Interview mit Harald Christ "Wir haben zu viele Berufspolitiker"

Düsseldorf · Als Unternehmer und Ergo-Vorstand machte er Millionen. Jetzt hat er gekündigt und will sich der Politik widmen, ausgerechnet in der SPD.

 Harald Christ machte als selbstständiger Unternehmer Millionen, arbeitete als hoch bezahlter Manager bei Ergo und will nun in die Politik.

Harald Christ machte als selbstständiger Unternehmer Millionen, arbeitete als hoch bezahlter Manager bei Ergo und will nun in die Politik.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Herr Christ, Sie verdienen zurzeit ein siebenstelliges Jahresgehalt, 25 mal so viel wie der durchschnittliche Deutsche in Vollbeschäftigung. Warum werfen Sie so einen Job hin?

Harald Christ Das ist eine Frage, die ich häufig zu hören bekomme. Ich tue es aus Überzeugung, ich möchte mehr Freiheiten haben, möchte unternehmerisch und auch politisch weiter agieren können. Das lässt sich mit der Rolle als Vorstand in einem Konzern nicht vereinbaren. Jedenfalls, nicht so intensiv, wie ich es mir wünsche. Ich verzichte übrigens auch, wie schon bei meinen Positionen bei Postbank, Deutscher Bank und WestLB auf jegliche weiteren Ansprüche aus meinem Vorstandsvertrag.

Ganz ehrlich, wir kennen Sie als erfolgreichen Manager in Sachen Geld. Dieses Verhalten steht dazu im krassen Gegensatz . . .

Christ Nein, ökonomischer Sinn und Verzicht schließen sich nicht aus. Ergo hat sich 2016 eine neue Strategie verordnet. Es war für mich gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht vertretbar, selbst über personelle Einschnitte zu entscheiden und sie durchzusetzen und dann mit einem goldenen Handschlag zu gehen. Ich habe immer gut verdient, aber meine Jobs nicht vom Einkommen allein abhängig gemacht. Ich bleibe Ergo übrigens sehr verbunden mit zwei Aufsichtsratspositionen und einem Engagement in der Ergo Stiftung. Darauf freue ich mich sehr.

Wie viele Menschen haben durch die von Ihnen geleitete Restrukturierung ihre Jobs verloren?

Christ Wir mussten leider die Anzahl der Stellen im angestellten Außendienst in etwa halbieren.

Und jetzt wollen Sie Karriere machen in der SPD, als reicher Manager, der fast 1500 Menschen arbeitslos gemacht hat?

Christ Ich sehe in meiner Mitgliedschaft in der SPD und meinem Handeln als Manager keinen Widerspruch. Selbst Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren Personal reduzieren müssen. Der Stellenabbau bei Ergo gelang nach sehr intensiven Verhandlungen im Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertreten, und wir haben den Abbau möglichst sozialverträglich vorgenommen. Viele Gespräche habe ich persönlich geführt. So etwas ist nie angenehm, und doch sind solche Maßnahmen in der Finanzindustrie heute leider notwendig. Für die Wettbewerbsfähigkeit von Ergo und die Sicherung der Zukunft war es eine ökonomische Notwendigkeit, das hat nichts mit dem Parteibuch zu tun.

Für viele Düsseldorfer ist die Ergo heute auch noch Victoria, obwohl der Markenname schon vor sieben Jahren vom Markt genommen wurde. Wie viel ist davon übrig geblieben?

Christ Ich war ja zu Zeiten der ehemaligen Gesellschaften noch nicht an Bord, deshalb kann ich das nicht genau sagen. Aber ein Stück weit, das ist mein Eindruck, spürt man noch immer die Kulturen der alten Marken. Da ist weiterhin Integrationsarbeit zu leisten, obwohl sich so etwas natürlich über die Jahre auch durch Personalfluktuation und neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter relativiert. Es gibt immer mehr Mitarbeiter, die nur Ergo kennen und stolz sind, dort zu arbeiten, so wie es früher bei Victoria war.

Ab 1. Januar sind Sie also auf eigenen Wunsch arbeitslos. Was wollen Sie mit so viel Tagesfreizeit anfangen?

Christ Ich möchte wieder mehr unternehmerisch tätig werden. Ich habe einige Ideen hinsichtlich Kommunikation und Personalberatung, aber spruchreif ist das noch nicht. Auch werde ich einige Aufsichtsratsmandate übernehmen. Vor allem aber möchte ich mich auf zwei Ebenen privat wieder stärker engagieren. Zum einen in der SPD, zum anderen möchte ich mein soziales Engagement verstärken. Wenn ich nicht mehr in den Strukturen eines so großen Konzerns mit vielen tausend Mitarbeitern und viel mehr Kunden eingebunden bin, kann ich mich ab 2018 freier politisch äußern. Das liegt mir im Hinblick auf die derzeitigen politischen Herausforderungen sehr am Herzen. In der Intensität wie ich es möchte, geht es als Vorstand nicht. Beruflich schließe ich aber nie etwas aus - letztlich kommt es immer auf die Herausforderung in der Aufgabe an.

Was war der ausschlaggebende Moment für diesen Abschied?

Christ Das war der Wahltag am 24. September 2017. Und zwei düstere Nachrichten: das niedrigste Ergebnis für die SPD seit der Gründung der Bundesrepublik und noch mehr das erschreckende Erstarken der AfD. Und darauf der Gedanke, was das für die Stabilität unserer Demokratie bedeuten kann. Außerdem hatte ich im Konzern einen bestens geeigneten Nachfolger. Ich habe mit meinem Team vieles von dem, was notwendig war, umgesetzt - ich hatte geliefert. Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, den Stab zu übergeben.

Welche Ambitionen haben Sie in der SPD konkret?

Christ Ich bin vor fast 30 Jahren der SPD beigetreten, war Juso-Vorsitzender, Gewerkschafter, Schatzmeister in zwei SPD-Landesverbänden und bei der Bundestagswahl 2009 im Schattenkabinett von Frank Walter Steinmeier für das Wirtschaftsministerium vorgesehen. Bislang strebe ich kein Parteiamt an. Man kann auch Politik machen ohne ein Pöstchen - das soll es geben.

Sie sind ein vermögender Unternehmer und Manager. Auch Silvio Berlusconi oder Donald Trump haben erst privat ein Vermögen gemacht und gingen dann in die Politik. Aber glauben Sie ernsthaft, der Wähler honoriert das?

Christ Kein schöner Vergleich. Aber, wieso muss ein Sozialdemokrat finanziell abhängig sein? Ich bin schon im Jahr 1988 Sozialdemokrat geworden, als ich noch nichts hatte. Ich komme aus einfachem Elternhaus, genau das soziale Milieu, das man immer der SPD zurechnet. Dass ich danach finanziell unabhängig geworden bin, darf mir doch heute deswegen nicht zum Nachteil gereichen. Für mich ist die SPD auch die Partei des sozialen Aufstiegs. Daher stand für mich übrigens aus Überzeugung ein Parteiwechsel nie zur Debatte. Außerdem fände ich es gut, wenn es mehr Politiker gäbe, die in ihrem Leben auch außerhalb der Politik Erfahrungen gesammelt haben und sie dann auch einbringen. Eine gewisse Unabhängigkeit zur Politik kann nicht schaden. Wir haben zu viele Berufspolitiker nach dem Motto Kreißsaal - Hörsaal - Plenarsaal. Wobei es darunter tolle Talente gibt.

Sie sind persönlich mit einer Summe von 250.000 Euro für den Grand Départ der Tour de France einer der größten Einzelspender. Wie sehen Sie nun die Ablehnung der letzten Zahlungen im Düsseldorfer Stadtrat durch CDU und FDP?

Christ Die Diskussionen heute sind der Person, dem Ereignis, Oberbürgermeister Thomas Geisel und der Stadt Düsseldorf nicht würdig. Die Landeshauptstadt kann stolz sein, ein solches Großereignis nach Düsseldorf geholt zu haben, auch wenn der Erfolg natürlich monetär nicht messbar ist. Für mich ist das parteipolitisches Taktieren.

Das Gespräch führte Thorsten Breitkopf.

(RP)
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