Düsseldorf Friedenskämpferin zieht sich zurück

Düsseldorf · Mit fast 76 Jahren hat sich Barbara Gladysch, mehrfach ausgezeichnete Gründerin der Initiative "Mütter für den Frieden", gestern Abend im Maxhaus ins Privatleben verabschiedet. Nicht nur Friedensbewegten wird ihr Charisma fehlen.

 Weißer Pagenkopf, Lachfalten, sanfte Stimme, dazu großartige Fotos und jede Menge "Peace-Buttons": Barbara Gladysch in ihrem Arbeitszimmer.

Weißer Pagenkopf, Lachfalten, sanfte Stimme, dazu großartige Fotos und jede Menge "Peace-Buttons": Barbara Gladysch in ihrem Arbeitszimmer.

Foto: H.-J. Bauer

Auseinandergesetzt hat sich Barbara Gladysch gerne und oft. Mit ihrem autoritären Vater, der sich mit der Barbarei der Nazi-Diktatur partout nicht beschäftigen wollte, mit den frommen Leuten, die sich sonntags beim Kirchgang grüßten, um dann schlecht übereinander zu reden, mit Grünen-Fundamentalisten, die ihr zu Beginn der 1980er den damals denkbaren Parteieintritt vergällten und mit Oberbürgermeister Joachim Erwin, dem sie den 1997 verliehenen Jan-Wellem-Ring zurückgab, weil er sich geweigert hatte, aus Solidarität mit den Tibetern die Flagge des von China annektierten Territoriums zu hissen.

 "Menschen in Not, die Schutz brauchen und unsere Regeln akzeptieren, müssen wir helfen", sagt Barbara Gladysch.

"Menschen in Not, die Schutz brauchen und unsere Regeln akzeptieren, müssen wir helfen", sagt Barbara Gladysch.

Foto: Andreas Endermann

Klingt nach einer schwierigen Frau, doch wer Gladysch trifft, erfährt das genaue Gegenteil. Die Gründerin der "Mütter für den Frieden" ist nahbar, warmherzig, den Menschen zugewandt. "Nur gehorsam konnte ich nie sein." Die Wurzeln für diese Haltung, die ihr Leben bis heute bestimmt, liegen in ihrer Kindheit. "Wütend" war sie darüber, dass sie vom Vater eins hinter die Löffel bekam, weil sie nicht gehorchte. "Ohne Erklärung, oft wusste ich gar nicht, was ich eigentlich falsch gemacht habe", empört sie sich noch heute. Überhaupt der Vater. Auch später blieb er der Reibungspunkt. Mit zwölf Jahren stellte die Gymnasiastin, die in der Altstadt "aufs Ursulinen" ging, den promovierten Juristen mit Professur zur Rede, ob er und all die anderen Erwachsenen wirklich nicht bemerkt hätten, dass Juden erst einen Stern tragen mussten und dann einfach aus der Nachbarschaft verschwanden. In den 1950er Jahren ein Tabu-Bruch. "Er hat alles abgestritten, Lehrer, Presse, Alliierte - alle würden lügen", erinnert sich die Tochter. Und als Richard von Weizsäcker 1985 den 8. Mai einen Tag der Befreiung nannte, geriet der Vater außer Fassung. "Er kam zufällig vorbei, entdeckte von Weizsäcker auf der Titelseite der Zeitung und schrie: ,Der lügt. Der hat doch kein Heimatgefühl'", erinnert sich die damals schon stark exponierte Friedensaktivistin, die den Vater danach vor die Türe setzte. "Fast ein Jahr war dann erst einmal Sendepause."

 Zur Einweihung des Weiterbildungszentrums kam Gladysch 1986 als Bertha von Suttner. Dass man sie dort nicht reden ließ, sorgte für einen Eklat.

Zur Einweihung des Weiterbildungszentrums kam Gladysch 1986 als Bertha von Suttner. Dass man sie dort nicht reden ließ, sorgte für einen Eklat.

Foto: Endermann

Gladysch ging es wie vielen in ihrer Generation. Sie wollten verstehen, wie Deutschland so tief fallen konnte, doch die meisten Eltern verweigerten schlicht eine Debatte um Schuld und Mitverantwortung. Gladysch, die später ihr Jura-Studium abbrach und stattdessen Sonderpädagogin wurde, wollte das anders machen. Sich verantwortlich fühlen für Gesellschaft und Politik, für den Frieden und gegen Aufrüstung kämpfen, aber auch für jene streiten, die zu den Schwachen gehören. Seit den 1990er Jahren begleitet sie Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu Ämtern, setzt deren Interessen gegen Bürokraten durch. Zunächst waren es Menschen aus Bosnien, heute sind es Menschen aus der zu Russland gehörenden Kaukasus-Republik Tschetschenien.

Bergpredigt und praktizierte Nächsten- und Fremdenliebe, das faszinierte die streng katholisch erzogene Frau, die 1986 "aus tiefster Überzeugung und mit einem Halleluja im Kopf" aus der Kirche austrat. Dabei wurzelt ihr bis heute währender Dialog mit Gott in einem traurigen Schicksalsschlag. Als sie sechseinhalb Jahre alt war, starb ihre Mutter an einem Herzschlag. Mit nur 35 Jahren. "Ich zog mich immer in das winzig kleine Bad zurück, kletterte auf den Toilettendeckel, öffnete das schmale Oberlicht und sprach mit meiner Mutter, von der es ja hieß, sie sei im Himmel." Ein tröstliches Ritual, das für sie eine Brücke zum Glauben schuf. "An die Stelle der Mutter trat später Gott. Ihm sagte ich: Bitte lass dies oder jenes nicht geschehen, ihm vertraute ich alle Nöte und Ängste an.

Das Urvertrauen hält bis heute", sagt die Düsseldorferin, die als junge Studentin der damals neu gegründeten, weltlich auftretenden Gemeinschaft "Ecclesia" beigetreten war. Ein kurzes Intermezzo. "Die Gelübde Armut und Jungfräulichkeit waren kein Problem, aber der Gehorsam, der wollte mir einfach nicht gelingen", sagt Gladysch. Rauchend und mit einem Glas Bier in der Hand diskutierte sie in Kneipen mit lauter Männern aus ihrem Repetitorium über Gottesbeweise. Dazu kamen unzählige Besuche bei armen Menschen. "Für die Oberen zu viel. Ich flog raus", sagt sie.

Viele Anhänger hat Gladysch, die sich nicht das Etikett "links" anhängen lassen will, das wurde im Maxhaus einmal mehr deutlich. An einen Rückzug wollen sie nicht glauben. Doch die Menschenfreundin und Friedensaktivistin, die sich seit den Erfolgen der AfD ("ich halte die nicht aus, ich halte dagegen") wieder mehr Sorgen um die Demokratie macht, meint es ernst. Ihre Gesundheit spielt nicht mehr mit. Immer wieder öffentliche Auftritte absagen zu müssen, ist ihre Sache nicht. "Ich bin zufrieden", sagt sie und zeigt alle Lachfalten, die sie hat.

(jj)
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