Vorwürfe von Angehörigen Kripo soll Hinweise beim Bilker Doppelmord ignoriert haben

Düsseldorf · Die mutmaßliche Mörderin Tuba S. soll in Bilk zwei Frauen getötet haben. Deren Angehörige warfen den Ermittlern im Gießener Prozess am Dienstag schwere Versäumnisse vor.

Düsseldorf: Prozess in Gießen wegen Bilker Doppelmord
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Prozess in Gießen wegen Bilker Doppelmordes

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Foto: Geilhausen, Stefani

Am Tag vor Muttertag 2016 mahnte Angela F., 31, ihre Mutter Sylvia per SMS scherzhaft, das per Post versandte Geschenk nicht vor dem nächsten Morgen zu öffnen. "Sicher nicht. Bin schon neugierig" lautete die Antwort - es war der letzte Kontakt, den die in Berlin lebende Juristin zu ihrer Mutter hatte.

Am darauffolgenden Dienstag wurden Sylvia F. und ihre 86-jährige Mutter tot in F.s Wohnung an der Karolingerstraße aufgefunden. Sylvia habe die Mutter erdrosselt, sich selbst mit Medikamenten getötet, soll die Kripo dem Onkel der Zeugin am Telefon mitgeteilt haben, als der darauf bestand, Einzelheiten zu erfahren.

Sachlich schilderte die Zeugin, die bei der Berliner Polizei Praktika in der Mordkommission absolviert hat, was sie eine Woche später in der Wohnung ihrer Mutter vorfand: Eine am Samstag gekaufte Jeans mit Quittung und Preisschild, Tablettenpackungen auf dem Boden zwischen blutgetränkten Kissen. Ein ungeöffnetes Nudelgericht vom Chinesen in den Bilker Arkaden stand auf dem Küchenschrank, wo die Kaffeemaschine für das Aufbrühen einer Tasse Kaffee bereitgemacht war.

"Wir fanden die leeren Portemonnaies meiner Oma und meiner Mutter. An der Heizung stand ein Blumentopf voll Zigarettenkippen, daneben eine zerknüllte Schachtel, die nicht die Marke meiner Mutter war." F. sicherte die Kippen und eine Haarbürste ihrer Mutter für einen späteren Abgleich. "Vieles schien uns nicht vereinbar mit dem, was die Kripo uns gesagt hat." Auch der angebliche Abschiedsbrief, der weder in Schrift noch Sprache zu ihrer Mutter gepasst hätte.

All das habe sie am 20. Mai 2016 der Kripo mitgeteilt, auch, dass der Goldschmuck fehle, den beide Frauen immer getragen hätten, und im Handy von Sylvia F., das die Polizei nicht ausgelesen hatte, alle Nachrichten und Anrufe gelöscht waren. Doch die Kommissarin sei auf die These vom erweiterten Selbstmord festgelegt gewesen, habe auf die Depressionen von Sylvia F. verwiesen und eine Fahndung nach den verschwundenen EC-Karten mit den Worten abgelehnt: "Wozu? Die liegen wahrscheinlich in der Düssel."

Auch der Hinweis auf eine ungewöhnliche nächtliche Bargeldabhebung am Geldautomaten sei erst beachtet worden, nachdem die Kripo in Gießen bei Tuba S. die EC-Karte der Bilker Frauen entdeckt hatte. Erst dann seien die Bilder aus der Überwachungskamera der Bank gesichert worden. Tuba S. soll im April 2016 in Gießen einen 79-jährigen Zauberer erwürgt haben zu haben, um an Wertgegenstände zu gelangen.

Die Tragik der polizeilichen Fehleinschätzung wurde bei der Befragung von Franco G. deutlich. Der 61-Jährige hatte bei allem Entsetzen zunächst nicht daran gezweifelt, was die Kripo ihm mitgeteilt hatte. "Ich hätte nie für möglich gehalten, dass die deutsche Polizei so etwas feststellt, ohne es gründlich untersucht zu haben."

Franco G., Geschäftsführer eines diakonischen Unternehmens in Berlin, ging in die Offensive, berichtete Freunden und Mitarbeitern per Brief vom vermeintlichen Suizid seiner Schwester und dem Tod der Mutter, und bat um Verständnis dafür, dass er "nicht derselbe sei wie sonst". Heute quälen ihn Schuldgefühle: "Wie konnte ich das nur glauben? Es ist so ungerecht gegen beide. Meine Mutter und meine Schwester waren herzensgute Menschen."

G. erinnerte aber auch daran, wer in Gießen eigentlich angeklagt ist. Unter Tränen wandte er sich an Tuba S. und fragte: "Warum haben Sie das getan?"

(RP)
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