Germanwings-Absturz "Wir denken immer noch an euch"

Düsseldorf · Drei Monate nach dem Absturz der Germanwings-Maschine auf dem Weg nach Düsseldorf tragen sich noch immer Menschen in die Kondolenzbücher am Flughafen ein.

 Die Erinnerungsstätte liegt auf der Galerie-Ebene im Terminal, unterhalb des Reisemarkts. Übernächste Woche wird sie weggeräumt.

Die Erinnerungsstätte liegt auf der Galerie-Ebene im Terminal, unterhalb des Reisemarkts. Übernächste Woche wird sie weggeräumt.

Foto: Andreas Endermann

Kaum mit der Rolltreppe oben angekommen, stürmen die beiden Steppkes los zu dem roten Luftballon. Und verstummen abrupt. Still stehen sie da und verstehen, dass die Ecke mit den bunten Bildern, den Plüschtieren und den Engeln kein Ort der Freude ist. Weiter hinten hat auch ihre Mutter begriffen, dass hier, auf halbem Weg zum Reiseschnäppchen für die Sommerferien, der Opfer von Flug 4U9525 gedacht wird. "Boah, immer noch! Dat is heftich", dröhnt sie und zerrt die Kinder weg, als hätten die etwas Unanständiges gesehen.

Ein paar Stunden vorher hat Alex in das Kondolenzbuch geschrieben, das neben einer weißen Rose auf einem Tisch liegt. "Auch wenn es nun schon drei Monate her ist: Wir denken immer noch an Euch."

Wie sollte man sie auch vergessen haben, die Menschen, deren sterbliche Überreste erst in der vergangenen Woche beigesetzt werden konnten? Die Fassungslosigkeit über die Katastrophe, das Entsetzen über die Umstände, die zu ihr geführt haben, sind aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht aber aus dem Bewusstsein vor allem der Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen am Flughafen zu tun haben.

"Nun fliegen auch wir, und haben ein komisches Gefühl", hat jemand im Mai geschrieben. Und eine Mutter, die ihre beiden Töchter gerade in einen Flieger nach Peking gesetzt hat, ist nicht gleich heimgefahren, sondern zum Kondolenztisch gegangen und hat ihre Ängste zu Papier gebracht, die sie nun ahnen lassen, wie es den Angehörigen ging, als sie auf die Rückkehr ihrer Lieben warteten. Ein Mädchen schreibt ihrer Freundin, die gestorben ist, wie es gewesen ist, dieses Warten auf Flug 4U9525.

Germanwings: Die Unglücksstelle am Tag nach dem A320-Absturz
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Die Unglücksstelle am Tag nach dem Absturz

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Foto: dpa, sh

"Deine Schwester ist nicht mehr, wie sie war." An der Wand hängen hunderte Zettel in alle Großen. Viele bestehen nur aus traurigen Smileys, Herzen oder den Buchstaben RIP, für Rest in Peace. So viel ist in jenen ersten Tagen nach der Katastrophe geredet und geschrieben worden. Hier aber haben vielen die Worte gefehlt, wie den beiden kleinen Jungen, die diese große, fremde Traurigkeit verstummen ließ.

Diese öffentliche Art der Anteilnahme hat in Deutschland noch nicht lange Tradition. Vielleicht löst sie auch deshalb bei einigen Befremden aus. Schon wenige Stunden nach dem Unglück waren die ersten Blumen vor dem Schalter der Airline niedergelegt worden. Innerhalb weniger Tage war ein Meer aus Blumen, Kerzen und eben jener Botschaften an die Opfer und der Familien daraus geworden. Nach einem Monat, in dem der Flughafen stillschweigend eine Brandwache rund um die Uhr an die Erinnerungsstätte gestellt hatte, waren die Gaben samt dem Kondolenzbuch eine Etage höher gebracht worden.

Damit das Gedenken auch in Ruhe und ein bisschen fern von der wieder eingekehrten Alltagshektik möglich ist, hieß es beim Flughafen. Keine Verbannung. Die welken Blumen sind entsorgt. Noch immer bringt ab und zu jemand neue. Nur Kerzen sind auch Sicherheitsgründen nicht mehr erlaubt. Die meisten Besucher haben Verständnis dafür. "Danke, dass es diese Möglichkeit zum Erinnern gibt" - auch solche Sätze stehen im Kondolenzbuch.

Manche wollen Trost mit Gottes Wort spenden, oder ihn darin finden. Bibelsprüche und Koranverse. "Viel Spaß im neuen Leben", hat einer ins Kondolenzbuch geschrieben, wohl ein ungeschickter Übersetzungsversuch der Hoffnung auf das Paradies. Die Fußballnationalmannschaft aus dem Iran hat einen Gruß hinterlassen, auch chinesische Beileidsbekundungen hängen an der Wand.

Leon aus Gelsenkirchen hat ein Bild gemalt. Gelbe Sonne, blauer Himmel und weiße Wölkchen. Das Flugzeug ist rot, und drum herum hat Leon einen schwarzen Rand gezogen. "In stiller Ruhe" hat er in ungelenker Kinderschrift zweimal darunter geschrieben. Wie sein Bild wohl zu der Gedenkstätte gekommen ist? Und wie das von Lena, die in leuchtenden Farben "Tut mir leid, was passiert ist" auf einen Zeichenblock geschrieben hat?

Auf dem Heimweg von einem Familienfest hat ein Berliner aufgeschrieben, dass die Konfirmandin, die er besucht hatte, ihren Konfirmationsspruch den Opfern von 4U9525 gewidmet hat. Kollegen der getöteten Crew-Mitglieder trösteten einander mit einem Spruch, der eigentlich als Kofferaufkleber zum Schmunzeln bringen soll: "Flugbegleiter sterben nicht - sie fliegen nur höher."

(RP)
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