Interview mit Sahra Wagenknecht "Ich bin ein Mensch, der Wärme braucht"

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht (Die Linke) im Gespräch über ihre Sympathie für Ludwig Erhard und das Problem mit ihrem Smartphone.

Wer links ist, kann auch lächeln - die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, 45, mit unserem Autor Sebastian Dalkowski. Sie trat 2009 und 2013 im Wahlkreis Düsseldorf-Süd an.

Wer links ist, kann auch lächeln - die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, 45, mit unserem Autor Sebastian Dalkowski. Sie trat 2009 und 2013 im Wahlkreis Düsseldorf-Süd an.

Foto: Andreas Bretz

Ihnen hängt immer eine freie Haarsträhne an der Seite raus. Ist das Zufall?

Sahra Wagenknecht Sie haben ja Fragen.... Das hat einen banalen Grund: Je kürzer die Haare geschnitten sind, desto weniger halten sie hinten zusammen.

Die Strähne ist also kein Zeichen Ihrer rebellischen Haltung?

Wagenknecht Ich glaube nicht, dass ich meine Rebellion mit einer ungeordneten Haarsträhne unterstreichen muss.

Wo wären Sie jetzt am liebsten?

Wagenknecht Mit einem guten Buch im Arbeitszimmer unseres Hauses im Saarland.

Was steht denn in diesem Arbeitszimmer?

Wagenknecht Viele Bücher und ein Sessel. In dem kann ich, wenn ich die Zeit habe, 15 Stunden sitzen und lesen, ohne Rückenschmerzen zu bekommen. Aber die Gelegenheit dazu hab ich viel zu selten.

Sie haben mit vier angefangen zu lesen. Irgendwann sind Sie auf den "Faust" gestoßen. Was hat Sie daran beeindruckt?

Wagenknecht Zuerst der Mephisto, diese Figur fand ich absolut faszinierend. Aber mehr und mehr hab ich dann auch den zweiten Teil des Faust entdeckt. Da steckt die ganze Menschheitsgeschichte drin.

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Haben Sie irgendwas daraus mitgenommen?

Wagenknecht Ja, klar. Da wird die tiefe Widersprüchlichkeit des modernen Kapitalismus beschrieben: Faust als Unternehmer schafft Reichtum und Wohlstand, ist aber gleichzeitig ein Tyrann gegenüber seinen Beschäftigten und am Ende macht ihn sein grenzenloser Expansionsdrang sogar zum Mörder. Tausch und Raub liegen eng beieinander, ebenso Handel und Krieg.

Hatten Sie ein Bedürfnis nach Rückzug?

Wagenknecht Als Kind fand ich es einfach spannender zu lesen und zu träumen. Wenn ich in einer Kita eine andere Sprache hätte lernen können, wäre ich sicher gern hingegangen. Aber im Sandkasten spielen, fand ich langweilig.

Also war der Rückzug eine Notwendigkeit?

Wagenknecht Ich weiß gar nicht, ob es ein Rückzug war, ich habe mich mit meinen Büchern nicht allein gefühlt. Ich war voller Wissenshunger und wollte deshalb auch früher in die Schule. Leider ging das damals nicht.

Trotzdem baut sich zur Umwelt eine Distanz auf, wenn man viel liest.

Wagenknecht Nicht unbedingt. Man braucht nur Menschen, mit denen man über das Gelesene reden kann. Das hatte ich nicht immer. Nach dem Abitur durfte ich zunächst nicht studieren und habe dann zuhause die ganze klassische Philosophie gelesen. Aber ich hatte niemanden, mit dem ich darüber diskutieren konnte. Der Beginn des Studiums war wie eine Befreiung.

Mussten Sie als Politikerin lernen, auf Menschen zuzugehen?

Wagenknecht Ein bisschen schon. Bis 2004 habe ich Politik nur ehrenamtlich gemacht. Je mehr man sich allerdings engagiert desto mehr muss man auch das lernen, was man neudeutsch Netzwerken nennt. Das ist wahrscheinlich bis heute keine besondere Stärke von mir.

Wären Sie gerne volkstümlicher?

Wagenknecht Ich bin, wie ich bin. Man sollte nie versuchen, sich künstlich zu etwas anderem zu machen. Ich denke schon, dass ich so reden kann, dass die Leute mich verstehen. Aber Stammtisch - das passt nicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie Interesse an der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien hatten.

Wagenknecht Nun ja, mein Büro hat mir die Spiele der deutschen Nationalmannschaft in den Kalender geschrieben. Schon, damit ich da keine öffentlichen Auftritte zusage, zu denen dann keiner kommt.

Also haben Sie auch das Finale nicht gesehen?

Wagenknecht Nein.

Macht Intelligenz einsam?

Wagenknecht Ich brauche Austausch mit Menschen. Wenn man ein Buch liest, kommuniziert man zwar auch in gewissem Sinne, mit dem Autor. Aber das ist eine einseitige, stumme Kommunikation. Außerdem bin ich ein Mensch, der auch einfach private Wärme braucht, Menschen, die einen auffangen und halten.

Wo lagen Sie zuletzt falsch?

Wagenknecht Früher habe ich ein anderes Wirtschaftsmodell vertreten. Da war ich der Meinung, dass man Wirtschaft zentral planen kann. Das halte ich nicht mehr für machbar. Wir brauchen Markt und Wettbewerb. Man muss nur gucken, wo er funktioniert und wo nicht, etwa in Bereichen wie Gesundheit oder Bildung. Aber Leistungsprinzip heißt eben, dass die profitieren müssen, die den Reichtum erarbeiten, nicht die, die einfach nur große Vermögen geerbt haben oder windige Finanzgeschäfte betreiben.

Sprechen wir also von Marktwirtschaft? Sie sind mittlerweile großer Fan von Ludwig Erhard.

Wagenknecht Also einen Fanclub habe ich noch nicht gegründet. Aber wer Ludwig Erhard liest, dem muss schon auffallen, wie weit die aktuelle Politik sich von seinem Anspruch wegbewegt hat. Erhard wollte keine Riesenkonzerne, die ganze Staaten erpressen können, und keine Zockerbanken, die ihre Verluste auf den Steuerzahler abwälzen. Dass die Reallöhne mit der Produktivität steigen, war für ihn Kennzeichnen einer sozialen Marktwirtschaft.

Also halten Sie den Kapitalismus für reformierbar?

Wagenknecht Ich glaube, es gibt eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Der Ökonom Joseph Schumpeter hat immer unterschieden zwischen Unternehmern und Kapitalisten. Der Unternehmer ist jemand, der Ideen hat, eine Marktlücke erkennt, mit viel Power für sein Unternehmen kämpft. Der Kapitalist sieht Unternehmen nur als Anlageobjekt, aus denen er möglichst viel Rendite rausholen will. Wir brauchen Mechanismen, die es Unternehmern leichter machen, an Geld zu kommen und ihre Ideen umzusetzen. Heute ist das sehr schwer. Kapitalisten dagegen braucht eine Volkswirtschaft nicht, niemand sollte mehr durch die Arbeit anderer reich werden können.

Eine aktuelle Regierungsstudie besagt, dass Studenten unpolitischer und egoistischer geworden sind. Das wird Sie nicht gerade freuen.

Wagenknecht Wer heute studiert, hat eine sehr unsichere Perspektive. Man kann danach richtig viel verdienen, allerdings meist um den Preis, dass man sich weitgehend aufgibt für den Job. Aber es gibt auch immer mehr Akademiker, die sich von einem schlechtbezahlten, befristeten Job zum nächsten hangeln. Das ist auch ein Grund, warum für viele erst mal im Mittelpunkt steht, ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern.

Vielleicht haben sich die Leute auch arrangiert und interessieren sich deshalb nicht mehr so sehr für Politik.

Wagenknecht Die heutige Politik ist ja auch nicht sehr spannend, weil die meisten Parteien sich kaum noch unterscheiden. Viele gehen davon aus, dass sie sowieso nichts ändern können. Dann arrangiert man sich eben mit den Verhältnissen. Gut finden muss man sie deshalb nicht.

Können Sie ein widerspruchsfreies Leben im Kapitalismus führen?

Wagenknecht Ach was, das geht doch gar nicht. Natürlich habe ich auch ein iPhone...

... Welche Version?

Wagenknecht Ich glaube 5. Ich brauche das Ding, auch wenn ich weiß, dass das Unternehmen kaum Steuern bezahlt und in Südostasien produziert. Bei Kleidung habe ich den Vorteil, dass ich sie in der Boutique kaufen kann und nicht bei Kik.

Teuer heißt nicht gleich anständiger.

Wagenknecht Sie haben Recht, auch da weiß man es nicht so genau. Aber meistens ist es schon in Deutschland genäht. Aber es fängt ja im ganz Alltäglichen an: Wenn ich Rosen geschenkt bekomme, freue ich mich. Aber ich weiß, dass sie oft unter schlimmen Bedingungen produziert werden.

Achten Sie darauf, dass Sie Äpfel aus der Region kaufen und nicht aus Neuseeland?

Wagenknecht Äpfel brauche ich nicht zu kaufen, die haben wir im eigenen Garten. Ich gehe gerne in Bioläden einkaufen, weil es dort besser schmeckt. Aber auch das ist ein Privileg. Wer einen Hartz-IV-Empfänger belehrt, in den Biomarkt zu gehen, ist zynisch.

Was haben Sie sich zuletzt gegönnt?

Wagenknecht Eine wunderschöne Radtour ist für mich ein schöneres Erlebnis als eine Spritztour im Cabrio.

Ich frage anders: Was haben Sie sich zuletzt finanziell gegönnt?

Wagenknecht Ein Essen in einem französischen Sternerestaurant.

Dürfen Sie als Politikerin der Linken viel Geld für gutes Essen ausgeben?

Wagenknecht Das ist doch eine absurde Frage. Ich will ja die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft nicht überwinden, damit alle nur noch Lidl-Tiefkühlpizza essen. Jeder sollte ab und an in ein gutes Restaurant gehen können. Genau wie jeder über den Luxus verfügen sollte, Freizeit zu haben, Zeit für Familie und Freunde. Auch das ist heute für viele Mangelware.

Da sind Politiker schlechte Vorbilder.

Wagenknecht Das stimmt. Aber wenn man sich dem Hamsterrad des Politbetriebes widerstandslos hingibt, verändert einen das irgendwann auch. Deshalb sollte man das nicht tun.

Sie sind nun zehn Jahre Berufspolitikerin. Wie lange machen Sie noch?

Wagenknecht Wenn ich was verändern will, läuft das heutzutage über Parteien und Parlamente. Aber ich vermisse den Alltag von früher, die viele Zeit zum Lesen, Nachdenken und Schreiben. Bis zur Rente möchte ich nicht so leben wie jetzt.

Dann hätten Sie auch mehr Zeit für Ihr neues Hobby Kochen. Was kochen Sie am liebsten?

Wagenknecht Oeufs a la Neige. Das ist ein französisches Dessert. Mit Ei, Sahne und Milch. Schmeckt wunderbar und gehört zu den wenigen Gerichten, die ich wirklich kann.

Ist es kompliziert?

Wagenknecht So ganz einfach ist es nicht. Man muss das Eiweiß in der Milch stocken, die Milch darf nicht anbrennen. Aber wenn ich es kann, dann kann es so schwer nicht sein.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE SEBASTIAN DALKOWSKI.

(RP)
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