Heimatreport Volmerswerth Eine Straße, 170 Schritte

Düsseldorf · In dem landwirtschaftlich geprägten Stadtteil am Rhein gibt es eine Straße mit dem idyllischen Namen "Nach den 12 Morgen". Eine Wanderung in die tiefsten Verästelungen des Düsseldorfer Staßennetzes.

 Die Suche nach dem Ursprung des Straßennamens "Nach den 12 Morgen" führt den Reporter in einen verborgenen Winkel von Volmerswerth.

Die Suche nach dem Ursprung des Straßennamens "Nach den 12 Morgen" führt den Reporter in einen verborgenen Winkel von Volmerswerth.

Foto: a. bretz

In Düsseldorf gibt es laut dem Amt für Verkehrsmanagement 2555 "Straßen mit unterschiedlichem Namen". Manche, etwa die Königsallee oder die Berliner Allee, kennt nahezu jeder Düsseldorfer. Die meisten jedoch dürften nur Eingeweihten ein Begriff sein, sie tauchen in keinem Reiseführer auf, und kaum jemand weiß etwas über sie, was schade ist, denn so wie es stimmt, dass jeder Mensch besonders ist, ist auch jede Straße besonders, finde ich. Zumal dann, wenn sie einen so poetischen Namen hat wie "Nach den 12 Morgen". Da denkt man, also ich, an orientalische Wüstenlandschaften, an eine märchenhafte Verheißung, und das alles in einem Stadtteil unmittelbar am Rhein, zugleich nur wenige Minuten vom Düsseldorfer Stadtzentrum entfernt.

Als ich diesen morgenländischen Straßennamen auf dem Stadtplan entdeckte, und zwar in Volmerswerth, war mir klar, da muss ich hin. Mein Job als Heimatreporter: Ich folge dem Düsseldorfer Straßennetz bis in seine tiefsten Verästelungen, denn wo eine Straße ist, sind Menschen, und wo Menschen sind, ist Heimat. Auf 1595 Kilometern Länge erstrecken sich die 2555 Straßen - "Nach den 12 Morgen" ist gerade mal 170 Schritte kurz. Eine schnurgerade Sackgasse, an die sich ein schmaler, sandig-kiesiger Feldweg anschließt. Rechts drei Häuser, darunter zwei neue, weiße Mehrfamilienklötze, links vier Häuser, darunter zwei ziemlich alte. Tja, das war's. Wie bitte? Das soll's gewesen sein?! Wie ich auf dem Gehsteig grübelte, ob diese Straße vielleicht doch nicht so märchenhaft ist, wie ich gedacht hatte, parkte neben mir ein Auto, und eine Dame, Anfang fünfzig, dunkle Löwenmähne, große Sonnenbrille, stieg aus. "Verzeihung, sind Sie zufällig von hier?", sprach ich sie an. Sie antwortete: "Und ob. Als Kind habe ich hier Möhren und Kohlrabi geklaut." Sie lachte. Ich hakte nach: "Geklaut?!" Sie: "Nennen wir es Mundraub. Das waren alles mal Äcker. Der Bauer guckte bei uns Kindern nicht so genau hin." - "Wissen Sie, woher diese Straße ihren tollen Namen hat?" - "Hm. Sie ist noch recht neu. Höchstens drei Jahre alt. Meine Physiotherapeutin könnte es wissen. Die Praxis ist da vorne, ich habe gleich einen Termin. Kommen Sie mit, ich gebe Ihnen zehn Minuten ab." Kurz darauf stand ich in der Praxis, und die Dame stellte mich der Physiotherapeutin mit den Worten vor: "Das ist mein neuer Begleiter."

Das Interessante an "Nach den 12 Morgen" ist: Nur ein paar Schritte, und du kannst in einer Praxis stehen als neuer Begleiter einer fremden Frau. Du läufst in die andere Richtung, über die Sackgasse hinaus auf den Feldweg, und findest dich quasi auf dem Land wieder. Zu beiden Seiten Felder von Gartenbaufirmen, darunter eine mit dem passenden Namen Baum. Überall wurde gerade Wasser gespritzt, krochen High-Tech-Apparate durch lange Reihen eingetopfter Grünpflanzen, metallene Riesenvögel, an deren Schwingen Spritzdüsen befestigt waren, die ein zartes Rieselgeräusch machten. Geruch nach Lavendel, Hitze, Ferien.

Ich sprach mit polnischen Arbeitern, die mir in der Pause von ihrer Buttermilch anboten und meine Aussage, wie ländlich und schön die Gegend sei, mit den Worten quittierten: "Für dich ist es schön. Arbeitest du hier bei 36 Grad, ist es nicht mehr schön."

Die Physiotherapeutin hatte nicht gewusst, was es mit den 12 Morgen auf sich hat. Sie fragte eine Patientin, die es auch nicht wusste, mir aber ein Treffen mit einem Herrn Baum empfahl - offenbar heißt jeder hier Baum -, der nebenan wohne, aber ich wollte den guten Mann nicht überrumpeln, lieber den Feldweg entlangspazieren, der nach etwa einem Kilometer stumpf abbrach. Nach ein paar Metern durch kniehohes, halb verdorrtes Gras, rechts in der Ferne ragte der Fernsehturm auf, stand ich auf einem Reiterhof. Ein Mann kam mir entgegen, schlank, wettergegerbtes Gesicht - wie sich herausstellte, der Inhaber des "Tierhofs Aderdeich". Sein Name: Baum, Peter Baum. "Hier ist es friedlich. Kein Stress", sagte er. Und erzählte dann von einem örtlichen, wohlhabenden Grafen, der einst zwölf Morgen Land besessen hätte. Danach sei die Straße wohl benannt worden. Ich dankte und ging.

Alles in allem war ich gut zwei Stunden unterwegs gewesen, aber sie kamen wir ein ganzer Ferientag vor, fremdländisch und überraschend - es ist tatsächlich etwas Märchenhaftes an diesem verborgenen Winkel in Volmerswerth. Na also, habe ich doch gleich gesagt!

(RP)
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