Düsseldorf "Habt ihr euch nicht schon aufgelöst?"

Düsseldorf · Der Ortsverein Flingern hat Bürger gefragt, ob die SPD in Berlin weiter regieren soll. Ein Besuch am Infostand.

 Martin Volkenrath (Mitte) und andere SPD-Mitglieder diskutierten an der Birkenstraße in Flingern mit Passanten.

Martin Volkenrath (Mitte) und andere SPD-Mitglieder diskutierten an der Birkenstraße in Flingern mit Passanten.

Foto: Andreas Bretz

Die Frage, die Martin Volkenrath gar nicht stellen wollte, treibt viele Flingeraner in die Flucht. "Ich muss weiter", sagt eine junge Frau und zeigt auf die Bahnhaltestelle. "Kein Interesse", sagt ein Mann und eilt zum Metzger. Einer sagt: "Ihr macht euch doch lächerlich", ein anderer: "Ich wähl sowieso AfD". Volkenrath und die anderen Mitglieder des SPD-Ortsvereins Flingern packen ihren Tisch mit dem roten Schirm trotz der Rückschläge nicht wieder ein. Sie suchen an der Birkenstraße nach einer Antwort auf die Frage, die auch die eigenen Reihen spaltet: Soll die SPD noch mal in eine große Koalition gehen?

Über die mögliche Neuauflage des Bündnisses mit der CDU in Berlin wird seit Wochen auch unter den Mitgliedern in Düsseldorf viel diskutiert. Und das, obwohl sie eigentlich nicht mal Gespräche wollten: Die Delegierten der Düsseldorfer Ortsverbände haben sich im Januar mit 35 zu 5 klar gegen Koalitionsgespräche ausgesprochen. Der Bundesparteitag hat anders entschieden. Jetzt müssen auch die 3149 Düsseldorfer Mitglieder abstimmen, ob die Groko kommen soll.

Ralf Zimmer-Hegmann (55), der Vorsitzende des Ortsvereins, hat den Wahlbrief aus Berlin schon zugeschickt bekommen - und auch schon ausgefüllt. Der gesamte Vorstand seines Flingeraner Ortsvereins hatte sich gegen die Verhandlungen ausgesprochen. An der Regierung könne die SPD nicht zu alter Stärke zurückkehren, findet man. Das sahen auch die rund 60 Mitglieder so, meint der Sozialwissenschaftler. "Im Grunde waren alle dagegen." Die jüngsten Personalquerelen in der Bundespartei hätten dazu geführt, dass sich seine persönliche Meinung nur noch gefestigt hat: Die SPD könne bei diesem Bündnis nicht gewinnen.

Wer sich in diesen Tagen als Sozialdemokrat zu erkennen gibt, hat es nicht leicht. Die zehn Parteimitglieder bekommen ordentlich Frust ab. "Ich bin mit der Bundesregierung schon lange unzufrieden", sagt eine Frau, die sich beschwert, wie viel sie immer im Sanitätshaus zuzahlen muss. "Habt ihr euch nicht schon aufgelöst?", spottet ein Mann. Und einer, der mit Trainigsjacke, Zigarette und grauem Schnauzbart aussieht wie klassisches SPD-Klientel, poltert los: "Ich verstehe euren Martin Schulz nicht, die Wetterfahne. Das ist wie früher die FDP."

Martin Volkenrath will sich die Laune nicht verderben lassen: "Man merkt eben, dass wir gerade nicht bei 50 Prozent stehen", sagt er. Dabei hat er das lange Drama der Sozialdemokraten zuletzt hautnah miterleben müssen: Im vergangenen Frühjahr stand der Gewerkschaftssekretär auf dem Markt am benachbarten Hermannplatz und verteilte Marmelade, um für seine Wahl in den Landtag zu werben - und fuhr sogar auf einem roten Trecker durch Flingern. Es half nichts: Erst kam die Schlappe im Land, auch für Volkenrath reichte es nicht. Dann folgte die im Bund. Und nun trotzdem wieder in die Bundesregierung? Volkenrath verkleidete sich zu Karneval als Zwerg - weil er den "Zwergenaufstand" der Jusos so gut findet.

Die Entscheidung über die Berliner Regierung muss jeder Sozialdemokrat bis 2. März alleine treffen. Die Wahlzettel trudeln in diesen Tagen per Post ein, gemeinsam mit der Parteizeitung "Vorwärts". Die Düsseldorfer Partei bietet aber Gesprächsrunden: Ortsvereine kommen zusammen, dazu tagt der Unterbezirksausschuss, das zweitwichtigste Gremium hinter dem Parteitag. Jeder, der das rote Parteibuch hat, darf diesmal teilnehmen.

"Ich bin gegen die Groko", sagt ein Passant zu Jesco Groschek (26). "Ich doch auch", antwortet der und versucht weiter, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen. Die Düsseldorfer Parteijugend steht zu dem Bündnis genau so ablehnend wie ihr Bundesverband. Die Jusos protestierten im Januar vor dem "Holiday Inn" an der Toulouser Allee, als der damalige Parteichef Martin Schulz zum Treffen der NRW-Delegierten kam. "Rückgrat statt Rückschritt", stand auf einem Transparent. Auch die drei jungen Parteimitglieder, die gestern Nachmittag dabei sind, wollen immer noch mit Nein stimmen.

Jesco Groschek, Sozialpädagoge und Sohn von Landeschef Michael Groschek, kann den bewegten Zeiten aber auch Gutes abgewinnen. Das geht vielen am Infostand so: Man streite so engagiert miteinander wie lange nicht. Eben saß Groschek in einem Café und an zwei Nebentischen wurde über die Groko diskutiert. Es gibt 265 neue Eintritte in die SPD Düsseldorf seit Jahresbeginn, und es sind viele Leute darunter, die noch nicht ergraut sind. "Diese Energie muss weitergetragen werden", sagt Groschek.

Volkenrath hat eine Tafel mitgebracht, an der die Passanten ihre Meinung ankreuzen können. Der straßenerfahrene Ortsverein kann nach anfänglichen Rückschlägen doch noch viele Menschen zum Gespräch bewegen: Immer mal wieder bleibt jemand stehen, plaudert und streitet mit den Parteimitgliedern und klebt einen Sticker auf die Tafel. Das Ergebnis nach zwei Stunden: Acht Stimmen für die Groko, 30 dagegen. Also noch ablehnender als die Partei-Abstimmung.

Es ist übrigens doch nicht so, dass alle Flingeraner Sozialdemokraten gegen die Groko sind - was man aber erst erfährt, wenn man herumfragt, weil Renate Elend zu den leiseren gehört. Die 80-Jährige, die bei den Parteifreunden für ihre Hühnersuppe bewundert wird, will die Groko: "Nur in der Regierung können wir was durchbringen."

(arl)
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