Serie Düsseldorfer Erfinder Höhenflug für einen Klebestift

Düsseldorf · Vor fast 50 Jahren beobachtete ein Produktentwickler von Henkel, wie eine junge Frau sich die Lippen schminkte. So entstand der Pritt-Stift - eine Weltraummarke.

 Commander Juri Usatchew testete die Klebeeigenschaften des Prittstiftes im Jahr 2001 sogar im Weltraum.

Commander Juri Usatchew testete die Klebeeigenschaften des Prittstiftes im Jahr 2001 sogar im Weltraum.

Foto: CD: Oedekoven

Diese Idee kam aus der Luft - quasi angeflogen. Über den Wolken, während eins Fluges beobachte der Produktentwickler Wolfgang Dierichs von Henkel eine junge Frau, die einen Lippenstift aus der Tasche zog und sich den Mund schminkte. Dieser Augenblick liegt fast ein halbes Jahrhundert zurück, er bescherte dem Unternehmen einen Welterfolg.

Der Henkel-Forscher Dierichs hat die Geschichte seines Höhenfluges später oft erzählt. Wie er in diesem Augenblick dachte: Warum gibt es eigentlich keinen Papierkleber in Form eines Lippenstiftes? Klein und handlich, sauber in der Anwendung und immer und überall einsatzbereit. Gut zwei Jahre später, am 20. Juli 1969, war das neue Produkt auf dem Markt: eine kleine Säule im rot-weißen Outfit mit einem einfachen Mechanismus ausgestattet, um den Klebstoff herauszudrehen - im Prinzip wie beim Lippenstift. Klingt, wie die besten Ideen, ganz einfach.

Aber ganz so einfach war die Entwicklung dieser Innovation dann nicht. Denn das Besondere beim Prittstift liegt nicht nur an der Hülle mit ihrem besonderen Dreh, sondern an der Rezeptur. "Die Kunst bestand darin, den Klebstoff steif zu bekommen, vorher hatte es ja nur Flüssigkleber gegeben", erläutert Nils Helwig, heute Produktentwickler bei Henkel. Gleichzeitig aber sollte die Masse nicht zu steif, sondern geschmeidig sein. Die Henkel-Forscher kombinierten zwei neue Substanzen: ein formstabiles Seifengel (wie es vom Lippenstift bekannt ist) und einen wasserlöslichen Klebstoff. Ihre Experimente bewiesen schließlich: Zunächst treten die Eigenschaften der Seife in den Vordergrund, sodass die Substanz zwar fest ist, die Klebeeigenschaften aber eher unterdrückt werden. Sobald aber das Material abgerieben wird, treten die Seifenbestandteile in den Hintergrund. Die Folge: Der Stoff lässt sich weich auftragen - und er klebt. Noch im Jahr seiner Entwicklung wurde das neue Produkt mit dem Patent DE 1811466 geschützt.

Viele Patente sollten in den nächsten Jahrzehnten folgen, denn seit der Erfindung ist die Mixtur des Prittstiftes immer wieder verändert worden. Während es früher vor allem darum ging, neue Anwendungsmöglichkeiten zu finden, stehen heute die Inhaltsstoffe im Vordergrund. "Wir legen großen Wert auf ökologische Verträglichkeit", so Nils Hellwig. So begann in den 1990-er Jahren der Umstieg von erdölbasierten Bestandteilen auf pflanzliche Stärke. Die wurde viele Jahre aus der asiatischen Tapioka-Wurzel gewonnen, "aber seit 2012 verwenden wir eine einheimische Industriekartoffel", erläutert Hellwig, "schon um lange Transportwege zu vermeiden."

Seit der erste Klebstift 1969 auf den Markt kam, verkaufte Henkel von den kleinen roten Säulen weltweit 2,5 Milliarden Stück. Allein im Düsseldorfer Werk werden jedes Jahr 80 Millionen Prittstifte produziert und in über 30 Länder verschickt. Außerdem bekam der Stift im Laufe der Jahre viele Verwandte mit haftenden Eigenschaften, von der Kleberolle bis zum Bastelkleber - für kleine Mädchen im Pony-Design, für Jungs im Piraten-Look.

2001 wurde der Prittstift gar zum Himmelsstürmer. Am 17. März startete eine russische Trägerrakete vom Weltraumbahnhof in Baikonur zur Internationalen Raumstation ISS. An Bord ein Sortiment von Prittstiften, die von Commander Juri Usatchew unter extremen Weltraumbedingungen getestet wurden. Ergebnis: Die Klebeeigenschaften wurden nicht beeinträchtigt. Und so wurde das Produkt aus Düsseldorf mit dem Siegel "Space Proof Quality" geehrt - und eine Weltmarke stieg auf zur Weltraummarke.

(RP)
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