Serie So Wohnt Düsseldorf Eine Betonwüste blüht auf

Düsseldorf · Zwischen Krahe- und Mettmanner Straße war früher ein Garagenhof. Heute bewirtschaftet ein Verein dort einen Mietergarten.

 Ralf Zimmermann, Birgit Stenger und Klaudia Wilms (von links) zählen zu denen, die den neuen Innenhof mit seinem vielen Grün sehr zu schätzen wissen.

Ralf Zimmermann, Birgit Stenger und Klaudia Wilms (von links) zählen zu denen, die den neuen Innenhof mit seinem vielen Grün sehr zu schätzen wissen.

Foto: Andreas Endermann

Früher war hier eine Betonwüste, heute schaukeln Schmetterlinge auf dem Lavendel. Früher dominierte die Farbe Grau die düstere Szenerie, heute leuchtet Grün in allen Variationen. Ein Hinterhof in Flingern hat in den vergangenen Jahren eine wundersame Wandlung erlebt: von öder Tristesse zur blühenden Oase, in der das Gemeinschaftsgefühl Wurzeln schlägt. Paprika statt Parken - aber das ist noch nicht alles.

Zwei Nachbarinnen sitzen auf der Bank und berichten vom Wochenende: "Da tobten 20 Kinder durch den Hinterhof." Brigitte Stenger und Klaudia Wilms sehen dabei nicht so aus, als hätte sie der Lärm gestört. Im Gegenteil. Ihre Bank steht im Rücken von Haus Krahestraße 20, dort wurden Wohnungen mit dem Ziel vergrößert, kinderreichen Familien genug Platz zu bieten. Überhaupt scheinen in diesem Stück Flingern zwischen Krahe- und Mettmanner Straße die Uhren ein bisschen anders zu ticken.

Das liegt erst mal an ihm: Hans-Rainer Jonas, ein Mann mit Visionen und einer armenischen Kappe auf dem widerspenstigen Haar ("hat mir ein Handwerker geschenkt"), dem hier einige Häuser gehören, geerbt vom Vater. Jonas vertritt die Ansicht, dass jeder Mensch ein bedingungsloses Grundeinkommen haben sollte, und sagt Sätze wie: "Mein Vater hat alles eingesammelt, ich verteile lieber." Was er darunter versteht, setzte er vor einigen Jahren in die Tat um: Damals gehörte der Flingeraner Hinterhof den Autos, und seine 44 Garagen brachten gutes Geld.

 So finster sah es einst im Innenhof in Flingern aus: Die 44 Garagen brachten zwar gutes Geld, bedeuteten aber auch Tristesse pur.

So finster sah es einst im Innenhof in Flingern aus: Die 44 Garagen brachten zwar gutes Geld, bedeuteten aber auch Tristesse pur.

Foto: Hans-Rainer Jonas

Dann brachte eine Tragödie die Krahestraße für Jahre in die Schlagzeilen: Am 24. Juli 1997 wurde ein Haus in der Nachbarschaft von einer Gasexplosion zerfetzt, bei der sechs Menschen starben. Spätestens danach keimte in Jonas wieder eine alte Idee, "etwas für die Straße zu tun" und für ihren Innenhof. Einige Jahre später ließ er seine Häuser sanieren und engagierte Künstler, die die Fassaden, inspiriert von Friedensreich Hundertwasser, aufblühen ließen. Nun schmücken farbenreiche Mosaike und Spiegel die Wände, prachtvolle Feenwesen und Paradiesvögel bewachen die Eingänge. Zitat einer beteiligten Künstlerin: "Man muss die Wände streicheln, bis sie strahlen."

Gleichzeitig ließ Jonas nach und nach den größten Teil der Garagen abreißen, den Beton aufbrechen und unzählige Lastenwagenladungen Mutterboden liefern. So entstand innerhalb von fünf Jahren eine freie Fläche von über 1000 Quadratmetern. Bei allen Veränderungen war die Nachbarschaft aktiver Partner. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind zwei Vereine: "Insel Flingern" koordiniert mittlerweile die Hausverwaltung, hat neulich eine Flüchtlingsfamilie in einem der Häuser einquartiert, sorgt dafür, dass ältere Bewohner ins Erdgeschoss umziehen können, wenn eine Wohnung frei wird, und betreibt das "Café du Kräh", in dem sich die Nachbarschaft sonntags zum Frühstück trifft, zu Yogastunden oder zur Französisch-Konversation. Für die Räume mit 160 Quadratmetern kassiert der Hausbesitzer keine Miete. Einzige Bedingung: Was serviert wird, sollte aus biologischem Anbau stammen. Frage an Hans-Rainer Jonas: "Sind Sie ein guter Mensch?" Die Antwort kommt etwas knurrig: "Ich gebe mir Mühe, nicht ganz so abgedreht zu sein."

Der zweite Verein, "Gute Nachbarschaft", bewirtschaftet den Gemeinschaftsgarten im Innenhof. Dort begutachtet Rolf Zimmermann gerade das Wachstum der Gerste. Nur ein paar Quadratmeter groß ist das Gemeinschaftsfeld - "davon werden wir Brot backen", sagt der Vereinsvorsitzende schmunzelnd. Aber vor allem soll das Getreide, wie auch die Senfpflänzchen nebenan, den Boden reaktivieren. "Man nennt das Grün-Düngung", erläutert der Diplom-Biologe. Auch Himbeeren, Erbsen und Erdbeeren werden hoffentlich wieder reichlich tragen, dazwischen gedeihen Apfel- und Pfirsichbäume, Eberesche und Walnussbaum. Und im "Kinder-Garten" lernen die Jüngsten, dass Salat nicht im Supermarkt wächst.

Die wenigen Garagen, die auf dem Grundstück blieben, überwuchert wilder Wein, dort werden heute Gartenmöbel, Spiel- und Arbeitsgeräte geparkt. Und viele Fahrräder. Dazwischen bleibt reichlich Platz zum Spielen, Klönen und Feiern. Auch wenn die neuen Zeiten noch nicht bei allen Mietern angekommen sind. Neulich stellte eine junge Frau noch ein paar Blumentöpfe mehr in den Innenhof und bekam von einer älteren Mitbewohnerin zu hören: "Das ist hier ein Autohof, keine Gärtnerei." Da irrt sie sich. Hans-Rainer Jonas kommentiert den Wortwechsel gelassen: "Veränderungen sind wie Sauerteig. Sie brauchen Zeit."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort