahre später im Garten seines Hauses im Zooviertel, mit ernstem Blick schaut er in die Kamera. Der Mann, der einst zu den Honoratioren der Stadt zählte, wurde mit 84 Jahren am 21. Juli 1942 vom Güterbahnhof Derendorf ins Ghetto Theresienstadt deportiert, vermutlich hat er die Zugfahrt nicht überlebt. Ein letztes Mal taucht sein Name in den Akten der Gestapo wenige Tage später auf: Sein Vermögen von 57.000 Reichsmark wurde "eingezogen".

Bei der Präsentation des Buches "Macht und Pracht" in dieser Woche bei "Franzen" auf der Kö war auch ein Zeitzeuge dabei: Manfred Droste, 90-jähriger Herausgeber der Rheinischen Post. Er erinnert sich genau an den Tag nach der Pogromnacht im November 1938, er war elf Jahre alt und kam aus der Hindenburgschule (heute Humboldt-Gymnasium): "Ich konnte den Brandgeruch der schwelenden Synagoge an der Kasernenstraße riechen, sah die zerschlagenen Fensterscheiben auf der Kö, Ladenbesitzer, die sich nicht um die Gaffer kümmerten, sondern die versuchten, noch Waren zu retten." Zu denen zählte wohl auch Hugo Willem, der Mann mit dem Delikatessenladen. Kurz darauf verließ er seine Heimatstadt und ging nach Wien. Als 1938 Österreich an das Deutsche Reich "angeschlossen" wurde, musste er wieder vor den Nazis fliehen. Am 1. April 1938 war er mit seiner Kraft am Ende, er hatte es noch in die Schweiz geschafft, dort beging er Suizid.

Das letzte Kapitel des Buches beleuchtet die Kö in der Nachkriegszeit, den Wiederaufbau. Fotos zeigen Straßencafés voller Menschen an einem heiteren Sommertag und einen Fotografen mit Model im Pelz vor der "Lichtburg" - als wäre nichts geschehen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort