Hoher Beratungsbedarf Zahl der Schulschwänzer in Düsseldorf steigt

Düsseldorf · Immer mehr Düsseldorfer Schüler schwänzen die Schule. Die Anfragen bei der zuständigen Fachstelle erreichen einen neuen Höchststand. Auch die Zahl der Bußgelder, die wegen des Schwänzens verhängt werden, steigt. Auf professionelle Hilfe müssen Betroffene oft lange warten.

 EVK-Tagesklinik-Leiterin Irina Stöcklin (l.) und Therapeutin Annika Wiegold mit einer "Familienaufstellung", die jungen Patienten helfen kann.

EVK-Tagesklinik-Leiterin Irina Stöcklin (l.) und Therapeutin Annika Wiegold mit einer "Familienaufstellung", die jungen Patienten helfen kann.

Foto: A. Endermann

Es war im Februar, als Tim* (13) sich in seinem Bett zusammenrollte und entschied, nie mehr zur Schule zu gehen. In den Monaten zuvor hatte der Gymnasiast immer häufiger über Kopf- und Bauchschmerzen geklagt. Seine Eltern schrieben eine Entschuldigung nach der anderen, schoben Tims Schul-Unlust auf seine häufigen Erkältungen und sein Asthma. Doch dann eskalierte die Situation, die Eltern waren mal sauer, mal verzweifelt, Gespräche fruchteten nicht, Vereinbarungen hielt der Siebtklässler nicht ein und seine Mitschüler fingen an ihn zu mobben. Tenor: "Kommt, wann er will und darf auch noch die Klausuren nachschreiben."

Inzwischen geht Tim wieder zur Schule. Nach einer erfolgreichen Therapie in der Kindertagesklinik für Psychosomatik am Evangelischen Fachkrankenhaus (EVK). Die ist seit rund 30 Jahren auf das Thema Schulvermeidung spezialisiert. "Der Junge verweigerte den Schulbesuch nicht, weil er cool sein wollte oder ihm das Lernen egal war, sondern weil er massive Ängste vor der Schule hatte", sagt Klinik-Leiterin Irina Stöcklin. Die Wartelisten für einen Platz in einer der beiden Therapiegruppen (jeweils acht Teilnehmer) sind lang. "Wir nehmen in den letzten zehn Jahren einen Zuwachs wahr und werden häufiger in Anspruch genommen", sagt Stöcklin, die sich mit ihrem Team um die besonders schweren Fälle kümmert.

Dass immer mehr Kinder die Schule schwänzen oder sich ihr komplett verweigern, lässt sich auch jenseits klinischer Therapien belegen. So erwartet die Fachstelle Schulverweigerung des Rather Modells (s. Info) bis zum Jahresende mehr als 200 Beratungsanfragen. "Ende November lagen wir bereits bei 190, ein Höchststand", sagt Sozialpädagogin Catja Plätzer. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 140. Beratungsbedarf gibt es an allen Schulformen. Das zeigt Plätzers Statistik. "Rund 40 Anfragen kommen in diesem Jahr von Grundschulen, das hat uns erstaunt", sagt Peter Zerfaß, Vorsitzender des Vereins Rather Modell und Rektor der Alfred-Herrhausen-Förderschule.

Ein weiterer Indikator für die Zunahme des Problems sind die gegen Eltern und Schüler verhängten Bußgelder (bis maximal 1000 Euro), mit denen die Behörden das Schwänzen ahnden. 180 Mal mussten im Jahr 2015 die Eltern von Düsseldorfer Grund-, Haupt- und Förderschülern zahlen. In diesem Jahr gab es bis November bereits 190 Verfahren. Die Daten für Gymnasien, Real- und Gesamtschulen erhebt die Bezirksregierung. "Wir differenzieren nicht nach Städten, sondern können nur Zahlen für den Regierungsbezirk benennen", sagt eine Sprecherin. Diese sind allerdings alarmierend. So stieg die Zahl der Verfahren von 1091 (2009) über 1518 (2013) auf 2500 (2016).

Die Gründe für die steigende Unlust auf Schule sind vielfältig. "Den typischen Schwänzer gibt es nicht", sagt Klaus Peter Vogel, Leiter der Hauptschule an der Bernburger Straße. "Probleme im Elternhaus, Versagensängste, dauerhaft schlechte Noten, Stress mit Gleichaltrigen bis hin zum Mobbing - all das kann der Auslöser sein", sagt der Pädagoge. Eine wichtige Rolle spielten die digitalen Unterhaltungsmedien. "Früher hätte man nur ein Buch lesen oder ein langweiliges TV-Programm anschauen können, heute locken PC, Tablet und Smartphone mit Spielen und einer Art virtuellen Parallelwelt", sagt Vogel. Auch Therapeutin Irina Stöcklin spricht hier von einem "besonderen Risikofaktor". *Name geändert

Drei Standorte für schwierige Fälle

Projekt In dem nach seinem Gründungsstadtteil benannten "Rather Modell" arbeiten Jugendamt, Schulamt und Jugendhilfeträger zusammen. Inzwischen gibt es drei Standorte, an denen bis zu 75 Jugendliche außerhalb einer klassischen Schule unterrichtet und auf einen Beruf vorbereitet werden.

Erfolge Zwischen 20 und 25 Prozent erreichen dort einen Hauptschulabschluss, weitere 40 Prozent einen Förderschulabschluss. Rund 80 Prozent der Angemeldeten erscheinen täglich.

(jj)
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