Kolumne Auf Ein Wort Ein Plädoyer fürs Grundvertrauen

Düsseldorf · Ich bin für ein bedingungsloses Grundvertrauen", twitterte Matti Schindehütte (@Majuschi) am Silvesterabend. Ich habe den Tweet spontan geteilt. Doch jetzt, wo die Feiertage vorüber sind, kommen mir Zweifel. Hätte ein Referendum für ein bedingungsloses Grundvertrauen auch nur den Hauch einer Chance?

 Autor Sascha Flüchter (@sfluechter) ist Pfarrer und Lehrer am evangelischen Theodor-Fliedner-Gymnasium in Kaiserswerth.

Autor Sascha Flüchter (@sfluechter) ist Pfarrer und Lehrer am evangelischen Theodor-Fliedner-Gymnasium in Kaiserswerth.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Wir kennen Grund- oder Urvertrauen aus unserem ersten Lebensjahr: In einer riesigen, verrückten Welt mit Farben, Formen und Geräuschen, die wir nicht durchschauen, verstehen oder kontrollieren konnten, haben wir uns sicher gefühlt. Weil jemand da war, der unseren Hunger gestillt, die Windeln gewechselt und die Angst vertrieben hat. So haben wir Vertrauen gelernt, in die Welt, das Leben, die Menschen.

Als Erwachsene haben wir gelernt, die Welt zu hinterfragen. Wir wissen, dass das Leben Höhen und Tiefen hat. Wir haben erfahren, wie wertvoll es ist, einem Menschen vertrauen zu können und wie bitter es ist, enttäuscht zu werden. Für einen Erwachsenen ist bedingungsloses Grundvertrauen eine ungeheure Forderung.

Dabei ist Vertrauen immer bedingungslos. Es beruht auf Gegenseitigkeit, aber ich muss stets in Vorlage treten. Wenn ich warte, bis ich ganz sicher bin, nicht enttäuscht zu werden, ist es kein Vertrauen. Vertrauen gibt es immer nur im Sprung. Es ist, als stünden wir am Rand eines Abgrunds und jemand auf der anderen Seite ruft: "Komm rüber, da ist eine unsichtbare Brücke!" Wer den Schritt über den Rand nicht wagt, kann auch nicht abstürzen. Er oder sie wird aber auch niemals erfahren, ob das Vertrauen ihn oder sie trägt.

Ich bin überzeugt, dass wir ohne bedingungsloses Grundvertrauen nicht leben können. Wenn es sich auf Gott richtet, nennt die Bibel es übrigens "Glauben". Sie sagt uns, dass unser Vertrauen gar nicht riesig sein muss. Die Größe eines winzigen Senfkorns genügt. Unser Vertrauen muss nur größer sein als unsere Angst. Ein ganz kleines bisschen nur, dann wird es Berge versetzen, im Privaten und in der Politik. Deshalb bin ich für ein bedingungsloses Grundvertrauen. - Und Sie?

(RP)
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