Düsseldorf Erstes Kind in der 24-Stunden-Kita

Düsseldorf · In der Düsseldorfer Großtagespflege "Hoteli" bleiben Kinder auch über Nacht. Ein Witwer nutzt als Erster das Angebot. Als Schichtarbeiter ist er auf flexible Betreuungszeiten angewiesen. Doch noch läuft nicht alles rund.

 In zwei Wochen wird Alex Sackel de Souza seine Tochter Ava erstmals in der Großtagespflege übernachten lassen.

In zwei Wochen wird Alex Sackel de Souza seine Tochter Ava erstmals in der Großtagespflege übernachten lassen.

Foto: Georg Salzburg(salz)

Alex Sackel de Souza nimmt seine Tochter auf den Arm. "Damit es mir gut geht, muss es Ava gut gehen. Und deshalb muss ich wissen, wer sie betreut", sagt der 33-Jährige. Der Brasilianer, der im Schichtdienst Gebäude bewacht, ist Witwer. Seine Frau Evelyn starb vor einem Jahr. Ein paar Monate nach der Geburt der gemeinsamen Tochter im November 2012 diagnostizierten Ärzte bei der damals 37-Jährigen Brustkrebs. "Die Krankheit wurde spät entdeckt, der Kampf war aussichtslos", sagt Sackel de Souza. Ein Jahr später musste der Mann Abschied von der Frau nehmen, für die er sein Abenteurer-Leben auf Luxusjachten in der Karibik und im Mittelmeer aufgegeben hatte und -nach sechsjähriger Beziehung - in Deutschland sesshaft geworden war.

Seit dem schicksalhaften Verlust improvisiert der alleinerziehende Vater beim Thema Betreuung. Mal sind es Bekannte aus der brasilianischen Gemeinschaft in Düsseldorf, mal eine Tagesmutter, die bis 16.30 Uhr Zeit hat, die auf Ava achtgeben, wenn er zu allen möglichen Tag- und Nachzeiten auf Schicht ist, um Geld zu verdienen. Die Eltern seiner verstorbenen Frau leben in einer Kleinstadt in Ostwestfalen. Sie sind begeistert von ihrer Enkelin, holen sie immer wieder zu sich. Doch die Rolle von Vater und Mutter können sie nicht übernehmen. Beide sind um die 70 Jahre alt.

Was der engagierte Vater einfach nicht mehr möchte, sind ständig wechselnde Bezugspersonen. "Ava braucht eine Einrichtung, die rund um die Uhr betrieben wird, wo ich sie hinbringen kann, wenn ich zur Arbeit muss. Immer dieselben Betreuer, immer dieselbe Umgebung mit wiederkehrenden Ritualen, darauf kommt es bei einer Zweieinhalbjährigen an", sagt er.

Die Chancen stehen gut, dass Sackel de Souzas Sorgen schon bald ein gutes Stück kleiner werden. Ab dem 10. August wird Ava in der Einrichtung von Ewelin Szyszko betreut - auch nachts. "Hoteli" nennt die 34-jährige Betreiberin ihre neu eröffnete Großtagespflege im Düsseldorfer Stadtteil Bilk mit probeweisem 24-Stunden-Betrieb. Anders als bei Tagesmüttern, die bis zu fünf Jungen und Mädchen bei sich zu Hause betreuen, erinnern Großtagespflegen an Kitas im Kleinformat. In eigens dafür erworbenen oder angemieteten Räumen werden bis zu neun Kinder von mindestens zwei Fachkräften begleitet. "Zwei Frauen habe ich unter Vertrag, sieben Kinder sind angemeldet", sagt Szyszko, die Psychologie und Philosophie studiert hat und freiberuflich als "Headhunterin" in der Personalbranche arbeitet.

Das Thema 24-Stunden-Kita ist auch in anderen Städten relevant. Die Kindertagesstätte Ravensberger Weg in Troisdorf etwa bietet innerhalb eines bundesweiten Pilotprojekts Betreuung auch zu irregulären Zeiten an. Denselben Weg beschreitet die Kölner Kita "Mydagis", die nach skandinavischem Vorbild eine zeitlich möglichst flexible Versorgung der Kinder gewährleisten will. Dabei heißt 24-Stunden-Betreuung nicht, dass die Kinder rund um die Uhr in Obhut sind. Die Zeiten werden mit den Eltern abgestimmt und im Voraus festgelegt - je nach den Erfordernissen, die der Beruf vorgibt. 2014 haben laut Statistischem Amt der Europäischen Union 17 Prozent der Deutschen Schichtarbeit geleistet.

Ewelin Szyszko hat, um ein Über-Nacht-Angebot machen zu können, im "Hoteli" eigens Schlafräume geschaffen. Profitieren davon wird aber vorerst nur Ava. Und das liegt vor allem am Geld. Denn Tagesmütter erhalten in Düsseldorf nach Angaben des Jugenddezernats für die klassischen Nachtstunden, in denen ein Kind überwiegend schläft, eine Vergütungspauschale von 30 Euro. "Das liegt deutlich unter den am Tag üblichen Sätzen von rund fünf Euro pro Stunde und Kind. Sollte das so bleiben, würde sich der 24-Stunden-Betrieb wirtschaftlich nicht rechnen", sagt Szyszko. Dass sie das Modell trotzdem erst einmal startet, liegt an Ava. Mit ihrer verstorbenen Mutter war Szyszko befreundet. "Ihr Schicksal gab mir den Anstoß, eine eigene Großtagespflege aufzubauen."

Hoffnung macht der Unternehmerin die Ansage von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), in den Ausbau von rund um die Uhr geöffneten Einrichtungen bundesweit 100 Millionen Euro investieren zu wollen. "Ich hoffe, dass diesen Ankündigungen Taten folgen und auch Düsseldorfer Großtagespflegen davon profitieren."

Darauf hofft auch Sackel de Souza. Den Begriff "24-Stunden-Betreuung" findet er allerdings nicht so gut. Denn selbstverständlich wolle er sein Kind nicht ganztägig abgeben. "Es geht immer nur um meine Arbeitszeit, also um acht oder neun Stunden, aber die liegen nunmal immer ganz unterschiedlich", sagt er und tippt mit dem Finger auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Esstisch liegt. Rote, gelbe und schwarze Buchstaben kennzeichnen in der Tabelle seine Einsätze. Die gehen mal von 6 bis 14 Uhr, mal von 22 bis 6 Uhr. Auch Zwischenschichten von 18 bis 4 Uhr morgens gibt es. "Entscheidend ist, dass Ava zu unterschiedlichen Zeiten in derselben Umgebung mit denselben Menschen ist."

Tatsächlich steckt das Thema von rund um die Uhr geöffneten Betreuungseinrichtungen auch in einer Metropole wie Düsseldorf noch in den Kinderschuhen. "Zurzeit gibt es etwa 20 Kinder, die gelegentlich auch nachts von Tagesmüttern betreut werden. Flugbegleiter etwa greifen auf solche Angebote zurück", sagt der Düsseldorfer Jugenddezernent Burkhard Hintzsche. Eine städtische Kindertagesstätte im 24-Stunden-Betrieb plant er zurzeit nicht. Dafür gebe es keinen flächendeckenden Bedarf. Natürlich denkt der kommunale Spitzenbeamte auch ans Geld: "Wenn Sie eine reguläre Kita im Drei-Schichten-Modell betreiben, sind die Kosten ein Thema, denn sie müssen Schichtpläne mit Nachtzuschlägen und vielen Besonderheiten einführen." Für praktikabler hält er betrieblich eingebettete Angebote. "Darüber sind wir aktuell im Gespräch mit der Unternehmerschaft", sagt er.

"Ohne ein 24-Stunden-Betreuungsangebot für Schichtarbeiter wäre ich aufgeschmissen", sagt der Alex Sackel de Souza. Dann blickt er auf das Mädchen in seinem Arm: "Ava muss es auch dann gut gehen, wenn ich nicht bei ihr sein kann. Schließlich ist sie mein Leben."

(RP)
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