Schwerpunkt Demenz Ein gutes Heim

Düsseldorf · In Wersten leben acht demente Menschen in einer WG. Im Wohnprojekt der Awo packen alle mit an. Und sie wahren ihre Würde.

 Roschanak Jounessi ist die jüngste in der WG. Die 66-Jährige kümmert sich mit Betreuerin Margarete Kant um die Quarkspeise zum Dessert.

Roschanak Jounessi ist die jüngste in der WG. Die 66-Jährige kümmert sich mit Betreuerin Margarete Kant um die Quarkspeise zum Dessert.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Schon der Geruch ist anders. Und die Gesichter sind es auch. Nicht nur der Bewohner. Auch Margarete Kant, die gerade für alle eine Runde Apfelsaft ausgibt, wirkt fröhlich und entspannt. Früher hat sie in einem Altenheim gearbeitet. Hier, in der Demenz-WG, in der sie als Betreuerin streng genommen nur zu Gast ist, macht die Arbeit sie glücklich. Das sieht man ihr auch an.

Heute soll Leni Kullmann die Musik aussuchen, mit der das Kartoffelschälen später flotter von der Hand gehen wird. "Semino Rossi", liest sie von der CD ab, die Margarete Kant ihr hinhält, "der ist ja sehr bekannt." Und der andere, Freddy Quinn? Jaa, sagt Leni Kullmann in diesem gedehnten Tonfall, in dem auch ganz gesunde Menschen vortäuschen, sich an etwas zu erinnern, von dem sie keine Ahnung haben.

Ein paar Minuten später gibt es keinen Zweifel mehr, dass Leni Kullmann diesen Freddy früher einmal gekannt hat. Der Teil ihres Gedächtnisses, der für Musik zuständig ist, funktioniert wunderbar. "Junge, komm bald wieder", singt sie mit klarer, fester Stimme, und "fährt ein weißes Schiff nach Hongkong". Sie kennt jedes Wort und jede Melodie.

Früher hat sie im Chor gesungen und in ihrem eigenen Haushalt jeden Tag für die Familie gekocht. Auch das hat ihr Gedächtnis abgespeichert. Deshalb steht sie nun mit Margarete Kant in der großen Einbauküche, die das Herzstück des Gemeinschafts-Essraums ist, und würzt das Hackfleisch für die Frikadellen. Dass sie morgens dafür ein Brötchen eingeweicht hat, das hat sie zwar vergessen. Aber dass es ins Gehackte muss, weiß sie so mühelos, wie sie mit Freddy "La Paloma" singen kann.

Mit ihren 88 Jahren gehört Leni Kullmann zu der Generation, die der Wohnform "WG" eher skeptisch gegenüberstand. Auch Eduard Kropacza (86) und Johanna Jenkner (91) und die erst 66-jährige Roschanak Jounessi, die aus dem Iran stammt, hätten wohl nie gedacht, dass sie einmal mit fremden Menschen zusammenziehen und gemeinsam Wirsing für's Mittagessen schnibbeln würden.

Dabei scheint es für alle eine ideale Lösung. Jeder hat die vertrauten Möbel von daheim mitgebracht, damit das eigene, große Zimmer eingerichtet und das ein oder andere gute Stück in die Gemeinschaftsräume gestellt. Wenn für die große Fensterfront Gardinen nötig sind, oder Möbel für den WG-Garten, dann zahlen sie das aus der Gemeinschaftskasse, aus der auch die Lebensmittel eingekauft werden, und auch zum Einkaufen kann jeder mitgehen, der Lust hat. Den Speiseplan legen sie einmal pro Woche gemeinsam fest, beteiligen sich an den Essensvorbereitungen ebenso wie beim Abwasch. Margarete Kant ist dafür da, die Abläufe zu dirigieren und übernimmt die komplizierteren Dinge. "Wir sind Alltagshelfer", sagt sie, "wir helfen, wo es nötig ist, lassen den Bewohnern aber die Chance, all das zu tun, was sie selbst tun können."

Für ihre Zimmer etwa sind sie selbst zuständig. Fensterputzen, Staubwischen, sogar die Wäsche - in einem Heim schon aufgrund der Hygienevorschriften so undenkbar wie der Gemeinschaftskühlschrank. Wer sich nicht mehr alleine helfen kann, der wird natürlich von den Alltagshelfern, die offiziell Demenzbegleiter heißen, unterstützt. Aber so lange es geht, ist jeder für die eigenen vier Wände verantwortlich, und das hat viel mit Würde zu tun, so, wie der eigene Name, der unten am Haus auf dem Briefkasten steht.

Die Kirschblüte ist keine fidele Senioren-WG, wie man sie aus Fernsehkomödien kennt. Auch wenn sie voriges Jahr entschieden haben, vom Überschuss in der Haushaltskasse keine neuen Balkonmöbel zu kaufen, sondern lieber ein paar Tage Urlaub in der Eifel zu machen. Die Bewohner brauchen natürlich auch medizinische Versorgung und Pflege. Der Pflegedienst der Awo hat deshalb in der WG seine Basis in einem eigenen Zimmer, ist rund um die Uhr für die WG-Bewohner und pflegebedürftige Awo-Kunden in der Nachbarschaft da.

"Heimweh" singt Freddy Quinn und Leni Kullmann singt inbrünstig mit. Aber im Grunde fühlt sie sich in der WG längst zuhause. Es ist gut, dass man nicht alleine ist, sagt sie, und Eduard Kropacza nickt. "Ach, du bist der Eduard?", sagt sie überrascht, "das ist aber nett."

(RP)
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