Frank S. im Reker-Prozess "Ich bin kein paranoider Narzisst"

Düsseldorf · 15 Jahre oder weniger – um diese Frage geht es für den Angeklagten im Reker-Prozess. Doch statt sich auf seinen Anwalt zu verlassen, verteidigt sich Frank S. lieber selbst und macht damit eine lebenslange Haftstrafe nur wahrscheinlicher.

Frank S. hat das letzte Wort
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Foto: dpa, ve sab

15 Jahre oder weniger — um diese Frage geht es für den Angeklagten im Reker-Prozess. Doch statt sich auf seinen Anwalt zu verlassen, verteidigt sich Frank S. lieber selbst und macht damit eine lebenslange Haftstrafe nur wahrscheinlicher.

Seit elf Verhandlungstagen muss Rechtsanwalt Jasper Marten neben Frank S. sitzen, dem vorgeworfen wird, die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker am 17. Oktober 2015 mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Er muss neben ihm sitzen, obwohl Frank S. ihn ablehnt, ihn als Anwalt loswerden wollte und im Prozess beleidigt hat. In diesem Prozess gibt es keinen undankbareren Job als den des Krefelder Rechtsanwalts.

Vergangene Woche beschimpfte der Angeklagte ihn als "linksradikalen Speichellecker", eine Beleidigung, für die ihn die Vorsitzende Richterin am Düsseldorfer Oberlandesgericht, Barbara Havliza, sofort zurechtwies. Deswegen beginnt Marten sein Plädoyer auch mit dem Hinweis, dass er in seiner langen Zeit als Strafverteidiger noch nie von einem Mandanten abgelehnt oder gar beleidigt worden sei. Und deswegen dauert sein Plädoyer auch nur fünf Minuten. Zu den Beweisanträgen der Bundesanwaltschaft werde er auf Bitten von Herrn S. keine Stellung mehr nehmen. Das sei nicht in dessen Interesse, habe ihn Frank S. wissen lassen. Gegenüber unserer Redaktion sagt Marten: "Die psychische Störung von Frank S. und sein Verhalten machen eine ordentliche Verteidigung fast unmöglich."

Und so bleibt Marten nur, einen Antrag auf Milderung der Strafe zu stellen. Statt der von der Bundesanwaltschaft geforderten lebenslänglichen Haftstrafe (15 Jahre) fordert Marten eine zeitige Freiheitsstrafe. Also eine Haftstrafe, die weniger als 15 Jahre beträgt. Wie hoch sie sein soll, sagt er nicht. Als Begründung führt er die psychische Erkrankung seines Mandanten an. Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf hatte bei Frank S. eine paranoid-narzisstische Persönlichkeitsstörung festgestellt, die aber nach Aussage des Gutachteres nicht schuldmindernd sei.

Verteidiger Marten meint, sie sei zumindest von Bedeutung für das Strafmaß und wiederholt noch einmal die Erzählung von Frank S. grausamen ersten Lebensjahren. Im Alter von fünf Jahren hatte S. sich selbst und seine Geschwister mit trockenem Reis und Nudeln durchgefüttert, weil die Mutter sich aus dem Staub gemacht hatte. Erst als Reis und Nudeln leer waren, holte er Hilfe.

Nach dem Plädoyer hat Frank S. das letzte Wort. Für ihn ist es die letzte Gelegenheit, noch einmal seine Sicht der Dinge zu präsentieren. Seinen Anwalt bezeichnet er zum wiederholten Male als "Totalausfall". Und er wehrt sich dagegen, als psychisch labil dargestellt zu werden. "Ich bin bei bester Gesundheit und klarem Verstand", sagt er. Er sei kein paranoider Narzisst und er brauche auch keine langjährige Erziehung zum "Merkel-Fan". "Die Gehirnwäsche der Lügenpresse funktioniert bei mir nicht."

An dieser Stelle redet sich Frank S. dermaßen in Rage, dass die Vorsitzende Richterin Havliza ihm nicht mehr folgen kann. "Tief durchatmen und dann langsam weiter", sagt sie zu Frank S.. Der atmet einmal schnaufend durch und räuspert sich. Entschuldigt sich, weil er nervös sei. Später bringt ihm ein Justizwachtmeister noch ein Glas Wasser.

In der Folge versucht er zu erklären, warum er Reker nicht töten, sondern nur verletzen wollte. Vergleicht seine Tat mit dem tödlichen Attentat auf die britische Abgeordnete Jo Cox am vergangenen Freitag. Er bezeichnet seine Fallakte als "stümperhaft manipuliert", die Gutachten als gefälscht. Er liest das fragwürdige Eröffnungs-Statement seines ersten Verteidigers Christof Miseré vor, den er entlassen hat. Er wiederholt die Motive für seine Tat. "Ich wollte, dass die völlig realitätsferne Herrscherklasse, die das Volk, das Sorgen hat, als Ratten und Mischpoke beschimpft, wieder Angst vor dem Volkszorn hat." Thesen, die keinen im Gerichtssaal überzeugen, außer ihn selbst. Er habe ein Zeichen setzen wollen "gegen millionenfachen Rechtsbruch und Hochverrat, gegen die Überwachung durch die NSA, gegen TTIP, gegen die moderne Sklaverei". Die Tat sei nicht gegen Asylanten gerichtet gewesen, sondern gegen die Politik. Er bezeichnet Henriette Reker als "trojanisches Pferd der Partei Die Grünen", die mit ihrer "Esoterik-Politik am liebsten in jedem Hotel und jedem beheizbaren Raum Asylanten unterbringen" wolle. So lange, bis nicht mehr genügend Wohnraum für die Bürger da sei.

Sind das Tiraden eines psychisch Gestörten, der in seinem Leben stets zu kurz kam und ein einsames und isoliertes Leben fernab der Gesellschaft führte? Oder sind es die Überzeugungen eines brutalen Täters, die ihn zu einem Mordversuch brachten? Auf diesem schmalen Grat muss der Strafsenat mit seinem Urteil balancieren. Am 1. Juli wird feststehen, ob Frank S. lebenslang für seine Tat hinter Gitter muss.

Schließlich versteigt sich Frank S. zu der Behauptung, die Verletzungen von Henriette Reker seien im Prozess dramatischer dargestellt worden, um ihm zu schaden. Die damalige Sozialdezernentin der Stadt Köln und parteilose Oberbürgermeisterkandidatin hatte nach der Tat tagelang im künstlichen Koma gelegen. Das Messer hatte ihre Luftröhre durchtrennt und ihre Kehle bis zum Halswirbel durchfahren. Im Prozess hatte sie ausgesagt, dass noch immer Schluckbeschwerden habe — ein Gefühl, als steckte ihr eine Tablette im Hals. Und dass sie seither von ihrer eigenen Enthauptung träume.

Richterin Havliza fragt nach, ob sie ihn richtig verstanden habe. Frank S. beharrt darauf: "Ich wollte sie nur verletzen und deshalb lebt sie auch noch." Am Ende entschuldigt er sich bei allen Opfern und richtet einen Appell an das Gericht. Wer sich die Mühe mache, die Akten genau zu lesen, werde sehen, dass er die Wahrheit gesagt habe.

Es fällt dem Zuhörer schwer, Einsicht oder Reue zu erkennen. Zuletzt wiederholt Frank S. wieder alte Rechtfertigungen: "Ich wollte die Bevölkerung schützen. Ich habe das Schlimmste getan, um noch Schlimmeres zu verhindern."

(heif)
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