Studenten aus Nahost Freundschaft unter Feinden

Düsseldorf · Katharina Arditi (25) kommt aus Israel, Imad Al-Kilani (35) ist Palästinenser. Sie wuchsen mit der Feindschaft ihrer Völker auf. Nun studieren beide an der Uni Düsseldorf. Ihr Studiengang European Studies soll einen Beitrag zum Frieden leisten. Das Experiment scheint zu gelingen.

Es war an einem kalten Oktobertag, als sich neun Palästinenser und zwölf Israelis in Düsseldorf trafen. "Wir wussten nicht einmal, wie wir uns begrüßen sollten", erzählt Katharina Arditi. Sie habe sich so unbeholfen wie ein Kindergartenkind gefühlt. Jeder misstraute der anderen Studenten-Gruppe und wägte Worte sehr genau ab.

Nun, fast ein halbes Jahr später, hat sich für viele Teilnehmer die Welt verändert: Katharina Arditi (25) und der Palästinenser Imad Al-Kilani (35) sind Freunde geworden. Von "Vertrauen" spricht Imad, und Katharina will demnächst sogar seine Familie besuchen.

Lernen auf neutralem Boden

Damit scheint ein Experiment zu gelingen, das im Stillen an der Universität Düsseldorf startete. Die Verantwortlichen schirmten die Teilnehmer lange ab, um sie zu schützen. Unbeobachtet sollten sie aufeinander zugehen können, im Seminar und in der Freizeit.

Gemeinsam streben Katharina und Imad auf neutralem Boden einen Master in "European Studies" an. Der Studiengang ist einzigartig in Europa und wurde vom ehemaligen isrealischen Botschafter Avi Primor, dem palästinensischen Universitäts-Präsidenten Sari Nusseibeh und dem jordanischen Prinz Hassan ins Leben gerufen. Das Ziel ist ein Beitrag zum Frieden in Nahost. "Dabei können wir von der europäischen Integration lernen", erklärt Imad die Hintergründe.

Seit Oktober sind die Studenten nun in Düsseldorf unterwegs. Allein diese Erfahrung verbindet. "Wir teilen gleiche Eindrücke über die Deutschen, das Essen und den kalten Winter", sagt Katharina. "Ich finde die Deutschen sehr berechnend und vermisse manchmal die Spontaneität und Emotionalität zu Hause", sagt Imad, der tief bewegt ist, wenn er über die Konflikte in seiner Heimat spricht und sein Volk in der Verliererrolle sieht.

Imad ist der jüngste Sohn seiner Familie. "Meine Mutter hat Angst, dass mir Europa so gut gefällt und ich nicht zurückkomme, weil das Leben in den besetzten Gebieten schwierig ist", sagt er. Aber er sei jedes Mal zurückgekommen. Mehrmals pro Woche ruft er die Familie an, die seit Generationen in Westbank nahe der Stadt Jenin liebt. "Die Stadt ist berühmt für Landwirtschaft und das Massaker im Jahr 2002", sagt er mit einer hilflosen Traurigkeit.

Beim interkulturellen Verein Mosaik in Düsseldorf hielt Imad kürzlich einen Vortrag über die Geschichte Palästinas. Seine ersten Worte lauteten: "Es gibt in diesem Fall keine objektive Geschichte." Im Publikum saßen seine palästinensischen Kommilitonen — und Katharina. "Ich wollte ihn dort unbedingt unterstützen", sagt sie. Imad sorgte sich ein wenig, dass er die Freundin mit seinen Ansichten verletzen könnte.

Beide haben jedoch längst vereinbart, dass persönliche Befindlichkeiten außen vor bleiben. Sie wollen offen sprechen und sind einen Schritt weiter auf der Brücke zum anderen gegangen als manche Kommilitonen. "Natürlich gibt es immer noch diese zwei Gruppen im Studium", sagt Katharina. Das sei allein schon wegen der Sprache so. Die Palästinenser ziehen sich zurück und sprechen arabisch, die Israelis hebräisch.

Im Sommer kommen auch Jordanier

Bislang steht der Studiengang nur diesen beiden Gruppen frei. Ab dem Sommer werden außerdem Jordanier aufgenommen. Alle Teilnehmer durchlaufen ein zweistufiges System. Katharina hat das erste Jahr an der Universität Herzliya in Israel studiert, Imad an der Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem. Beide Gruppen absolvierten ähnliche Seminare und wurden von denselben Dozenten unterrichtet. Diese reisten immer zwischen dem israelischem und palästinensischem Territorium hin und her.

"Manchmal musste auch eine Videokonferenz reichen", sagt Katharina. Denn kurz nach dem hoffnungsvollen Studienbeginn entbrannte der Krieg im Gaza-Streifen. Das Projekt war in Gefahr, einige Studenten sprangen ab. Letztendlich kamen 21 nach Deutschland und reisten mit gemischten Gefühlen an. "Manche glauben nicht mehr an eine Lösung des Konflikts", sagt Imad. "Vielleicht sind wir naiv, aber wir geben die Hoffnung nicht auf", sagt Katharina.

Beide sprechen viel darüber, was sie tun können, um die Situation zu verändern. Doch reden ist nur die eine Seite, die Realität die andere. "Wir könnten Projekte starten. Ganz sicher ist die gemeinsame Zeit hier ein Anfang", sagt Imad. Alles weitere hänge davon ab, wie sich die Lage entwickle und ob sich das Vertrauen zwischen ihnen festigt.

Katharina will auf jeden Fall demnächst Imads Familie besuchen. Es wird nicht leicht. Zivilisten beider Nationen haben kaum die Möglichkeit, sich im Nahen Osten zu begegnen.

Aber wo ein Wille ist, wird Katharina einen Weg durch die israelischen Kontrollen finden.

(RP)
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